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Die sinnloseste Woche 2014

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Berlin -

Es ist zum Haare raufen, Schiffe versenken, Schokoküsse köpfen. Die 50. Woche des Jahres 2014 ist so ziemlich die sinnloseste, die den Apotheken passieren konnte. Verantwortlich sind ein waidwunder Kollege, ein durchgedrehter Anwalt, eine PR-geile Bundesbehörde, ein Schnellschuss im Gesetzesblatt und eine selbst für ihre Verhältnisse träge Standesvertretung. Eine Woche zum Verzweifeln. Wer sich das Folgende nicht zumuten will: Ganz zum Schluss gibt’s auch eine gute Nachricht. Aber nur eine.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist eigentlich nicht sonderlich sexy. Seine Themen sind meist nicht gerade PR-tauglich. Und in Bonn sind die Damen und Herren um ihren Präsidenten Professor Broich auch etwas ab vom Schuss. Doch davon hat man genug. Dank eines Generika-Dienstleisters schaffte es das BfArM endlich in die Schlagzeilen von Tagesschau & Co.

Die Behörde muss dutzende Präparate unter die Lupe nehmen, 80 erklärte sie für nicht verkehrsfähig. Eine Gesundheitsgefährdung hat zwar nicht bestanden, aber schließlich muss alles seine Ordnung haben. Nur dass das BfArM diesmal selbst den gewohnten Weg verließ und quasi zeitgleich mit den Herstellern die Medien informierte. Das könnte ein Nachspiel haben, wenn sich herausstellt, dass das vermeintliche Riesenproblem nur ein kleines oder gar keines ist.

Seitdem ist kein Stein mehr auf dem anderen geblieben. Die betroffenen Hersteller, womöglich selber geleimt vom Dienstleister, bemühen sich um Schadensbegrenzung. Das BfArM wurde im Verlauf der Woche immer schmallippiger und sagte dann plötzlich nichts mehr.

Weil es keinen Rückruf gibt, die Hersteller nicht informiert wurden und vermutlich niemand an den querzugelassenen Arzneimitteln stirbt, fühlt sich auch niemand so richtig zuständig. Der Großhandelsverband Phagro und die Arzneimittelkommission der Apotheker informieren nur in den harten Fällen. Und der Präsident der Bundesapothekerkammer, Dr. Andreas Kiefer, gab im Namen der deutschen Apotheken das heilige Versprechen ab, man werde sich um das ganze Gedöns sorgsam kümmern. Kümmern dürfen sich wie immer die Kümmerer, die Apotheken.

Die Hersteller widersprechen den sogenannten Ruhensanordnungen, womit diese wiederum ruhen, zumindest wenn das BfArM nicht widerspricht und eine sofortige Vollziehung der Ruhensanordnung anordnet. Die Liste der immer mal gesperrten Arzneimittel wird immer mal vom BfArM heimlich aktualisiert, der Übersicht wegen im neuen Design jetzt ohne Nummerierung.

Eine „neue Unübersichtlichkeit“ moniert auch ABDA-Präsident Friedemann Schmidt. Er erkennt die schlimme Globalisierung als ursächlich, hatte ansonsten aber nichts Substantielles zur Debatte beizutragen. Er möchte aber künftig früher informiert werden.

Diesen Wunsch äußerte Schmidt am Freitagnachmittag. Da hatten die Kollegen schon vier Tage lang vergeblich beim BfArM, den Herstellern oder ihren Kammern angerufen, Ware separiert, Patienten vertröstet und Listen abgeglichen. Ein Randwitz dabei: Am Mittwoch trat noch die Aut-idem-Liste in Kraft. Doch dazu später.

Aus dem Bundesgesundheitsministerium ist in der ganzen Sache genauso wenig zu hören wie aus dem Apothekerhaus. Warum auch? Der Gesundheitsminister hat sich zunächst auf dem Parteitag abwatschen lassen, um dann als frisch gekürter Retter der CDU-Frauenehre zu einem internationalen Gesundheitsministerkongress zu fliegen. Die profanen Untiefen des deutschen Gesundheitssystems lassen Hermann Gröhe irgendwie kalt. Ebenso wie die Gesundheitsexperten aus den Fraktionen.

Die Apotheken dürfen nun also regelmäßig in der Liste des BfArM nachschauen, ob ein Widerruf erfolgreich war oder nicht, ob sich etwas geändert hat. Problematisch ist aber, dass man am besten die erste Originalliste haben sollte. Denn die Namen der nicht-ruhenden, aber vorher ruhenden Zulassungen wurden komplett getilgt. Fröhliches Listen-Gucken in der Apotheke. Sonst ist ja in der Vorweihnachtszeit auch nichts zu tun.

Fast nichts: Daneben liegt nämlich eine weitere Liste mit acht Wirkstoffen, die auch bei schwersten pharmazeutischen Bedenken nicht mehr ausgetauscht werden dürfen. Denn sicherheitshalber wurde die Aut-idem-Liste am Mittwoch fristlos scharf geschaltet. Ab Januar sind die korrekten Daten dann auch in der Software. Wer nicht aufpasst, dem drohen Retaxationen auf Null. Einige Kassen haben aber angekündigt, Gnade walten zu lassen, sofern ihre geliebten Rabattverträge eingehalten werden.

Aber als ob die Generika-BfArM-Nummer und die Aut-idem-Liste nicht ohnehin schon für ein Absinken der Reizschwelle in der Offizin gesorgt hätten, zog die in der vorletzten Woche gestartete Abmahnwelle eines baden-württembergischen Apothekers immer weitere Kreise. Strafanzeige wurde gegen den Apotheker und seinen Anwalt gestellt, es war von Erpressung und Betrug die Rede. Der Apotheker hatte die Folgen seines Handelns wohl – gelinde formuliert – falsch eingeschätzt. Und zog die Reißleine, wenn er sie noch in der Hand hatte. Am Donnerstag räumte der Großhändler wegen unbezahlter Rechnungen die Apotheke aus. Ein letzter Versuch, 1,5 Millionen Euro als Vergleichssumme zu kassieren, war fehl geschlagen.

Was zu holen ist für Apotheken gemeinhin, wenn es um Rabatt und Skonto geht. Für Apotheken ist das ein ganz normaler Vorgang. Insbesondere, weil sie wissen, wie hoch Skonto und Rabatt sein können, wenn es um die Rechnungen zu Lasten der Krankenkassen geht. Doch die transparente Herangehensweise des Großhändlers AEP direkt hat nicht nur die Wettbewerbszentrale auf den Plan gerufen. Auch die im Großhandelsverband Phagro versammelte Konkurrenz wittert Morgenluft und einen möglichen Rechtsverstoß.

AEP-Chef Jens Graefe will sich aber nicht ins Bockshorn jagen lassen und vermutet hinter der Skonto-Debatte als Initiator den Phagro.Dessen Vorsitzender Dr. Thomas Trümper aber wiegelt ab. Doch das Dementi ähnelt der Dezemberluft dieser Tage in Berlin, etwas lau. Den Apotheken droht, überlagert von Aut idem, BfArM und Abmahnungen eine Debatte zu ihren Lasten. Und ein echter Substanzverlust auf der Habenseite.

Dabei gibt es auch halbwegs gute Nachrichten, wenn auch nur für interessierte Kollegen. Denn nach einem Gutachten der Kanzlei Oppenländer im Auftrag der Firma Studex werden in Apotheken die feinsten und besten Ohrlöcher überhaupt gestochen. Da sind Profis am Werk. Also ist Ohrlochstechen eine apothekenübliche Dienstleistung. So wie das Anpassen von Stützstrümpfen oder so. Mal sehen, ob die Gerichte das auch so sehen.

Auch während ihrer Tauchfahrt dürfte die ABDA mitbekommen haben, dass das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) kurz vor Weihnachten das Kabinett passieren wird. Es gibt zwar Änderungen, aber die Wünsche und Forderungen der Apothekerschaft haben es nicht ins Gesetz geschafft. So ein Pech. Wenigstens sollen aber Krankenkassen und Apotheker in Zukunft einen Weg finden, wie Nullretaxationen wegen Nichtigkeiten unterbleiben. Wenn das so gut läuft wie in der Vergangenheit, dann viel Spaß vor dem Schiedsgericht.

Immerhin sind ABDA-Präsident Friedemann Schmidt und seine Getreuen bestens vorbereitet, wenn es um Korruption geht. Beziehungsweise um deren Verhinderung. Die totale Transparenz im Apothekerhaus verbunden mit dem Perspektivpapier 2030 sorgt für einen immer währenden Heiligenschein über dem Palais. Insoweit sorgt sich niemand um das Anti-Korruptionsgesetz für das Gesundheitswesen, das Justizminister Heiko Maas (SPD) im Januar vorstellen möchte.

Nichts mit Korruption hat hoffentlich eine Gerichtsentscheidung zu tun. Danach brauchen sich Klinikapotheken auch in Zukunft nicht um Mehrwertsteuer zu scheren. dm schert sich ohnehin um nicht allzu viel und kümmert sich lieber ums Geschäft. Mittlerweile hat die Drogeriekette die ersten Homöopathika ins Sortiment genommen, produziert von einem Lohnhersteller, der zu einer norddeutschen Apotheke gehört. dm wird darauf achten müssen, dass manche Versprechen dabei nicht Überhand nehmen. Das OLG Hamm vertrat nämlich jetzt die Ansicht, Anbieter von Bachblütenprodukten sollten bei der Werbung vorsichtiger sein. Denn die Produkte zählen als Lebensmittel – und da verbieten sich gesundheitsbezogene Aussagen.

Aber jetzt genug von dem ganzen Krampf, von Verboten und Missverständnissen. Hier kommt jetzt die wirklich wichtige Nachricht aus dem rissigen Palais, in dem die Apothekerlobby (noch) ihr Dasein fristet. Denn weil im Leben arg wenig zu lachen ist, hat die ABDA-Spitze den Comedian Bernhard Hoecker verpflichtet. Der soll zwar nicht die drögen Sitzungstage beleben, dafür Kinospots zur Imagepflege der Apothekerschaft mit Leben erfüllen. Die Freude über den großen Wurf war der ABDA dann sogar eine kurze Auftauchphase und eine Pressemitteilung wert. Und eine echte Apothekerin durfte auch bei den superlustigen Drehs mitmachen. Die Spots laufen dann im März und Oktober in den Kinos. Dann wird wieder alles gut. Bestimmt. Und bis dahin gilt: Brav in die Listen gucken. Ist wie ein Adventskalender – jeden Tag eine Überraschung.

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