100 Kilometer für ein Antibiotikum

„Hinter jedem einzelnen Lieferengpass steht ein Mensch“

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Berlin -

Das Team der Storchen-Apotheke im niederbayerischen Gerzen kämpft wie alle anderen Apothekenmitarbeiter:innen in Deutschland täglich mit den Lieferengpässen. Apothekerin Ingrid Schierle hat eine der vielen Situationen aufgegriffen und diese zum Anlass genommen, eine Mail an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu schreiben. Sie fordert ihn auf, die belastende Situation für die Bevölkerung endlich wahrzunehmen und die medizinische Versorgung sicherzustellen. Von ihren Kolleg:innen wünscht sie sich, ebenfalls ans Bundesgesundheitsministerium (BMG) zu schreiben.

Über die Chat-Funktion der Website kam die Verfügbarkeitsanfrage zu einem Cefaclor-Saft. Als diese von Schierle bestätigt werden konnte, rief sofort die Mutter eines erkrankten Kindes an und fragte, ob dies wirklich seine Richtigkeit habe. Sie bat darum, das Antibiotikum zurückzulegen. Man werde sich direkt auf den Weg machen und den dringend benötigten Saft abholen.

Eine Weile ist allerdings bis zur Abholung vergangen – der Vater des Kindes musste schließlich erst einmal einen Fahrtweg von knapp 50 Kilometern zurücklegen. Alle näher gelegenen Apotheken konnten das Rezept nicht beliefern. Die Storchen-Apotheke war bereits der achte Betrieb, den die Eltern angefragt hatten.

Herr Lauterbach, bitte hören Sie auf, zu behaupten, es gäbe keine Lieferengpässe und die Situation hätte sich entspannt!

Es sei schlichtweg Wahnsinn, dass sich Eltern für ihr krankes Kind erstmal auf die Suche nach einem Antibiotikum oder fiebersenkenden Mitteln machen müssten. „In der ländlichen Gegend hier im Kreis Landshut gibt es ohnehin nicht mal alle zehn Kilometer eine Apotheke. Wenn erstmal acht Betriebe abgeklappert werden müssen, um endlich das benötigte Arzneimittel zu bekommen, legt man ordentliche Wege zurück. Im Notdienst ist die Situation dann umso dramatischer. Da sind die geöffneten Apotheken noch reduzierter. Eltern fahren dann bis zu 100 Kilometer, um diesen verdammten Saft zu bekommen. Das ist doch abartig!“ Früher habe man keinen Gedanken daran verschwenden müssen, dass man hier in Deutschland sein Medikament nicht bekommen könnte. Inzwischen sei dies zum Spießrutenlauf geworden. „Das ist kein Zustand mehr.“

Lauterbach muss endlich handeln

Schierle fordert Lauterbach in ihrer Mail auf, endlich der Realität ins Auge zu blicken und die Dramatik der Lieferengpasssituation wahr und ernst zu nehmen. Lange könne man dieses Flickwerk nicht mehr am Laufen halten.

In keinster Weise hat sich das Bild entspannt, schon gar nicht bei Kinderarzneimitteln:

Penicillin? – Pustekuchen!

Überhaupt sei so ein Defekt nicht nur ein Begriff, der im Raum steht: „Hinter jedem einzelnen Lieferengpass steht ein Mensch mit einem gesundheitlichen Problem, welches im Zweifel nicht behoben werden kann!“ Lauterbach müsse endlich dafür Sorge tragen, die Lieferketten schnellstmöglich zu stabilisieren. Darüber hinaus sollten Apotheker:innen für die Mehrarbeit angemessen entlohnt werden.

Apotheken brauchen mehr Freiheiten

„Geben sie den Apotheken die Beinfreiheit, die sie brauchen, um die Engpässe zu managen, ohne dass sie Gefahr laufen, ein Jahr später darüber eine Retaxation zu erhalten! Vergeuden Sie die vorhandenen Mittel nicht dafür, Parallelstrukturen in Form von Gesundheitskiosken aufzubauen, sondern stärken Sie damit die bestehenden und zuverlässig arbeitenden Strukturen vor Ort!“

Alle oder möglichst viele Kolleg:innen sollten Briefe und Mails an Lauterbach schreiben und ihre Situationen schildern. Es müsse dem Ministerium bildlich gemacht werden und in den Köpfen der Politik ankommen, wie viele Schicksale an jedem einzelnen Lieferengpass hängen.

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