BMG ärgert sich über Apotheken

Sildenafil: Abda wollte OTC-Switch nicht

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Berlin -

Nach der Pille danach hätte Sildenafil ein weiteres Paradebeispiel werden können, wie sich mit Hilfe der Apotheken der unkontrollierte Versandhandel zurückdrängen lässt. Doch Thomas Müller, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium (BMG), beklagte jetzt öffentlich, dass die Abda ihn – allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz – einfach hängen gelassen habe.

Nachdem der Sachverständigenausschuss die Entlassung von Sildenafil aus der Rezeptpflicht im ersten (und neulich auch im zweiten) Anlauf abgelehnt hatte, hatte Müller vor knapp einem Jahr eine politische Lösung in Aussicht gestellt: Das BMG prüfe eine entsprechende Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV), sagte er im Oktober 2022 bei einer Veranstaltung des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH).

In der Folge bat das BMG die Abda um konstruktive Vorschläge, wie sich der Switch des Potenzmittels umsetzen lassen. Wenn die Apotheker liefern, dann machen wir das, so das Versprechen.

Plattformen wie GoSpring, bei denen nach Ausfüllen eines Fragebogens die erforderlichen Rezepte ausgestellt werden, hätte man genauso den Boden entziehen können wie dem (illegalen) Versandhandel. Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein (AVNR), brachte in der Diskussion ein Versandverbot wie bei der Pille danach und anderen kritischen Wirkstoffen ins Spiel. Auch Holger Seyfarth, Vorstandsvorsitzender des Hessischen Apothekerverbands (HAV), sprach sich für den erleichterten Zugang aus.

Vorschlag nicht unterstützt

Doch die Abda lehnte ziemlich harsch ab: Der Vorschlag werde nicht unterstützt, hieß es in einem Schreiben von Professor Dr. Martin Schulz, Geschäftsführer Pharmazie.

Bei einer neuerlichen Diskussionsrunde des BAH in der vergangenen Woche übte Müller öffentlich Kritik an der Blockadehaltung der Abda: Wenn die Apotheken den Ball nicht in ihrem Spielfeld wollten, könne er nichts für sie tun, so seine Botschaft in Richtung Thomas Benkert, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK). Ohnehin habe Minister Lauterbach jetzt andere Prioritäten.

Nicht nur im BMG, sondern auch bei den Herstellern fühlt man sich vor den Kopf gestoßen. Die Unternehmen hätten viel Zeit und Geld in die Vorbereitungen investiert, keiner verstehe, was die Abda zu ihrem unerwarteten Positionswechsel getrieben habe. „Keiner hier versteht, was die Abda gerade macht“, so ein Verbandsvertreter.

Dabei hatte die Abda vor noch nicht allzu langer Zeit erklärt, den OTC-Switch von rezeptpflichtigen Arzneimitteln konstruktiv zu begleiten. Denn Offenbar ist derzeit nichts auf solche Aussagen zu geben.

Sorge wegen Sexpartys

Der Antrag auf den OTC-Switch für eine Dosierung von 50 mg war im vergangenen Januar 2022 einstimmig abgelehnt worden. Während der Hersteller argumentierte, dass Sildenafil eine untoxische Substanz sei und auch bei massiver Überdosierung keine drastischen Nebenwirkungen habe, machte insbesondere das BfArM Bedenken geltend.

Gemäß den Leitlinien werde eine adäquate ärztliche Diagnostik, Beratung und abwägende Therapieentscheidung bei erektiler Dysfunktion (ED) als erforderlich angesehen, so der Vertreter der Behörde. Die voraussichtlich längerfristige Anwendung – unter Umständen mit Dosistitration – spreche gegen den OTC-Status. Obendrein sei ein erhebliches Missbrauchsrisiko vorhanden – ohne Rezeptpflicht sinke die Schwelle für eine Anwendung etwa durch junge Männern ohne ED. Hier wurde eine psychische Abhängigkeit verwiesen und den Einsatz beim „Chemsex“ – „im Rahmen von z. B. Sexpartys, um lang andauernde sexuelle ‚Einsatzfähigkeit‘ zu ermöglichen und Impotenz-verursachende Wirkung anderer Substanzen wie Kokain, Antidepressiva zu ‚neutralisieren‘“.

Die vom Hersteller vorgeschlagenen Schulungsmaterialien wurden von den Experten nicht als Lösung gesehen, da diese nicht abschließend über die AMVV geregelt werden könnten und außerdem zu bezweifeln sei, dass die Präparate tatsächlich nur in den Apotheken vor Ort verkauft würden. Verwiesen wurde auf eine erhebliche Anzahl von schwerwiegenden – insbesondere kardialen – Nebenwirkungen in klinischen Studien; die wenigen eingegangenen Nebenwirkungsberichte sprächen eher für eine hohe Dunkelziffer aufgrund missbräuchlicher Anwendung. Die bestehenden Kontraindikationen wiederum erforderten eine ärztliche Abklärung, die durch Apotheker nicht vorgenommen werden könne, so die Experten.

Und schließlich wurde noch angemerkt, dass zentral zugelassene Arzneimittel von einer nationalen Änderung der Verkaufsabgrenzung nicht betroffen wären und dass es fraglich erscheine, Sildenafil 25 mg mit gleicher Indikation weiterhin verschreibungspflichtig zu lassen.

In anderen Ländern ohne Rezept

In anderen europäischen Ländern – Großbritannien, Norwegen, Irland, Polen, Schweiz – können Viagra & Co. schon seit einigen Jahren ohne Rezept bezogen werden. Teilweise ist vorgeschrieben, dass die Apotheker:innen speziell geschult wurden, sodass eine ausführliche Beratung durch das pharmazeutische Personal möglich ist. In Polen müssen Männer, die das Potenzmittel kaufen wollen, außerdem einen Fragebogen ausfüllen. Denkbar ist, dass auch hierzulande Vorgaben für den Verkauf in der Selbstmedikation gemacht werden.

Viagra kam am 1. Oktober 1998 auf den deutschen Markt. Das Mittel wurde schnell zum Kassenschlager und sorgte dafür, dass Erektionsstörungen nicht länger als Tabuthema behandelt wurden. Der Phosphodiesterasehemmer war das erste Produkt in seiner Indikation: Lilly kam mit Cialis (Tadalafil) erst im Februar 2003 auf den Markt, Bayer mit Levitra (Vardenafil) sechs Wochen später. Das Patent für Sildenafil lief 2013 ab, Tadalfil ist seit 2017 nicht mehr patentgeschützt, Generika mit Vardenafil gibt es seit 2018.

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