Protestaktion „Der letzte Kittel“

Gemeinsam gegen Lauterbach

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Berlin -

Vertreter:innen mehrerer Heilberufsgruppen protestieren heute in Berlin gegen die Politik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Fachkräftemangel, die Honorierung und eine überbordende Bürokratie zählen zu den zentralen Themen der Aktion „Der letzte Kittel“. Im Anschluss sollen mehrere beschriftete Kittel an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) übergeben werden. In der Nähe des Ministeriums ist am frühen Nachmittag eine Kundgebung geplant.

Die IG Med Vorsitzende Dr. Ilka Enger erklärte den gemeinsamen Auftritt: „Bis jetzt fußte Gesundheitspolitik auf dem Prinzip ‚Divide et impera‘. Das wollen wir anders gestalten.“ Alle Heilberufler:innen erlebten zu viel Bürokratie und eine nicht mehr passende Honorierung. Die Krankenkassen hätten inzwischen eigene Abteilung, um die Abrechnungen zu prüfen und aufgrund von Formfehlern nicht zu zahlen – Jahre später. „Das ist ein Problem, das uns alle eint.“

Die Pressekonferenz der Freien Apothekerschaft und IG Med im Video

Enger weiter: „Und das ist vor allem ein Problem für die Patientinnen und Patienten, weil wir alle am Limit arbeiten und wir uns zusätzlich zu Tode dokumentieren.“ Damit fehle die Zeit für die Behandlung. Das Problem werde sich verschärfen: 40-50 Prozent der Mediziner:innen sei über 60 Jahre alt. „Und es kommen keine Jungen nach.“ Drei Forderungen richtet die Ärztin an Lauterbach: „Zahlt uns endlich ordentlich, nehmt uns die Bürokratie aus dem Kreuz und nehmt uns die Angst vor Sanktionen und Strafzahlungen.“

Mehr Geld, weniger Bürokratie

Die Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, Daniela Hänel, beschrieb die aktuelle Versorgungssituation als „katastrophal“. „Um heute hier sprechen zu können, habe ich meine Apotheke heute wegen Fachkräftemangel schließen müssen.“ Den Verlust nehme sie in Kauf, weil es wichtig sei.

Die Verantwortung trägt aus Sicht der Apothekerin der aktuelle Gesundheitsminister. Lauterbach habe schon vor 20 Jahren mit der damaligen Ministerin Ulla Schmidt (SPD) den Grundstein für diese Misere gelegt. „Die Büchse der Pandora wurde geöffnet, als der Versandhandel mit Arzneimitteln erlaubt wurde.“ Das Rx-Versandverbot zählt zu den Forderungen der Freien Apothekerschaft.

Das Entgelt der Apotheken sei vor 20 Jahren festgelegt worden. „Unsere Teams haben eine wesentlich höhere Honorierung verdient“, so Hänel. Konkret fordert sie eine Erhöhung des Fixums auf mindestens 12 Euro plus 5 Prozent sowie einen jährlichen Inflationsausgleich. Ein Verbot von Nullretaxationen und Zertifizierungen der Krankenkassen sowie allgemein Bürokratieabbau sind die weiteren Forderungen der FA.

Nicht honorierte Dienstleistungen

Die Apotheken müssten aktuell mindestens 20 nicht honorierte Dienstleistungen erbringen, das Inkasso für die Hersteller tragen und Systeme wie Securpharm unentgeltlich umsetzen. Bei steigender Inflation und höheren Tarifverträgen sei der Druck weiter hoch. Entsprechend sei die Anzahl der Vor-Ort-Apotheken drastisch gesunken, allein 2022 um fast 400 Standorte. Hänel verwies auf das Rechtsgutachten, das ein Mitglied auf eigene Kosten in Auftrag gegeben hat. Demnach könnte sogar eine Klage Aussicht auf Erfolg haben, mit der der Gesetzgeber zu einer Anpassung des Honorars verpflichtet werden könnte.

Zahnärztin Anette Apel sprach für die Vereinigung unabhängiger Vertragszahnärzte (VUV) aus Niedersachsen. „In der Zahnmedizin sind die gleichen Probleme vorhanden: Überbordenden Bürokratie, das Honorar ist regressbehaftet.“ Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz seien Honorare um 0,75 Prozent abgewertet worden. Für 2024 seien weitere Kürzungen vorgesehen.

Logopäde Thomas Etzmuß vom Verein Vereinte Therapeuten schilderte die Honorarsorgen der medizinischen Therapeuten: „Um wirklich wirtschaftlich arbeiten zu können, fehlen uns 30 bis 40 Prozent.“ Auch die Therapeuten leiden unter nicht bezahlten Rechnungen aufgrund von Formfehlern. Etzmuß fordert die Kolleg:innen auf, das Honorar für erbrachte Leistungen notfalls persönlich einzufordern: „Ich laufe auch bei der Krankenkasse rein im Berufsverkehr und ich krieg‘ mein Geld.“

Hausarzt Dr. Steffen Grüner fasste die Lage in den Praxen so zusammen: „Wir brauchen ausreichend Fiebersäfte und Antibiotika, bevor wir uns in Digitalisierung stürzen.“ Letztere habe schon 14 Milliarden Euro gekostet, bislang aber keinerlei Mehrwert gebracht, weder für die Versicherten noch für die Praxen. Deswegen würden die Patient:innen jetzt mit der Opt-Out-Regelungen quasi zur elektronischen Patientenakte (ePA) gezwungen. Grüner wiederum müsse erst einmal 500 Euro an die Bundesdruckerei zahlen, um überhaupt Zugriff auf das System zu haben. Seine Kritik: „Wenn ich für das elektronische Rezept deutlich länger brauche als für den rosa Zettel, den ich dem Patienten in die Hand drücke, dann ist das verfehlt.“

Der Hausarzt fordert zudem, dass die Praxen beim Datenschutz aus der Haftung gelassen würden. Schließlich seien sie verpflichtet, 24/7 für die Krankenkassen online zu sein und die Daten ihrer Versicherten zu verarbeiten. Grüner kann verstehen, dass sich immer weniger junge Kolleg:innen selbstständig machen möchten. Sein Beruf mache ihm immer noch großen Spaß. „Aber wenn das an die finanzielle Grundsubstanz geht, wird es schwierig.“ Und wenn Apotheke, Therapeut und der Hausarzt aus dem Ort verschwinden, „dann gehen da irgendwann die Lichter aus.“

Kundgebung beim BMG

Die Aktion „Der letzte Kittel“ läuft seit vier Wochen, bei der Heilberufler:innen der verschiedenen Berufsgruppen ihre Arbeitskleidung in drei Wellen an das BMG geschickt hatten. Allerdings seien Pakete mit Absender nicht angenommen und zurückgeschickt worden. „Deswegen bringen wir sie ihm jetzt persönlich vorbei“, so Enger. Die Heilberufler:innen treffen sich um 14 Uhr hinter der Komischen Oper, in der Nähe des BMG. Nach einer Kundgebung werde die Delegation Lauterbach die Kittel vorbeibringen.

Anschließend ist die nächste Aktion geplant: Praxen und Apotheken können bei der IG Med Postkarten bestellen, die an die Patient:innen verteilt werden können. Diese sollen sie an Minister Lauterbach schicken.

Der Protest des Bündnisses habe als Schneeflocke begonnen, sich zu einem Schneeball entwickelt und könne zu einer Lawine werden. „Und wenn Herr Lauterbach nicht aufpasst, wird er ein Lawinenopfer“, so Enger.

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