Jahresbedarf schon ausgeliefert

750.000 Antibiotika-Säfte: Infectopharm am Limit

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Berlin -

Infectopharm hat viele Antibiotika-Säfte im Portfolio und deckt große Teile des Marktes ab. Aktuell kämpft auch das Unternehmen mit Lieferengpässen, die gestiegene Nachfrage sei von einem einzelnen Hersteller alleine nicht zu decken.

Täglich erhält Infectopharm zahlreiche Anrufe, von Apotheken, Ärzt:innen und auch Patient:innen: „Sie erkundigen sich nach konkreten Gründen und fragen nach dem Ende bestimmter Lieferknappheiten“, heißt es. Infectopharm sei der letzte verbliebene deutsche Hersteller von Antibiotika-Säften. „Wir handeln hier nicht mit Aussicht auf Gewinn, sondern aus Überzeugung und Verantwortung. Mit großer Kraftanstrengung ist es uns gelungen, den Markt mit überdurchschnittlichen Mengen zu versorgen. Dennoch werden wir täglich für die Mangelsituation verantwortlich gemacht“, beklagt Geschäftsführer Dr. Markus Rudolph.

In einem durchschnittlichen Jahr vor der Pandemie seien 600.000 bis 800.000 Packungen Penicillin verordnet und abgegeben worden, so Rudolph. Als Spezialist für Kinderarzneimittel habe man davon etwa 80 Prozent abgedeckt. Während Corona seien die Absätze stark eingebrochen, viele Infektionen seien ausgeblieben, nur wenige Kinder krank geworden. Der Bedarf sank auf lediglich 250.000 Packungen pro Pandemiejahr. Der Rest musste entsorgt werden, was dem Unternehmen erhebliche finanzielle Einbußen bescherte.

Das tut besonders weh, da das Geschäft mit den Kinderarzneimitteln wie Antibiotika- und Fiebersäften alles andere als lukrativ ist. Viele Anbieter haben sich deshalb auch schon aus dem deutschen Markt zurückgezogen, von elf Herstellern im Jahr 2003 sind heute nur noch zwei übrig. Für die antibiotischen Säfte – Infectopharm hat neun verschiedene im Portfolio – seien die Festbeträge, die teilweise vor etwa 30 Jahren vereinbart wurden, nicht gestiegen, so Rudolph: Der meistverordnete Penicillin-Saft werde mit weniger als zwei Euro netto vergütet. „War dieser Preis von knapp zwei Euro vor 30 Jahren noch wirtschaftlich, ist er es heute längst nicht mehr.“

Trotzdem habe man auch 2022 wieder einen durchschnittlichen Jahresbedarf auf Vorrat produziert. In diesem Winter, der voller „Nachholinfektionen“ war, reichte das allerdings nicht aus: Alleine zwischen Oktober und März wurden laut Infectopharm 750.000 Packungen Penicillin-Säfte ausgeliefert, 97 Prozent des Marktes habe man damit bedient. Oder anders ausgedrückt: In den ersten drei Monaten dieses Jahres gingen schon mehr Packungen über die HV-Tische als sonst durchschnittlich in einem halben Jahr. „Die ganze Last liegt auf der Schulter eines Anbieters – und der verdient damit nicht einmal Geld“, fasst Rudolph zusammen.

Ein Jahr Vorlaufzeit

Eine kurzfristige Steigerung der Produktion ist nach seinen Angaben nicht möglich, „die Vorlaufzeiten in der Produktion betragen üblicherweise mehrere Monate – aktuell acht bis zwölf“. Die Reduktion auf einen oder wenige Wirkstoff- und Arzneimittelproduzenten weltweit habe zur Folge, dass das System nicht mehr flexibel auf erhöhte Bedarfe reagieren könne. Bei steigenden Bedarfen weltweit sei es „geradezu logisch“, dass ein international agierendes Unternehmen Märkte präferiert bediene, in denen mehr verdient werden könne als in Deutschland.

„Wir können versichern, dass wir bei all unseren Antibiotikasäften sehr große Mengen in den Markt gegeben haben“, so Rudolph. „Wir stehen im engen Kontakt mit unseren Zulieferern, arbeiten an langfristig stabilen Lieferketten und versuchen unser Möglichstes, Bestellungen zu beschleunigen.“

Im Dezember hatte Infectopharm die Preise für mehrere Produkte über Festbetrag angehoben und in einem offenen Brief an Karl Lauterbach auf die Unwirtschaftlichkeit der Produktion hingewiesen. Zwar tut sich jetzt etwas im Bereich der Kinderarzneimittel, auf den Infectopharm ja spezialisiert ist. Dennoch sieht Rudolph die Sache nüchtern: „Wir möchten nochmal darauf hinweisen, dass das Festbetragssystem bei allen Arzneimitteln ausnahmslos früher oder später zu ähnlichen Lieferengpässen führen wird“, lautet seine Progonose. „Die Systematik kennt nur Preissenkungen, Erhöhungen der Festbeträge sind quasi nicht möglich. Somit führt es bei allen Wirkstoffen Schritt für Schritt zu einer Verdichtung der Anbieter und einer Abwanderung der Produktion in Länder, in denen wesentlich preiswerter produziert werden kann. Wir haben ein sehr ernstes systemisches Problem, das zügig behoben werden muss.“

Und Philipp Zöller wird als Geschäftsführender Gesellschafter ebenfalls deutlich: „Wir müssen uns in Deutschland schon fragen, was wir wollen! Das Festbetragssystem wird früher oder später bei jeder Substanz die Marge komplett auffressen und die Arzneimittelversorgung in Deutschland massiv gefährden. Lieferengpässe nehmen jedes Jahr zu, das wird unweigerlich so weitergehen! Keiner macht, was unwirtschaftlich ist. Wir warnen nachweislich seit vielen Jahren vor dieser extrem ernsten Situation.“

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