Forderungsabtretung war unwirksam

AvP-Pleite: BGH sieht Aussonderungsrecht für Apotheken

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Berlin -

Im AvP-Skandal waren die betroffenen Apotheken zu einem Vergleich gedrängt worden – vom Insolvenzverwalter, von ihren Anwälten und ihren Apothekerverbänden. Doch womöglich war dieses Vorgehen komplett falsch: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jetzt entschieden, dass schon die Abtretungsvereinbarung mit dem Rechenzentrum unwirksam war – und dass den Betroffen damit womöglich vollumfängliche Aussonderungsrechte zustehen.

Das größte Problem im Zusammenhang mit der AvP-Pleite war, dass die Abrechnungen der Apotheken nicht als separates Vermögen qualifiziert, sondern alle Guthaben und Forderungen als Vermögenswerte des Rechenzentrums betrachtet wurden. Dass keine Aussonderungsrechte bestanden, hatte auch ein Gutachten des Apothekerverbands Nordrhein (AVNR) ergeben, der den Vergleich mit ausgehandelt hatte. Dem schlossen sich auch die Anwälte viele betroffenen Apotheken an und rieten ihren Mandantinnen und Mandanten zum Beitritt zum Vergleich.

Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos hatte mehrfach betont, dass sämtliche Gerichte die Aus- oder Absonderungsrechte der Apotheken vollumfänglich abgelehnt hätten. Die meisten Apotheken waren dem Vergleich beigetreten, zuletzt waren nur rund 15 Klagen anhängig. Drei Urteile waren zu Gunsten des Insolvenzverwalters ausgegangen, ein Urteil des Landgerichts Würzburg (LG) zugunsten eines Apothekers.

Abtretung war ungültig

Der BGH kommt jetzt aber zu einem eindeutigen Ergebnis: „Die Klägerin ist Inhaberin ihrer Vergütungsansprüche gegen die Krankenkassen geblieben, so dass ihr hinsichtlich dieser Ansprüche ein Aussonderungsrecht zusteht“, heißt es in einem aktuellen Urteil. In dem Streit geht es um einen Hilfsmittellieferanten, dem AvP insgesamt rund 30.000 Euro geschuldet hat. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hatte die Klage gegen den Insolvenzverwalter abgewiesen, doch diese Entscheidung halte der rechtlichen Überprüfung in einem „wesentlichen Punkt“ nicht stand, so der BGH.

Zwar habe die Vorinstanz zu Recht angenommen, dass die auf Konten von AvP vorgefunden Geldbeträge keiner treuhänderischen Bindung unterlägen. Vielmehr handele es sich „um bloße Abrechnungskonten ohne treuhänderische Bindung zugunsten der Leistungserbringer“ . Schließlich habe AvP die Guthaben auch dazu verwendet, die eigenen Darlehensverbindlichkeiten gegenüber den Banken zu befriedigen.

Verstoß gegen Datenschutz

Aber genau hier liegt laut dem BGH das Problem. Denn die Abtretung der Forderung sei gar nicht wirksam geworden, da sie gegen Vorgaben des Sozialgesetzbuches (SGB V) verstoßen habe. In den relevanten Paragrafen § 300 (Apotheken) beziehungsweise § 302 (sonstige Leistungserbringer) ist klar geregelt, dass Rechenzentren die ihnen übermittelten Daten nur „für im Sozialgesetzbuch bestimmte Zwecke und nur in einer auf diese Zwecke ausgerichteten Weise verarbeiten“ dürfen. Lediglich anonymisierte Daten dürfen auch für andere Zwecke verarbeitet werden.

„Mit der Abtretung gestattet die Schuldnerin dem Rechenzentrum eine Verarbeitung geschützter Sozialdaten, die mit § 302 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V nicht im Einklang steht“, so der BGH. In der Literatur gebe es dazu zwar unterschiedliche Sichtweisen. „Der Senat entscheidet die Streitfrage dahin, dass die Abtretung von Ansprüchen der Leistungserbringer gegen Krankenkassen an Rechenzentren jedenfalls dann nicht durch § 302 Abs. 2 Satz 2 und 3 SGB V erlaubt und deshalb nichtig ist (§ 134 BGB), sofern der Leistungserbringer dem Rechenzentrum eine Weiterabtretung der abgetretenen Ansprüche ausdrücklich oder konkludent gestattet.“

Eine mit diesen Regelungen nicht im Einklang stehende Datennutzung sei untersagt. Denn gerade in einem System mit Versicherungszwang sei ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht unbeschränkt statthaft. „Der Schutz solch sensibler höchstpersönlicher Daten ist verfassungsrechtlich geboten; jeder Missbrauch muss praktisch auszuschließen sein; ihr Gebrauch ist auf das unverzichtbare Mindestmaß zu beschränken“, so der BGH.

Refinanzierung mit GKV-Geldern

Gerade die Gesetzesbegründung zu der die Apotheken betreffenden Regelung stelle klar, dass die Einbindung von Rechenzentren auf die im Sozialgesetzbuch geregelten Zwecke zu begrenzen sei und dem informationellen Selbstbestimmungsrecht der Versicherten und Leistungserbringer Rechnung zu tragen habe. Die Vorschrift schließe daher aus, dass die Rechenzentren die bei ihnen auflaufenden Daten auch anderweitig verarbeiten, nutzen und wirtschaftlichen Vorteil daraus ziehen könnten.

Und weiter: „Keine Grundlage im Sozialgesetzbuch findet es, wenn Rechenzentren über die Abrechnung hinaus die ihnen abgetretenen Forderungen ihrerseits an Dritte weiter abtreten. Eine Nutzung der den Rechenzentren zugänglich gemachten Daten als Kreditunterlage für ihre Refinanzierung ist von § 302 SGB V nicht gedeckt.“

Diese Sichtweise stehe im Einklang mit der Rechtsprechung von Bundessozialgericht (BSG) und BGH zur zivilrechtlichen Abtretbarkeit sozialrechtlicher Forderungen: „Der Gesetzgeber gestattet Leistungserbringern die Offenbarung sensibler Sozialdaten ohne Einwilligung der Patienten gegenüber Rechenzentren; zum Ausgleich für diesen schweren Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Patienten sieht der Gesetzgeber ein strenges Datenschutzrecht mit strikter Zweckbindung der Daten vor, das Rechenzentren zu beachten haben und das der Nutzung der Daten Grenzen zieht, um einen Datenmissbrauch vorzubeugen.“

Für den BGH ist die Sache klar: „Rechtsgeschäfte, die gegen die Vorgaben des § 302 Abs. 2 Satz 3 SGB V verstoßen, sind [...] nichtig.“ Die Abtretungsvereinbarung mit AvP verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen die Vorschrift: „Die Schuldnerin wurde nicht nur zwecks Abrechnung tätig, sondern trat die ihr abgetretenen Forderungen ihrerseits an die refinanzierenden Banken ab, um ihre Tätigkeit zugunsten der Leistungserbringer zu finanzieren. Die Forderungsabtretung erfolgte dementsprechend nicht fremdnützig, sondern zur Sicherung eigener Ansprüche; der Schuldnerin wurde sogar ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt, nach eigenem Ermessen die Forderung zwecks eigener Refinanzierung der Schuldnerin an Banken abzutreten (§ 6 der AGB).“

OLG muss Aussonderungsrecht prüfen

Allerdings hat der BGH dem Unternehmen zunächst nur einen Anspruch auf rund 3000 Euro zuerkannt, die nach Kündigung noch zu Unrecht eingezogen wurden und noch unterscheidbar in der Masse vorhanden sind. Was die Forderungen gegen Krankenkassen betrifft, die bereits eingezogen worden waren und auf die möglicherweise ein Aussonderungsrecht besteht, muss das OLG nun erneut entscheiden. Denn zu möglichen Ansprüchen der Leistungserbringerin gegen die Masse habe das Gericht bislang „keine ausreichenden Feststellungen getroffen“.

In Düsseldorf könnte es wieder kompliziert werden: Trotz Nichtigkeit der Abtretung sei AvP nämlich zur Einziehung der Forderung berechtigt gewesen. „Die Nichtigkeit der in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarten Abtretung lässt den Vertrag im Übrigen unberührt“, so der BGH. „Danach übernimmt die Schuldnerin neben der Abrechnung der sich aus den ärztlichen Verordnungen und Rezepten ergebenden Vergütungsforderungen deren Einziehung im eigenen Namen, aber für Rechnung der Klägerin.“

Hoos muss Konten offenlegen

Dass die Voraussetzungen eines Aussonderungs- oder Ersatzaussonderungsrechts vorliegen, muss das Unternehmen darlegen und beweisen. Nicht argumentiert werden kann laut BGH jedenfalls mit der Vorgabe, dass Rechenzentren die zur Weiterleitung an Dritte vorgesehenen Gelder unverzüglich auf offene Treuhandkonten einzuzahlen haben. Denn diese Vorschrift sei erst 2021 eingeführt worden.

Den Insolvenzverwalter treffe jedoch eine sekundäre Darlegungslast zum Erhalt und zum Verbleib der Gelder. „Er kann deshalb nicht pauschal den Vortrag der Klägerin bestreiten, der Beklagte habe Forderungen der Klägerin eingezogen. Kommt es darauf an, hat er vorzutragen, wie, wann und auf welches Konto der Erlös vereinnahmt worden ist.“ Dasselbe gelte für den Fall, dass Krankenkassen nur anteilig gezahlt haben; in diesem Fall müsse er anhand von Abrechnungen durch die Krankenkassen darlegen, warum ihm eine nähere Zuordnung des Kürzungsbetrags nicht möglich oder zumutbar ist.

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