Unregelmäßigkeiten bei Ketamin und Cannabis

Zwangsschließung: Apothekerin kämpft um Existenz

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Berlin -

In München kämpft eine Apothekerin um den Fortbestand ihrer beiden Apotheken. Nachdem bei ihr Unregelmäßigkeiten im Arzneimittelverkehr festgestellt wurden, wollte die Behörde die Standorte schließen; dies konnte im Eilverfahren zunächst abgewendet werden. Die Liste der Verstöße ist lang, doch die Inhaberin ist entschlossen, um ihren Betrieb zu kämpfen.

Ihre Hauptapotheke betreibt die Apothekerin bereits seit Anfang der 1990er Jahre, im vergangenen Jahr eröffnete sie außerdem eine Filiale in der Innenstadt. Aufgrund eines anonymen Hinweises kam es im September zu einer Inspektion in der Hauptapotheke. Dabei wurde unter anderem festgestellt, dass seit 2021 mindestens 530 Packungen zu je zehn Ampullen Ketamin ohne ärztliche Verordnung abgegeben worden waren.

Die Inhaberin räumte gegenüber der Pharmazierätin ein, dass sie das Narkosemittel regelmäßig an eine bestimmte Substitutionspatientin abgegeben hatte, um diese „runterzudosieren“. Da diese Art der Behandlung bei den Ärzten hierzulande kaum verbreitet sei, habe sie der Frau helfen wollen, die seit der Kindheit unter schweren psychischen Störungen leide, so ihre Argumentation.

Allerdings gab es weitere Abverkäufe von Ketamin, zu der es keine namentliche Zuordnung gab und die die Apothekerin nicht erklären konnte. Auch die erforderliche Dokumentation fehlte – Ketamin ist zwar nicht als Betäubungsmittel (BtM) eingestuft, die Abverkäufe müssen jedoch seit Juni vergangenen Jahres gemäß BtM-Gesetz (BtMG) dokumentiert werden.

Erst Inspektion, dann Razzia

Die Pharmazierätin untersagte jegliche Abgabe von Ketamin ohne Vorliegen einer entsprechenden Verschreibung und forderte den Nachweise sämtlicher bisherigen Bestellungen mit Bestätigung der Vollständigkeit durch den Großhandel. Doch auch bei der Nachbesichtigung kurze Zeit später konnte die geforderte Dokumentation nicht vorgelegt werden – insbesondere bei Verkäufen von Ketamin, das für die Verwendung an Hunden und Katzen vorgesehen ist, konnten die Einkäufe nicht zugeordnet werden.

Noch bevor die Sache auf dieser Ebene geklärt werden konnte, kam es im November zu einer Razzia der Betriebs- und Privaträume – gegen die Apothekerin waren strafrechtliche Ermittlungen wegen Abrechnungsbetrugs und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz eingeleitet worden. Bei den Durchsuchungen in der Hauptapotheke wurde festgestellt, dass die nach BtMG erforderliche Nachweisführung lückenhaft war; außerdem wurden Blanko-Unterschriften von Patienten gefunden. Auch in der Filialapotheke wurden Unregelmäßigkeiten bei der Betäubungsmittelabgabe festgestellt.

Nach Abschluss der Untersuchung untersagte das Gesundheitsreferat der Apothekerin am 23. November mündlich mit sofortiger Wirkung die Teilnahme am BtM-Verkehr. In der Folge ordnete das Kreisverwaltungsreferat am selben Tag mündlich die sofortige Schließung der beiden Apotheken an, da ohne Teilnahme am BtM-Verkehr der ordnungsgemäße Apothekenbetrieb nicht mehr zu gewährleisten sei und weitere Verstöße gegen die das Arzneimittelrecht und das Apothekenrecht verhindert werden müssten.

Noch am selben Tag musste die Inhaberin die Schlüssel zu beiden Apotheken herausgegeben; die Apotheken blieben vorerst geschlossen.

Immer mehr Unregelmäßigkeiten

In der Folge wurde die Entscheidung durch schriftliche Bescheide bestätigt und die Schließung mehrfach verlängert. Denn bei der Auswertung der Durchsuchungsergebnisse kamen immer mehr Unregelmäßigkeiten ans Licht. In der Hauptapotheke waren laut Erkenntnissen des Gesundheitsreferats in zwei Fällen mehr BtM als verschrieben ausgegeben worden, in einem Fall weniger. In drei weiteren Fällen seien BtM ohne Rezept abgegeben worden.

Bei einer Substitutionspatientin sei das Präparat Substitol nicht gemäß der Verschreibung täglich abgegeben worden, sondern wie ein Take-Home-Rezept behandelt worden. Außerdem sei belegt, dass an diese Patientin zusätzlich zum Substitut das Arzneimittel Ketamin ohne Verschreibung und ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt abgegeben worden sei.

Fehlbestand bei Cannabis

In der Filialapotheke wiederum sei bei den Cannabisblüten ein Fehlbestand von circa 6 kg festgestellt worden. Im Tresor waren außerdem 141 Blankorezepte für Betäubungsmittel gefunden worden, unterzeichnet waren sie von einem Arzt, der unter derselben Anschrift in einem Beratungszentrum für alternative Therapien mit Cannabis tätig war. Beim Abfüllen der Blüten sei Personal eingesetzt worden, das nicht über die erforderliche Qualifikation verfügte. Und an einem Samstag sei auf Veranlassung der Inhaberin die Apotheke geöffnet gewesen, obwohl kein Apotheker vor Ort gewesen sei, sondern lediglich ein Mitarbeiter ohne pharmazeutische Kenntnisse oder Ausbildung.

Durch ihr Verhalten, bewusst und fortdauernd in erheblichem Umfang verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung abzugeben, seien Patientinnen und Patienten einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt worden. Auch der Betrieb ohne Anwesenheit eines Approbierten unterstreiche das verantwortungslose Handeln der Inhaberin im Hinblick auf ihre Verpflichtung, die ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen und das hohe Rechtsgut der Gesundheit zu wahren, so die Behörde.

Die Apothekerin wehrte sich und klagte zunächst gegen den im Bescheid ausgesprochen sofortigen Vollzug. Sie habe Ketamin nur aus Mitleid und „womöglich falsch verstandener Verbundenheit“ nur an eine bestimmte Patientin abgegeben, die dadurch übrigens ihren Konsum habe deutlich reduzieren können. Diese Vorwürfe habe sie bereits eingeräumt und seit der Beanstandung sei es zu keinen weiteren Vorgängen mehr gekommen. Die noch ungeöffneten Packungen seien an den Großhandel zurückgegeben worden.

Ex-Mitarbeiter war schuld

Die übrigen Vorwürfe bestritt sie. Die festgestellten Dokumentations- und Nachweislücken seien nicht ihr anzulasten, sondern allesamt einem ehemaligen angestellten Apotheker. Nach dessen Ausscheiden im Juni sei es zu keinen Problemen und Auffälligkeiten mehr aufgetreten.

Die bemängelten Blanko-Unterschriften ließen sich ebenfalls damit erklären, dass sie die von ihrem ehemaligen Mitarbeiter versäumten Vorgänge habe nachtragen wollen. Der vermeintliche Fehlbestand bei Cannabis sei dem Umstand geschuldet, dass zum Zeitpunkt der Durchsuchung die Liste für November noch nicht fertiggestellt gewesen sei. Der Vorwurf fehlenden pharmazeutisch geschulten Personals sei nicht hinreichend konkretisiert und anhand der Akte auch nicht belegbar.

Vor diesem Hintergrund sei die sofortige Schließung nicht zu rechtfertigen. Ihr fehlten Einnahmen im sechsstelligen Bereich, die sich nicht kompensieren könne. Aufgrund weiter laufender Zahlungsverpflichtungen drohe die wirtschaftlich bedingte Schließung der Apotheken. Demgegenüber gebe es keine akuten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Wiederholungsgefahr bestehe jedenfalls nicht.

Im Übrigen bestünden Zweifel an der Unparteilichkeit eines am Verfahren beteiligten Pharmazierats, da dieser als Inhaber einer eigenen Apotheke von der Schließung der Apotheken profitiere.

Gericht sieht keine Risiken

Das Verwaltungsgericht entschied im Eilverfahren zugunsten der Apothekerin, weil nach summarischer Prüfung des Sachverhalts Zweifel an der angenommen dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestünden. Der Verstoß gegen die Dokumentationspflichten sei für sich allein genommen noch keine ausreichende Begründung. Auch der Ausfall der Apothekerin bei Versorgung mit BtM und beim Notdienst begründe keine solchen Risiken, da es einerseits in den beiden Apotheken noch angestellte Approbierte gebe, denen die Teilnahme am BtM-Verkehr nicht untersagt worden sei, und andererseits im Stadtgebiet München zahlreiche andere Apotheken gebe, die die Versorgung übernehmen könnten.

Die übrigen Vorwürfe ließen sich im Eilverfahren nicht klären, zumal sie von der Apothekerin bestritten würden. Eine Wiederholungsgefahr sei aber eher nicht anzunehmen: Mittlerweile sei nicht nur ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, sondern auch ein behördliches Verfahren zum Widerruf der Betriebserlaubnis. „Beides dürfte eine nicht unerhebliche disziplinierende Wirkung auf die Antragstellerin haben, so dass zu erwarten ist, dass die Antragstellerin jedenfalls künftig besonders auf die Einhaltung aller Vorschriften achten wird“, so das Gericht. Dafür spreche auch, dass sich die Apothekerin seit 1990 keine bekannten Verfehlungen habe zu Schulden kommen lassen.

Da der Apothekerin die Teilnahme am BtM-Verkehr untersagt sei, sei die Schließung nicht erforderlich – und auch nicht im Sinne der Patientinnen und Patienten, denen „der Erwerb jeglicher Arzneimittel unmöglich gemacht wird“. Auch das Problem des Notdienstes werde durch die Schließung der Apotheke keiner Lösung zugeführt.

Kontrolle statt Schließung

Die Einhaltung der Vorschriften, auch was den Einsatz von hinreichend qualifiziertem Personal angeht, ließe sich laut Gericht anhand entsprechender Dokumentationspflichten überwachen. Sollte der Aufsichtsbehörde für die Kontrolle nicht genügend Personal zur Verfügung stehen, könne dies – insbesondere in Anbetracht der erheblichen Grundrechtsrelevanz – nicht zu Lasten der Apothekerin gehen.

Zu guter Letzt lasse sich die vorläufige Schließung über deutlich mehr als einen Monat hinweg nicht rechtfertigen. „Liegen Anhaltspunkte für eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, wird auch die Entscheidung über den Widerruf der Betriebserlaubnis in aller Regel zeitnah möglich sein, so dass der Monatszeitraum als angemessener Zeitraum für eine behördliche Prüfung erscheint.“ Im aktuellen Fall seien dagegen keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, wann mit einer endgültigen Entscheidung zu rechnen sei.

So sind die beiden Apotheken seit Anfang Januar wieder geöffnet. Und die Apothekerin ist entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Gerade, weil München nun einmal ein heißes Pflaster sei und mit harten Bandagen gegen die unliebsame Konkurrenz vorgegangen werde. Ihren Namen will sie trotzdem nicht öffentlich genannt wissen – weil ihr die Vorgänge trotzdem natürlich unangenehm seien.

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