Apotheker schreibt an Lauterbach

Triage am HV: Bodybuilder oder Scharlachkind?

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Berlin -

Die Engpässe bei Antibiotika können Apotheken zu schwerwiegenden Entscheidungen nötigen, warnt Apotheker Dr. Christian Fehske. In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beschreibt er sein persönliches „Alptraum-Szenario“: Triage am HV-Tisch.

Weil er aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) keine Lösungen erkennen kann, wendet sich der Inhaber der Rathaus-Apotheke im westfälischen Hagen direkt an Lauterbach. Sein Beispiel geht so:

„Freitagabend, zwei Patienten wollen gleichzeitig das gleiche Antibiotikum, leider gibt es nur noch eine Packung in der Apotheke – was nun? An Beratungsplatz 1: Sonnengebräunter Bodybuilder, privatversichert, will sein Antibiotikum perioperativ für die nächste Tätowierung. An Beratungsplatz 2: Mutter mit Scharlach-krankem Kind, inklusive angeborenem Herzfehler – es kann die noch vorhandenen Tabletten zwar nicht schlucken, eine Rezeptur-Saftherstellung wäre dank ApothekerInnen erarbeiteter Vorschrift (DAC/NRF) aber möglich. Los geht die Triage am HV, die man Ärzten in der Pandemie um jeden Preis ersparen wollte, die für ApothekerInnen aber offenbar zumutbar erscheint.“

Aus medizinischer Sicht steht das Infektionsrisiko durch eine geplante Tätowierung einer akuten Scharlach-Infektion gegenüber, mit Risiken von Ansteckungen anderer Kinder, sowie lebenslanger Folgeerkrankungen gerade des Herzens. Klarer Fall: „1:0 für Mutter und Kind.“

Bei wirtschaftlicher Betrachtung müsste der Apotheker die Tabletten an den Privatversicherten abgeben und den vollen Preis nach Arzneimittelpreisverordnung sofort erhalten. Denn auf der anderen Seite stehe eine kaum kostendeckende Rezeptur, deren Kostenübernahme ohne Arztrücksprache nicht geklärt sei, außerdem der Kassenabschlag, zeitlicher Verzug bei der Erstattung und erst nach über einem Jahr die Gewissheit, dass es nicht als Nullretaxation komplett zurückgezahlt werden muss.

„Was nun, Herr Lauterbach? Kassenschublade auf, und Münze werfen?“, fragt Fehske den Minister. „Oder sollten nicht eher Sie die Kassenschublade aufmachen, damit sozial Schwächere nicht in Phasen der Medikamentenknappheit die schlechteren Karten haben und Rezepturen zur Überbrückung auch problemlos für GKV-Versicherte hergestellt werden können?“

Fehske vermisst konstruktive Lösungsvorschläge zur akuten Linderung der Versorgungsprobleme, wie ein zentral organisierter Import wie bei Tamoxifen, oder zumindest Importerleichterungen. Bei der „vorletzten“ Pandemieplan sei Oseltamivir an Apotheken verteilt worden. In Österreich sei die Kostenübernahme für „Überbrückungsrezepturen“ jetzt umgesetzt worden.

Fehske schildert dem Minister den Alltag in der Offizin: „Meine Mitarbeiter:innen berichten mir inzwischen, schon zusammenzuzucken, wenn eine Mutter mit Kind die Apotheke betritt. Und ich hatte schon marcumarisierte Zahnarzt-Patienten, die auf ihrer Suche nach einem Antibiotikum sprichwörtlich eine Blutspur von Apotheke zu Apotheke hinter sich hergezogen haben: Das kann doch nicht Ihr Anspruch an ‚Versorgung vor Sparzwang‘ sein?“

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