Aufruf an Kolleg:innen

„Seid laut und kämpft nicht still vor euch hin!“

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Berlin -

Andrea Prochaska, Inhaberin der Sonnen-Apotheke in Mönchengladbach, fühlt sich politisch nicht gut vertreten und macht ihrem Ärger über die aktuelle Situation von Apotheken in einem Brief an ihre Kammer Luft. Sie fordert ihre Kolleginnen und Kollegen auf, ebenfalls endlich laut zu werden.

Ob kleine oder große Apotheken – allesamt haben laut Prochaska die gleiche Problematik. Sie kennt niemanden unter ihren Kolleginnen und Kollegen, die oder der sich in der aktuellen Lage verstanden oder gar vertreten fühle: „Wir befinden uns auf verlorenem Posten, vor allem, wenn man sieht, wie politisch mit uns umgegangen wird.“

„Ich bin inzwischen bei der täglichen Arbeit der Verzweiflung nahe“, schreibt sie in einem Brandbrief an Kammerpräsident Dr. Armin Hoffmann und den gesamten Vorstand. Die Beschaffung von wichtigen Arzneimitteln finde nicht mehr auf „normalem“ Wege statt, sondern koste sie und ihr Team täglich mehrere Stunden zusätzliche Arbeitszeit. „Das kann ich mal für eine gewisse Zeit leisten. Ich bin alte Häsin und seit über 24 Jahren selbständig und Verbandsmitglied und Kammermitglied, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie es zukünftig weiter gehen soll.“

Vor zwei Wochen habe sie eine Revision in der Apotheke gehabt. „Dabei ist mir erst einmal bewusst geworden, was wir für Leistungen mal so eben nebenbei erbringen!“ Alleine die Dokumentation und der Anspruch ans QMS seien „Wahnsinn“, so Prochaska. „Von wem wird das wertgeschätzt und vergütet?“

Frustration in vielen Apotheken

Anfangs habe sie noch gedacht, sie sei „zu doof, um diese Aufgagen zu meistern“. Dann hätte die erste Kollegin weinend bei ihr angerufen, ein weiterer Kollege verzweifelt um Rat gefragt. Auf einer Fortbildung habe sie nur frustrierte, aber eigentlich von ihrem Beruf begeisterte Kollegen getroffen – „wir sind viele!“ Sie habe zwei Kindern im Alter von 19 Jahren, die „glücklicherweise“ nicht den Berufswunsch Apotheker hätten. „Ist das nicht schrecklich, dass ich so denke?“

Sie liebe ihren Beruf und sei jeden Tag in ihrer Apotheke im HV präsent. „Ich liebe Herausforderungen und Weiterentwicklungen, aber was hier passiert ist eine Katastrophe. Sie lassen uns sehenden Auges ins offene Messer laufen. Sie geben Geld aus um Nachwuchs zu rekrutieren – aber wer will noch in der öffentlichen Apotheke unter diesen Bedingungen arbeiten?“

Ihre Interessen sehe sie öffentlich nicht vertreten: „Ich fühle mich weder verstanden, noch unterstützt, ich fühle mich hilflos den Kassen und ihren mit den Verbänden abgeschlossen Verträgen ausgeliefert. Wie konnten Verbände überhaupt Verträge mit der Möglichkeit einer Nullretaxation abschließen?“

Es kann nicht sein, dass ein AOK-Vizechef, der AOK Rheinland/Hamburg, eine der größten Krankenkassen, ungestraft Äußerungen tätigen kann, die uns Apotheker:innen denunzieren.

Geärgert hat sie sich über die Behauptung von Matthias Mohrmann, Vize der AOK Rheinland/Hamburg, Apotheken nutzten die Abgabeerleichterungen aus und belasteten damit das System finanziell, die seitens Verband und Kammer unverständlicherweise nicht richtiggestellt worden sei. „Das hätte ich zumindest vom Pressesprecher der Abda erwartet. Der Vorwurf, Apotheken würden unberechtigt und unseriös Sonderpharmazentralnummern aufs Rezept drucken, in einer Zeit, wo es einfach nichts gibt, ist ein glatter Betrugsvorwurf. Das ist rufschädigend. Und das wird öffentlich gemacht – ohne Gegendarstellung.“

Kein Geld – keine Rohstoffe

Über die Aussage von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), die schlimmsten Lieferengpässe seien überwunden, ärgert sich Prochaska ebenfalls: „Ich kenne keinen Apotheker, der momentan was bekommen kann.“ Die Engpässe gebe es nach wie vor in aller Dramatik – und diese beruhen nicht nur darauf, dass die Wirkstoffe aus China nicht mehr zu bekommen seien. Es liege schlichtweg daran, dass Deutschland einfach zu wenig dafür bezahle – und das seit Jahren.

Und wenn ich sehe, dass jetzt wieder neue Rabattverträge abgeschlossen wurden, dann sehe ich, dass die Politik rein überhaupt gar nichts verstanden hat.

Das Problem der Arzneimittelknappheit sei schon lange bekannt, aber nie so aufgefallen, weil Apotheker nicht laut genug seien. „Wir arbeiten erstmal alles ab und finden Lösungen. Da machen wir keinen Aufstand.“ Erst mit dem deutschlandweiten Engpass von Tamoxifen sei man allmählich aufgewacht. „Das war dann schon dramatisch.“ Denn klar sei gewesen, dass das Medikament für Brustkrebspatientinnen im europäischen Ausland zu bekommen war, nämlich aus Frankreich und Italien. Wie konnte es also sein, dass Deutschland nicht beliefert wurde? Für die extrem hohen Produktionsauflagen sei fast kein Geld mehr bezahlt worden. „Somit haben die Hersteller beschlossen: Wenn Deutschland kein Geld mehr bezahlt, dann liefern wir auch nicht mehr.“

„Sind fernab der Realität“

Für Antibiotika werden nun 50 Prozent mehr an die Hersteller bezahlt, was plakativ und groß beworben werde. Prochaska schätzt, dass bislang vielleicht 2,80 Euro für 100 ml Saft bezahlt wurden. In den Herstellungskosten seien aber das Glas, die Verpackung und alles andere auch schon inklusive gewesen. „Was soll das also bedeuten: 50 Prozent mehr? Worüber reden wir hier? Das ist doch illusorisch! Und das wird plakativ so aufgemacht, als würden die nun den Wahnsinn verdienen. Und auch das stellt einfach niemand richtig.“

Keine Zeit für Patient:innen

Eigentlich will die Inhaberin mit ihrem Team in ihrer Apotheke mehr Zeit und Energie in die Durchführung pharmazeutischer Dienstleistungen stecken, aber sie kommen kaum dazu. „Wir sind die ganze Zeit nur damit beschäftigt zu gucken, wo wir Medikamente herbekommen.“ Die tägliche Arbeitsablauf habe sich komplett geändert: „Es ist nicht mehr so, dass der Patient, der vorn steht, die Hauptrolle spielt. Sondern es geht nur noch um Warenbeschaffung.“

Desweiteren habe die Präqualifizierung nichts mit der Realität zu tun. „Ich muss mich präqualifizieren lassen, um Pennadeln für Diabetiker abgeben zu dürfen? Hallo, ich habe drei Staatsexamen! Das ist doch nicht normal. Das sind Ideen der Krankenkassen, um uns rauszuschmeißen.“ Desweiteren kann Prochaska über das neue Medizinproduktegesetz nur den Kopf schütteln. „Was man alles dokumentieren muss, um ein Blutdruckmessgerät abzugeben, das es auch bei Aldi gibt – wir sind ja im Irrenhaus.“

Appell an Kolleg:innen

Prochaska ruft alle Apothekenmitarbeiter:innen dazu auf, sich stark zu machen und laut zu sein. „Wir dürfen das nicht hinnehmen und still vor uns hinkämpfen. Jetzt ist Feierabend!“ Jede:r habe die Chance, etwas zu tun und sich gegen diese fehlgeleitete Gesundheitspolitik zu wehren. Es müsse eine Gesetztesänderung her, die weder Nullretax noch Präqualifizierungen vorsehe. Apotheker:innen sollten ihre zuständigen Kammern, Verbände und Lokalpolitiker anrufen, zu sich in den Betrieb einladen und zeigen, was vor Ort abläuft. „Wir müssen eine Betroffenheit bei den Politikern erzeugen.“ Alle Apothekerinnen und Apotheker seien aufgerufen, mit dem Bundestagsabgeordneten aus dem eigenen Kreis zu sprechen und diese in den Apotheken die Dramatik erleben zu lassen.

Wenn wir alle die Klappe halten und keiner etwas sagt, dann passiert nix.

Das BMG müsse regelmäßig mit Post bombardiert werden. Nicht nur vereinzelt, sondern in der Masse. Die Postkartenaktion der Freien Apothekerschaft sei eine super Sache: „Aber sowas muss auch gelebt werden und da muss mitgemacht werden! Sonst bringt das alles nichts.“

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