Praxen und Apotheken gemeinsam

„Der letzte Kittel“ – Protestaktion gegen Lauterbach

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Berlin -

„Die derzeitige Gesundheitspolitik ist ‚DAS LETZTE‘“. Mit diesen barschen Worten kündigen die Vereine Freie Apothekerschaft (FA) und IG Med eine bundesweite Protestaktion an. Apotheker:innen, Ärzt:innen und weitere Heilberufe sollen „letzten Kittel“ in einen Briefumschlag packen und an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schicken. Ende März wollen die beiden Protestgruppen dann nach Berlin ziehen.

Seit seiner Zeit als Berater der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sei Lauterbach im Hintergrund und nun auch in verantwortlicher Position als Gesundheitsminister für die Fehlentwicklungen im Gesundheitssystem mitverantwortlich, schreiben Freie Apothekerschaft und IG Med. „Das Gesundheitsreformgesetz aus dieser Zeit legte den Grundstein für den Ruin in der medizinischen Versorgung in Deutschland, der jetzt zu dem Desaster führt, unter dem unsere Patienten, unsere Mitarbeiter und vor allem wir, als diejenigen, die das System noch irgendwie am Laufen gehalten haben, jetzt leiden.“

Die beiden Zusammenschlüsse führen eine Reihe von Missständen an, die aus ihrer Sicht zunehmend die Versorgung gefährden:

Regress und Retax

Das Apothekensterben lasse pro Jahr fast 400 Apotheken von der Landschaft verschwinden. Der Apotheker hafte aber für die Verordnung genauso wie der Ärzte quasi mit seinem Privatvermögen – gebe es formale Fehler im Rezept oder sei das Medikament nach Ansicht der Krankenkassen nicht wirtschaftlich, gebe es keinen Cent. „DAS IST DAS LETZTE!“

Ähnliche Probleme prangern die beiden Vereine im Bereich der Arzt- und Zahnarztpraxen an: Leistungen würden „kaputtgekürzt“, die Praxen seien zum Bersten voll. „Die verbliebenen Kollegen pfeifen auf dem letzten Loch – körperlich, seelisch und finanziell.“ Auch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und anderen medizinischen Heilmittelerbringer müssten darum kämpfen, dass ihre Leistungen wirklich bezahlt und nicht wegen Formfehlern abgesetzt würden. Notärzte suchten verzweifelt nach Betten für schwer erkrankte oder verunfallte Menschen – sie selbst seien dabei massiv unterbezahlt.

Spargesetz und E-Rezept

„Die Kranken Kassen verwalten sich für 11 Milliarden Euro selbst zu Tode und verweigern im Gegenzug die finanziellen Mittel für die Versorgung ihrer Versicherten.“ Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinG) werden den Leistungserbringern nun weiter Honorar abgeknöpft – während die Gesundheitspolitik Gelder vergeude für „elektronische Spielereien, die niemandem etwas nützen und die wertvolle Zeit am Patienten noch verknappen“. Mit der Telematikinfrastruktur werde Verwaltungstätigkeit in die Praxen verlagert, Patientendaten würden zur Ware für Konzerne gemacht.

Lieferengpässe

„Selbst basale Medikamente sind auf Grund einer ungesunden Politik, die auf Rabattverträge, Billigstproduktion in Schwellenländern unter unsäglichen Bedingungen und Globalisierung des Medikamentenmarktes setzte, nicht mehr oder nur unter schwierigsten Bedingungen zu besorgen“, kritisieren Freie Apothekerschaft und IG Med. „Ärzte und Apotheker müssen über beständige Mehrarbeit diese Scharte der Politik auszuwetzen und gerade in Notfällen sieht es inzwischen düster aus mit der Versorgungssicherheit.“

Ende der Zumutbarkeit

Die Liste der Zumutungen ließe sich noch lange fortsetzen, so die beiden Vereine. „Wir haben seit Jahren und Jahrzehnten als ‚letzte medizinische Generation‘ immer wieder versucht, die Scharten im deutschen Gesundheitswesen irgendwie auszuwetzen. Wir haben versucht, die falschen Versprechungen einer desaströsen Gesundheitspolitik irgendwie auszugleichen, damit es nicht an unseren Patienten ausging. Wir haben uns vorgemacht, dass es ‚unter dem Strich‘ schon noch irgendwie reichen würde, um mit unserem erfüllenden Beruf auch noch unseren Mitarbeiter und Familien ein zufriedenstellendes Leben zu ermöglichen. Wir haben als in der Medizin Tätigen DAS LETZTE gegeben – vor der Pandemie, während der Zeit mit Corona und auch jetzt. Wir werden uns aber nicht mehr länger in unserer Praxis ‚festkleben‘. Jetzt geben wir eben ‚DEN LETZTEN KITTEL‘!“

Kittel für Lauterbach

Konkret sollen die Mitglieder, aber auch jede Kollegin und jeder Kollege und Berufsverband, der die Aktion unterstützen will, ihre „LETZTEN KITTEL“ an die verschiedenen Standorte des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) schicken:

  • Vom 6. bis 12. März sollen die Kittel an die alte Dienststelle des BMG in der Friedrichstraße 108, 10117 Berlin geschickt werden.
  • Danach soll die Protestsendungen bis 19. März an den Dienstsitz in der Rochusstraße 1, 53123 Bonn gehen.
  • Bis zum 27. März soll dann eine dritte Welle folgen, diesmal an die neue Adresse des BMG in der Mauerstraße 29, 10117 Berlin.

Am 29. März soll dann nach den Plänen eine Delegation aus Ärzten, Zahnärzten, Apothekern und medizinischen Therapieberufen ihre „LETZTEN KITTEL“ persönlich im BMG übergeben. Wer dabei sein will, sollte sich im Vorfeld bei den Initiatoren anmelden, damit die Aktion auch bei den zuständigen Behörden angemeldet werden kann.

Die beiden Vereine hoffen auf rege Teilnahme. „Es braucht nicht viel: Ein Maxibrief kostet Sie knapp 3 Euro, da passt ein Kittel oder ein Poloshirt gut rein.“ Den Absender sollte man vorsichtshalber „vergessen“ – „wir wollen ja, dass die Kittel auch dort bleiben, wo sie hingehören.“

Beschriftet mit Problemen

Beschriftet werden sollen die Kittel mit all den Problemen, die die Heilberufler in Ihrer täglichen Arbeit haben. Kolleginnen und Kollegen, die ihre Tätigkeit bereits beendet haben oder dies planen, sollten den Standort Ihrer Praxis oder Apotheke, die demnächst in der Versorgung fehlt, angeben. Beilegen können man auch eine Trauerkarte oder nicht mehr benötigtes Arbeitsmaterial. „Wir denken, Herr Lauterbach wird vieles brauchen können, wenn die Versorgung noch schlechter wird.“

Eine ähnliche Aktion hatte es übrigens 2012 gegeben: Aus Protest gegen die unzureichende Anpassung des Fixhonorars um 25 Cent hatte die Apothekerkammer Niedersachsen ihre Mitglieder dazu aufgerufen, ihre Arbeitsbekleidung an den damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zu schicken. Laut Kammer kamen tausende Kittel zusammen – die dann vom BMG „ordnungsgemäß dem Recycling zugeführt“ wurden.

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