Enfant terrible

Ex-Klinikapotheker mischt Braunschweig auf

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Berlin -

Vergleichsweise spät hat sich Braunschweiger Klinikapotheker Geert Helmut Oortmann für eine eigene Apotheke entschieden. Vor zwölf Jahren gründete er die Apotheke K10 im gleichnamigen Ärztehaus. Innerhalb weniger Jahre baute er seinen Betrieb zu der stadtbekannten 365-Tage-Intensivapotheke aus. Seine Werbe- und Marketingmethoden sind allerdings bis heute äußerst umstritten. Doch das stört den Quereinsteiger nur wenig. Dass er seine Kollegen vor den Kopf stößt, verbucht er unter Kollateralschaden. Denn sein Ziel ist: Anders sein als alle andere! Der Branche wirft er „bleierne Müdigkeit“ vor.

48 Jahren alt war Oortmann, als er sich im Jahr 2005 dazu entschloss, eine Apotheke in einem neu errichteten Ärztehaus am Rande der Braunschweiger Innenstadt zu übernehmen. Solider Standort, möchte man meinen. Doch der Anfang sei schwer gewesen, berichtet der Pharmazeut, der zuvor 26 Jahre in der Apotheke des Braunschweiger Klinikums gearbeitet hat. „Wenn man ehrlich ist, braucht eigentlich niemand in Braunschweig eine weitere Apotheke. Auch damals nicht“, gibt er unumwunden zu.

Trotz Startschwierigkeiten lief es zumindest wirtschaftlich nach einiger Zeit gut für den Quereinsteiger. Doch das reichte dem ehrgeizigen Apotheker nicht. „Es war mir persönlich einfach zu wenig, nur die Rezepte der Arztpraxen im Haus zu bedienen“, sagt er. „Ich wollte mehr. Ich wollte in Braunschweig eine Marke sein.“ Anders sein als alle Anderen, lautete fortan die Devise des Pharmazeuten.

Die Apotheke K10 – der Name leitet sich übrigens ganz prosaisch aus der Adresse Küchenstraße 10 ab – liegt an einer Straße, die direkt in die Innenstadt führt. Es fahren einige tausend Autos sowie zahlreiche Straßenbahnen und Busse pro Tag vorbei. Ampeln kurz vor und direkt gegenüber der Apotheke bringen den Verkehr zum Stoppen und sorgen dafür, dass Autofahrer und Passanten Zeit haben, sich umzuschauen. „Dem tragen wir von Anfang an durch unsere Art der Schaufensterwerbung Rechnung“, sagt der Apotheker. „Ich möchte niemals für irgendein OTC-Präparat im Fenster werben und damit lediglich die jeweils aktuelle TV oder Printreklame von OTC- Präparaten und Saisonartikeln abbilden.“

Stattdessen werden andere Themen ausgewählt, die manchmal absolut gar nichts mit Apothekensortiment zu tun haben. So dekorierte der Apotheker die Schaufenster vor einigen Wochen in Vereinsfarben von Eintracht Braunschweig. Ende Mai ging es um den Aufstieg des Fußballvereins in die erste Bundesliga. „Braunschweiger sind absolut fußballverrückt“, erklärt Oortmann. „Eine solche Deko sorgt meiner Meinung nach für mehr Identifikation beim Kunden als die ständig gleichen Apotheken-Schaufenster mit irgendwelchen OTC- oder Kosmetikprodukten. Ich schaffe damit den Bezug zu meiner Apotheke insgesamt und nicht nur zu einem Produkt.“

Auch ist der Apotheker bestrebt, aktuelle und ihm wichtige Themen – möglichst aus dem Rx-Bereich – zu bewerben. Um dabei nicht gegen das gesetzlich verankerte Werbeverbot zu verstoßen, wird nur indirekt geworben. Zu einem Markenzeichen der Apotheke K10 ist mittlerweile der BS-Pillencheck geworden. Unter den Schlagworten „Teurette“ und „Preisnette“ wird dabei in den Schaufenster der Apotheke und anderen Werbeträgern auf das Angebot verwiesen.

„Wir verzichten bei Empfängnisverhütung bewusst darauf, die rezeptierte, meist teurere Pille zu verkaufen, und zeigen den Patientinnen preisgünstigere Alternativpräparate aus dem Generikabereich“, erläutert Oortmann. Zwar gehe dabei ein Teil des Gewinns verloren, der sich aus höheren Margen und besserem Cashflow ergeben könnte. Diesen Nachteil mache er aber durch einen Imagegewinn, den Gewinn einer Kundenbindung und auch durch die stetig steigende Zahl der verkauften Arzneimittel im Bereich Empfängnisverhütung wieder wett. „Den Pillencheck bewerbe ich offensiv, sie spricht sich herum und führt bei mir auch zu höherem Aufkommen an Privatverschreibungen aus diesem Bereich“, so der Apotheker.

Mit solchen Angeboten reizt der Apotheker die Grenzen des Erlaubten stets aus. „Die Flut von Generika im Bereich der Empfängnisverhütung und auch die zahlreichen Sildenafil-Präparate seit Sommer 2013 verbunden mit dem Erscheinen des neuen Privatrezepts habe ich sofort genutzt, um den Pillencheck zu kreieren und aktiv durchzuführen“, sagt der Apotheker. Er gibt auch offen zu, dass solche Aktionen ihm bereits Probleme und Auseinandersetzungen mit der Aufsicht eingebrockt haben. „Ich musste die Kammer erst einmal von der Änderung des Rezeptblattes 'Privat' in Kenntnis setzen“, berichtet er. Eine Rechtsanfrage beim Deutschen Apothekerverband (DAV) habe die rechtlichen Bedenken ausgeräumt.

Oortmann hat eine blickdichte Vitrine in seiner Apotheke stehen, in der alle gängigen Anti-Baby-Pillen präsentiert werden. Wünscht eine Kundin eine Preisberatung, wird die Vitrine geöffnet, dann können alle gängigen Präparate visualisiert werden.

Ein äquivalentes Angebot gibt es auch für männliche Kunden der Apotheke. Unter den Slogans „Pisagra ist da“, „Komm gut“ und „Null teuer“ wirbt der Apotheker mit einer Art „Crazy Marketing“ für seine Preisberatung zu Potenzmitteln. „Ich zeige meinen Kunden, welche preiswerte Sildenafil- Generika es gibt“, sagt der Apotheker. Zusätzlich würden Hinweise auf Damiana, Turnera diffusa oder Infos zu Testosteronspiegel gegeben.

Solche Angebote entsprechen aus seiner Sicht dem heutigen Zeitgeist. „Kunden sind mündiger denn je und das erfordert auch eine preisehrliche Beratung in Apotheken“, betont Oortmann. Das Verharren in alten hohen Preisstrukturen sei kontraproduktiv und führe zu einer noch stärkeren Umorientierung der Kunden auf Onlinevertriebskanäle oder Urlaubseinkäufe.

Überhaupt versteht sich der Apotheker als „fairer Berater für Arzneimittel, zum Wohl der Patienten und der Krankenkassen und daraus dann auch zum Wohl der örtlichen Apotheke“. In der Apotheke K10 würden stets nur die Arzneimittel verkauft, die man auch selbst einnehmen würde, sagt er. Man biete den Kunden stets die preisgünstigste Lösung an – unabhängig von momentanen Preisaktionen des Marktes. Doch eine preisaktive Apotheke sei man nicht. „Wir haben – bis auf Dauerknaller Paracetamol und ein Nasenspray – ganz normale Preise“, sagt Oortmann.

Der erste Coup des Apothekers, der bis heute das Image der Apotheke bestimmt, war allerdings eine rigorose Erweiterung der Öffnungszeiten. „Wir haben hier eine 2a/2b-Lage mit einer Umgebung, die abends deutlich belebter als tagsüber ist“, beschreibt er seinen Standort. Der allgemeinärztliche Notdienst war zu diesem Zeitpunkt nur rund 500 Meter entfernt. Auf dem Weg dorthin befinden sich gut frequentierte Lokale und das C1-Kino. Darüber hinaus sind zwei von vier Standorten des Klinikums Braunschweig, unter anderem die Kinderklinik und der Chirurgische Notdienst, aber auch der augenärztliche Notdienst innerhalb fünf bis sieben Minuten mit dem Auto zu erreichen. „Da war mir klar, dass wir unsere Öffnungszeiten ausweiten müssen“, sagt Oortmann.

Inzwischen öffnet die K10-Apotheke von Montag bis Freitag zwischen 7.30 und 22.30 Uhr und am Samstag und Sonntag sowie an Feiertagen zwischen 10 und 19 Uhr. „Trotz des generellen Apothekenüberangebots in Braunschweig konnte sich die Apotheke K10 als 365-Tage-Apotheke im Markt etablieren“, sagt der Apotheker. Bis heute ist sie die einzige 7-Tage-Apotheke in der Stadt. „Wir sind als 'Intensivapotheke' im Bewusstsein der Bürger angekommen und durch die Öffnung am Sonntag eine feste Institution im Gesundheitssystem Braunschweigs geworden“, sagt Oortmann.

Das Warenlager ist nach Angaben des Apothekers den Bedürfnissen einer schnellen Versorgung am Wochenende und dem aktuellen Krankheitsbild der Bevölkerung angepasst. Besonders die Präparate des Ärzte-Notdienstes, der Kinderärzte und der Augenklinik seien in ausreichend großer Stückzahl vorrätig. Im Gegensatz zu den notdiensthabenden Apotheken erhebt die Apotheke K10 sonntags generell keine Notdienstgebühr. „Diese Ersparnis einer Notdienstgebühr ist neben der zentralen und bekannten Lage der Apotheke und der Bevorratungsvielfalt die Hauptmotivation für Kunden, die Apotheke K10 zu wählen“, sagt der Pharmazeut.

Oortmann ist davon überzeugt, dass dieser Erfolg auch seinem offensiven und ungewöhnlichen Marketing zu verdanken ist. „Unsere Art der Werbung stellt vor allem eine In-The-Moment-Werbemaßnahme dar“, erklärt er seine Strategie. „Sie beinhaltet beispielsweise die konkrete Handlungsaufforderung beim Verlassen des Notdienstes, die Apotheke K10 aufzusuchen.“ Dazu nutzt der Apotheker beschriftete Kraftfahrzeuge und zuletzt auch Fahrräder, Rikschas oder Motorroller. Darauf wirbt Oortmann für die Apotheke im Allgemeinen und einzelne Angebote im Besonderen.

Die Fahrzeuge stehen an strategisch günstigen Stellen, beispielsweise vor ärztlichen Notdienstpraxen. Vor dem Betreten und beim Verlassen einer solchen kommen die Patienten an den Werbeslogans der Apotheke kaum vorbei. Die Botschaft: „Du brauchst jetzt in diesem Moment eine Apotheke, die zentral gelegen ist und keine Notdienstgebühr erhebt – gehe zur Apotheke K10.“

Es regt sich aber auch Kritik an der Werbestrategie des Apothekers. Manch ein Braunschweiger ärgert sich darüber, dass die Werbe-Fahrzeuge des Apothekers die raren Parkplätze belegen. Mittlerweile wurden sogar alle vier Reifen eines VW-Käfers zerstochen. Ob schlichter Vandalismus oder der Ärger über die weggeschnappten Parkplätze dafür verantwortlich ist, lässt sich zwar nicht ermitteln. Dennoch will Oortmann nach und nach zumindest Kraftfahrzeuge aus dem Verkehr ziehen und stattdessen verstärkt auf Fahrräder setzen.

Nichtsdestotrotz sei die Sonntagsöffnung eine „totale Erfolgsgeschichte“. „Der Tag ist inzwischen ein normaler Arbeitstag, was das Kundenaufkommen, die Zahl der Rezepte und den Umsatz betrifft“, berichtet Oortmann. Und das bei erheblich niedrigeren Personalkosten.

Zur Personalstrategie des Apothekers gehört auch, dass er grundsätzlich keine PKA beschäftigt. „Bei mir muss jeder alles mache können“, stellt er klar. „PTA sind Allrounder und sind daher flexibler einsetzbar“.

Dass er mit seiner Marketingstrategie und Beurteilung der Branche bei Kollegen aneckt, ist dem Apotheker durchaus bewusst. Es stört ihn aber wenig. Oortmann ist stolz darauf, neue Wege zu entdecken und dabei die Grenzen auszureizen. Es gehe darum unverwechselbar zu sein, betont er. „Angesichts der bleiernen Müdigkeit in der ganzen Branche mag das, was ich tue, radikal erscheinen.“

Doch nur Apotheken würden überleben und erfolgreich sein, die sich nicht um Konventionen scherten und ihre ganz individuellen an die vor Ort vorhandenen Gegebenheiten Strategien entwickelten.

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