Zyto-Skandal

Pfusch-Apotheker: 56 Millionen Euro Schaden

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Berlin -

Im Skandal um gestreckte Krebsmedikamente hat die Staatsanwaltschaft Essen jetzt Details aus ihrer 820 Seiten umfassenden Anklageschrift bekannt gemacht. Dem mutmaßlichen Pfusch-Apotheker Peter S. werden schwere Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz (AMG), gewerbsmäßiger Betrug und versuchte Körperverletzung vorgeworfen.

Die Staatsanwaltschaft hat am 11. Juli beim Landgericht Essen (LG) Anklage gegen den 47-jährigen Apotheker aus Bottrop erhoben. S. wird vorgeworfen, von Anfang 2012 bis zu seiner Festnahme am 29. November 2016 bei der Herstellung von Sterilrezepturen von den geltenden Herstellungsregeln und ärztlichen Verordnungen abgewichen zu sein.

Die Anklage geht von 61.980 Fällen aus, in denen er Zubereitungen unter Verstoß gegen die Vorschriften in den Verkehr gebracht hat. Jeder einzelne Fall wird als besonders schwerer Fall des Verstoßes gegen das AMG qualifiziert – hier drohen jeweils bis zu zehn Jahre Haft.

Diese Fälle umfassen alle Abgaben von Zubereitungen aus einer Liste von 35 Medikamenten, bei denen die Staatsanwaltschaft signifikante Mengenabweichungen bei Einkauf und Abrechnung festgestellt hat. Bei der Festnahme wurden zum Teil Präparate mit weiteren Wirkstoffen sichergestellt. Betroffen sei „eine niedrige vierstellige Zahl von Patienten“, bestätigte eine Behördensprecherin.

Außerdem wird S. der versuchten Körperverletzung in 27 Fällen angeklagt. Dabei geht es um Zubereitungen, die bei der Festnahme in der Apotheke sichergestellt wurden. Diese ausweislich der Etikettierung von S. eigenhändig hergestellten Proben wiesen laut Laboruntersuchungen erhebliche Mindermengen an den verschriebenen Wirkstoffen auf. Hier können konkrete Patienten benannt werden, die geschädigt werden sollten. Als Strafe kommen fünf Jahre Haft oder Geldstrafe in Betracht, wobei der Versuch mit einer geringeren Buße belegt werden kann.

Schließlich geht die Anklage von 50.435 Rezepten aus, die mit den Krankenkassen zu Unrecht als ordnungsgemäß erbrachte Leistungen abgerechnet worden sind. Hier hat die Staatsanwaltschaft der Einfachheit halber Privatrezepte und Sonderabrechnungen nicht berücksichtigt. Im Tatzeitraum sollen so 59 Sammelabrechnungen den Tatbestand des gewerbsmäßigen Betruges erfüllen. Diese Kategorie gehört zu den schweren Fällen, die laut Strafgesetzbuch (StGB) mit sechs Monaten bis zehn Jahren pro Fall bestraft werden können. Der errechnete Schaden für Krankenkassen beläuft sich auf eine Summe von rund 56 Millionen Euro.

S. wird zur Last gelegt, die Beschaffungspraxis der Apotheke systematisch so ausgerichtet zu haben, dass es von vornherein unmöglich war, die große Vielzahl der von ihm vertriebenen Zubereitungen mit den verschriebenen Wirkstoffen in den verschriebenen Mengen herzustellen. Er soll die Zubereitungen daher in einer nicht näher quantifizierbaren Vielzahl von Fällen mit deutlich weniger Wirkstoff als ärztlich verordnet in den Verkehr gebracht haben.

Außerdem soll er sich nicht an die für ein Reinraumlabor geltenden strengen Hygienevorschriften gehalten und gegen Dokumentationsvorschriften wie das Vier-Augen-Prinzip und Prüfprotokolle verstoßen haben. Gleichwohl habe er die Zubereitungen als ordnungsgemäß erbrachte Leistungen mit den Krankenkassen abgerechnet.

Die Staatsanwaltschaft will erst in ihrem Schlussplädoyer verkünden, welches Strafmaß aus der Summe der Einzeltaten gefordert wird. In Essen war ein auf Abrechnungsbetrug spezialisierter Ermittler mit dem Fall befasst, er erhielt Unterstützung von der Kreispolizeibehörde Recklinghausen. Dort hatte man eigens für die Analysen neue Hardware angeschafft.

Der Angeschuldigte befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft; sollte die Hauptverhandlung bis Mitte September nicht eröffnet werden, müsste die Staatsanwaltschaft noch einmal Verlängerung beantragen.

Im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen den Apotheker haben viele Patienten und Hinterbliebene Strafanzeigen wegen Körperverletzungs- und Tötungsdelikten erstattet. Dieser Personenkreis wird in diesen Tagen von der Staatsanwaltschaft individuell angeschrieben.

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