Zwei Dosierungen, zwei Hersteller

Stückeln gegen Lieferengpässe: Tablettenchaos für Patienten

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Berlin -

Antibiotika, die wild gestückelt werden. Entwässerungstabletten, die aufgrund von mangelnder Lieferfähigkeit in nicht zumutbaren Mengen eingenommen werden müssen. Und etliche Fragezeichen in den Gesichtern der Patient:innen – das ist mittlerweile Alltag für viele Apotheken. Auch Inhaberin Ingrid Schierle kämpft in der StorchenApotheke im niederbayerischen Gerzen täglich mit Lieferengpässen. Um ihrem Ärger Luft zu machen, sendet die Apothekerin nun fleißig E-Mails an Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

„Gerade haben wir ein eindrucksvolles Beispiel für die Folgen von Lieferengpässen. Eine Patientin benötigt zum Entwässern täglich 100 mg Torasemid“, so Schierle. Der Wirkstoff sei aber schon seit Monaten nicht lieferbar: „Im September vergangenen Jahres haben die Lieferschwierigkeiten des Wirkstoffes bereits begonnen.“ Seither musste sich Schierle anders helfen, um Patient:innen versorgen zu können: „Zwischenzeitlich konnten wir zwei Tabletten mit 50 mg Tabletten anbieten, das war noch gut überschaubar. Mittlerweile sind aber nur noch Wirkstärken mit 20 mg erhältlich. Das bedeutet für Betroffene, dass sie fünf Tabletten Torasemid einnehmen müssen, um auf die tägliche Dosis zu kommen“, so die Apothekerin.

Unzählige Tabletten zum Schlucken

Die Krux: Patient:innen, die mit Torasemid therapiert werden, sind nicht selten gleichzeitig herzkrank. Zur Einnahme der Entwässerungsmittel kommen demnach weitere Tabletten, die geschluckt werden müssen. „Man stelle sich geriatrische Patient:innen vor, die sowieso schon viele Medikamente einnehmen. Da leidet schnell die Compliance, die Menschen verlieren schlicht den Überblick“, so Schierle.

In einer Mail an Lauterbach thematisiert die Apothekerin die Szenarien, die sich täglich in dieser Weise in der Apotheke abspielen: „Ich frage Sie als Privatperson. Denken Sie, dass so eine ordentliche Therapie stattfinden kann? Können Sie sich den Erklärungsbedarf vorstellen, um Patienten die Angst vor fremden Tabletten zu nehmen?“ Das sind nur einige der kritischen Fragen, die Schierle an Lauterbach persönlich richtet.

Amoxicillin-Chaos

Eine weitere katastrophale Situation habe sich kürzlich in Bezug auf die schlechte Verfügbarkeit des Antibiotikums Amoxicillin ereignet: „Ich habe ein Rezept über 750 mg Amoxicillin 20 Stück entgegengenommen. Natürlich war diese Stärke zu diesem Zeitpunkt nicht verfügbar“, so Schierle. Um den Patienten versorgen zu können, habe sie dann aus zwei Packungen auseinzeln müssen. „Jetzt wird es völlig verrückt. Ich habe aus einer Packung Amoxicillin 500 mg zehn Tabletten rausgenommen und aus einer Packung Amoxicillin 1000 mg auch 10 Tabletten ausgeeinzelt. Der Patient musste dann jeweils beide Tabletten teilen, um am Ende auf die ursprünglich verordnete Dosis von 750 mg zu gelangen.“

Beide Packungen des Antibiotikums seien zudem von unterschiedlichen Firmen gewesen. „Glücklicherweise hat der Patient meine Einnahmehinweise gut verstanden. Anders sieht solch ein Vorgehen bei älteren Menschen aus, da kann man eigentlich nur noch hoffen, dass die Medikamente richtig eingenommen werden“, so Schierle. Solche Szenarien geben der Apothekerin Anlass für weitere Mails an Lauterbach: „Ich werde nicht lockerlassen und den Gesundheitsminister mit meinen Nachrichten nerven.“

„Am Ende sind wir die Doofen“

„Es gibt mittlerweile kaum noch ein Rezept, was wir ganz normal bearbeiten können. Die Lieferengpässe ziehen sich durch jegliche Wirkstoffe“, so die Inhaberin. „Wir machen jeden Tag Spagat ohne Ende und müssen die Suppe trotzdem auslöffeln.“

Schierle versteht nicht, warum die Politik nicht aus den letzten Fehlern lernt: „Was das Drama für die Apotheken bedeutet, ist der Politik doch egal. Es geht, wie immer, nur um das Geld. Dabei müssen einfach Rahmenbedingungen geschaffen werden, die gewährleisten, dass alles funktioniert.“

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