Kommentar

HIV-Selbsttests: Warum Diskretion besser ist als Anonymität

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Berlin -

Der Bundesrat wird am Freitag vermutlich beschließen, dass HIV-Selbsttests künftig frei im Handel verkauft werden dürfen. Die Politik will damit einen niedrigschwelligen Zugang ermöglichen. So richtig der Ansatz ist, eine ideale Lösung gibt es in dieser Frage nicht, kommentiert Alexander Müller.

Die Schattenseite des möglichst anonymen Tests ist, dass der Betroffene mit einem positiven (oder falsch-positiven) Befund allein ist – jedenfalls ohne fachliche Beratung. Man kann den Standpunkt vertreten, dass das jeder für sich selbst entscheiden kann. Man darf auf der anderen Seite unterstellen, dass nicht jeder richtig abschätzen kann, wie er reagieren wird. Das mag für Jugendliche im Besonderen gelten.

Die Apotheker hätten sich deshalb gewünscht, dass es für die Selbsttests eine Apothekenpflicht gibt. Aber damit allein wäre das Problem nicht gelöst. Wenn der Test in der Apotheke nur auf Kundenwunsch möglichst diskret abgegeben wird, ist dieser damit trotzdem später allein.

Das Angebot müsste sein: Die Apotheker schulen sich über die fachlichen Fragen hinaus für diese spezielle Beratungssituation und entwickeln einen Leitfaden dafür. Die räumlichen Voraussetzungen sind gegeben, das Vertrauensverhältnis sollte es auch sein. Schwerpunktapotheken leben das heute schon vor.

Und dann? Der Kunde muss den Test selbstverständlich nicht im Beratungsraum durchführen. Aber er geht mit Sicherheit besser vorbereitet in die Situation, wenn er vorher mit einem Fachmann gesprochen hat. Hier reichen mitunter einfache Tipps: Verfallen Sie bei einem positiven Ergebnis nicht in Panik. Suchen Sie in diesem Fall einen Arzt auf oder kommen Sie gerne wieder zu uns. Wiederholen Sie den Test unabhängig vom Ausgang – wegen der Inkubationszeit auch mit zeitlichem Abstand und so weiter.

Diese Informationen gibt es auch in der Packungsbeilage, aber damit lässt man Patienten bei Arzneimitteln aus gutem Grund auch nicht vollkommen alleine. Ein HIV-Selbsttest ist kein Medikament, aber er kann der sehr ernste Wegweiser in eine weitreichende Therapie sein. Es gibt keinen Grund, den Apotheker als Fachmann nicht möglichst früh einzubinden.

Der niedrigschwellige Zugang ist jedenfalls kein besonders tragfähiges Argument – bei noch immer knapp 20.000 Apotheken. Wer einen Test machen möchte, wird eine Apotheke finden. Das Diskretionsargument zieht auch nur bedingt, wenn man an das Kassenband im Drogeriemarkt denkt. Und vor allem: In der Apotheke arbeitet Personal, das qua Beruf zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und den Umgang mit vermeintlich heiklen Themen im Alltag verinnerlicht hat. Es dürfte die absolute Ausnahme sein, dass Patienten nach dem Gespräch mit ihrem Arzt oder Apotheker noch jenes Schamgefühl haben, mit dem sie Praxis oder Offizin betreten haben. Wer seinen Test in der videoüberwachten Tankstelle nachts auf den Zahlteller legt, verlässt diese mutmaßlich mit einem anderen Gefühl.

Man kann darüber streiten, ob der Verkauf der Tests im Massmarket schon ein Angriff auf die Apothekenpflicht generell bedeutet. Dagegen spricht die klare Abgrenzung zum Arzneimittel. Einfach ausgedrückt: Es ist egal, wie viele HIV-Tests ein Kunde hintereinander macht. Skeptiker werden das oben angeführte Argument mit dem Beipackzettel ins Feld führen. So oder so: Es wurde eine Chance vertan, die Apotheke als Vertrauensstelle besonders zu positionieren.

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