Umbenennungs-Petition an die Standesvertretung

Rassismus-Debatte: Abda stellt sich hinter Mohren-Apotheken

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Berlin -

Um die Black-Lives-Matter-Bewegung ist es in den vergangenen Tagen medial etwas ruhiger geworden, in der Apothekenlandschaft hält die Rassismus-Debatte aber weiter an. Inspiriert von der Umbenennung der Kieler Mohren-Apotheke durch Inhaber Jens Rath versuchen zwei Kasseler Aktivisten die Umbenennung der gleichnamigen Apotheke am dortigen Bebel-Platz mit einer Petition an die Abda zu erreichen. Inhaberin Christina Hartmann ist zwar auch nicht rundum glücklich mit dem Namen ihres Betriebes, will sich von einer Umbenennung aber nicht so recht überzeugen lassen. Von der Abda können die Aktivisten dabei keine große Unterstützung erwarten: Sie stellt sich hinter die Apotheke und will sich aus der Debatte raushalten.

Ist der Begriff Mohr rassistisch oder nicht? Darüber wird mittlerweile seit Wochen gestritten. Dabei geht es nicht nur um eine U-Bahn-Station in Berlin, sondern auch um zahlreiche Apotheken im deutschsprachigen Raum. Verteidiger des Begriffs verweisen darauf, dass er sich auf geschätzte Heilkünste aus Afrika oder dem Nahen Osten beziehe und wohlwollend gemeint sei, Gegner verweisen auf die Traumata des Kolonialismus und argumentieren damit, dass sich viele schwarze Menschen von dem Begriff beleidigt oder verletzt fühlen. Beide Seiten bemühen die Geschichte des Wortes, Befürworter üben sich in Begriffsexegese, Gegner verweisen auf den Erfahrungshorizont der Betroffenen.

Ruth Hunstock ist in beiden Sphären bewandert: Die 41-jährige Fremdsprachenkorrespondentin ist seit Jahren in der zivilgesellschaftlichen Arbeit aktiv, hat ihre Hände in unzähligen Projekten und hat mit „Side by Side“ selbst einen Verein gegründet, mit dem sie antirassistische Aufklärungsarbeit betreibt. Mit dem Begriff Mohr hat sie sich umfassend auseinandergesetzt und ist diskussionsfest: Die häufig angeführte Ableitung vom Begriff Mauren sei falsch, sagt sie. Für eventuelle nostalgische oder gutmeinende Gefühle, die hauptsächlich weiße Menschen mit dem Begriff verbinden, habe sie sogar Verständnis, aber am pejorativen Charakter des Wortes gebe es keinen Zweifel. Es handele sich um eine von außen aufoktroyierte Bezeichnung, die Menschen über alle anderen Kategorien hinweg nur aufgrund angeborener äußerer Merkmale klassifiziert, und sei damit per se rassistisch. Und überhaupt: Selbst wenn der Begriff irgendwann im Mittelalter einmal auch anerkennend gewesen sein sollte, liegt zwischen damals und heute immer noch ein halbes Jahrtausend europäischer Kolonialismus samt Abwertung, Ausbeutung, Unterdrückung und Misshandlung von Millionen von Menschen, die mit ebenjenen äußeren Merkmalen begründet wurden.

Doch um Begriffsexegese geht es Hunstock gar nicht. Sie argumentiert vor allem mit den subjektiven Erfahrungen, die sie und Menschen in ihrem Umfeld als Afrodeutsche machen. „Ich fahre seit Jahren täglich zweimal an dieser Apotheke vorbei, auf dem Weg zur Arbeit und zurück“, sagt sie. „Und es ist jedes Mal verletzend für mich, dieses Wort zu sehen. Es entmenschlicht uns, auch weil ich die Geschichte dahinter kenne.“ Gemeinsam mit ihrem Ehemann Thomas Hunstock hat sie deshalb eine Petition an die Adresse der Abda gestartet, die die Standesvertretung auffordert, ihren Mitgliedern mit ebenjenem Namen eine Umfirmierung zu empfehlen. Apothekeninhaberin Hartmann ist davon wenig angetan.

Sie kennt die Debatte nämlich nur zu gut. Bereits vor zwei Jahren gab es eine ähnliche Diskussion um eine Mohren-Apotheke in Frankfurt, mit der sie sich auch vor Ort auseinandersetzen musste. „Wir hatten sowohl bei der letzten Debatte 2018 als auch heute deutlich mehr Zuspruch von Kunden, den Namen so zu belassen“, sagt Hartmann. So ähnlich hatte auch ihr Kieler Kollege Jens Rath argumentiert – daraus aber den entgegengesetzten Schluss gezogen: „Ich habe damals viele Unterstützerbriefe von Menschen aus dem eindeutig rechten Spektrum erhalten, das hat mich viel mehr schockiert als die Kritik an mir“, erinnert der sich und entschied sich, seine Apotheke umzubenennen. Dieses Beispiel sei es gewesen, das den Ausschlag gab, die Petition zu starten, sagt Hunstock: „Ich fand es wirklich toll, den Artikel zu lesen und zu sehen, dass der Inhaber solche Sensibilität für das Thema gezeigt hat.“

Mangelnde Sensibilität will sich Hartmann nicht vorwerfen lassen. Sie ist auch keine renitente Verteidigerin des Begriffs. „Ich würde die Apotheke in der heutigen Zeit bei einer Neugründung auch nicht mehr so nennen, aber die Menschen haben sich an den Namen gewöhnt. Die meisten nehmen ihn gar nicht mehr wahr“, sagt sie. Gegen eine Umbenennung führt sie aber vor allem zwei Einwände ins Feld. „Die Apotheke läuft seit 70 Jahren unter dem Namen, 2013 habe ich sie übernommen und seitdem ausgebaut“, so Hartmann. „Wir haben uns hier eine super Position erarbeitet und den Namen da jetzt wegzunehmen, fände ich problematisch.“ Von der Marke abgesehen wäre es aber vor allem ein finanzieller und organisatorischer Aufwand, betont sie. „Die Leute denken immer, so eine Umbenennung wäre schnell gemacht, aber das ist ein Heidenaufwand. Das wären 40 bis 50 Stunden Arbeit, die man da investiert. Betriebserlaubnis, BtM-Nummer, Hilfsmittellizenz, Großhändlerverträge – das alles muss geändert werden.“

Dieser Aufwand stehe in keinem Verhältnis zur Wirkung, die eine Umbenennung hätte, sagt sie. „Im Prinzip wäre ich dazu bereit, aber der Rassismus geht ja nicht aus den Köpfen der Menschen, weil ich den Namen ändere. Wenn jemand auf der Straße angepöbelt wird, passiert das ja nicht, weil eine Apotheke so heißt. Wenn bestimmte politische Parteien Menschenhass schüren, dann sollte man eher in den Parlamenten anfangen.“ Sie habe selbst Kunden jeder Hautfarbe und Herkunft. „Wenn die sich damit schlecht fühlen würden, hätten doch längst jemand mal etwas gesagt“, so Hartmann. Zu Hunstocks Einwand, dass der Begriff sie und andere Afrodeutsche verletze, wolle sie hingegen keine Stellung beziehen.

Die wiederum betont, dass sie statt Konfrontation Verständnis sucht. „Es geht meinem Mann und mir nicht darum, Leuten den Mund zu verbieten oder Political Correctness durchzusetzen. Es geht uns um Sensibilisierungsarbeit und auch um den Respekt gegenüber mir selbst. Ich als Afrodeutsche gehöre genauso zu dieser Gesellschaft.“ Fakt sei nun einmal, dass es sich um eine Fremdbezeichnung handele, die von den Betroffenen nicht selbst gewählt wurde. „Dass viele Betroffene dies als beleidigend empfinden, ist insbesondere für viele weiße Europäer nur schwer nachzuvollziehen, was historisch darin begründet liegt, dass es insbesondere Europäer waren, welche mit den Reisen von Kolumbus begannen, nicht nur Berge, Inseln und sogar ganze Kontinente nach sich zu benennen, sondern eben auch anderen Menschengruppen Namen zuzuweisen“, schreibt sie in der Petition. „Die Europäer selbst waren fast nie in der Situation, dass sie von außen unterworfen und ihnen fremdsprachige Bezeichnungen zugewiesen wurden, welche sich bis heute halten.“

Es sei ihr deshalb auch wichtig, das Gespräch mit Hartmann zu suchen und für ihre Perspektive zu werben. Das hatte schließlich auch erst kürzlich den Durchbruch im Fall der Wiener Mohren-Apotheke gebracht. So, als Sensibilisierung für ihre Perspektive, wolle sie auch die Petition an die Abda verstanden wissen. „Wir sagen nicht, wir bestehen darauf, sondern wir hätten gern eine Empfehlung seitens der Abda.“

Doch diese Hoffnung dürfte sich wohl nicht erfüllen. Die Abda stellt sich auf Anfrage hinter die Apothekeninhaberin, betont aber, sich aus der Debatte heraushalten zu wollen. Die Argumentation der Standesvertretung deckt sich dabei mit der Hartmanns: „Damals wie heute haben Apotheken versucht, auch über ihre Namensgebung Kompetenz, Qualität und Vertrauen zu vermitteln“, so ein Sprecher. „Insofern darf man davon ausgehen, dass die Bezeichnung im pharmazeutischen Kontext nicht als Diskriminierung intendiert war, auch wenn sie heute zum Teil so aufgefasst wird.“ Über den Namen seiner Apotheke entscheide innerhalb des geltenden Rechtsrahmens jeder Inhaber selbst. „Die Entscheidung ist Teil seiner unternehmerischen und persönlichen Freiheit“, so die Abda. „Klar ist, dass die Umbenennung eines laufenden Apothekenbetriebs erhebliche betriebswirtschaftliche Lasten mit sich bringt. Die Abda kann und will als Bundesverband der Apothekerorganisationen auf diese Entscheidung keinen Einfluss nehmen und hofft im Sinne eines pluralistischen Diskurses auf Verständnis für diese Haltung.“

 

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