Inhaber kämpft gegen Polizeigewalt

Wegen Kundenparkplätzen: Polizei schlägt Apotheker zusammen

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Berlin -

Ein Apothekeninhaber im hessischen Kelsterbach versucht sich derzeit gegen einen Fall unverhältnismäßiger Polizeigewalt zur Wehr zu setzen. Anscheinend ohne erkennbaren Grund war er in der vergangenen Woche vor seinem eigenen Betrieb auf offener Straße von zwei Polizisten mit Teleskopschlagstöcken zusammengeschlagen worden. Normalerweise ist die Aufklärungsrate bei solchen Fällen erschreckend gering, doch es gibt zahlreiche Zeugen – nicht zuletzt, weil sein Team und seine Kunden Zeugen des Vorfalls wurden.

Inhaber Dr. Okan Osman-Oglou wollte eigentlich nur auf sein Recht aufmerksam machen und kassierte dafür Schläge, und zwar von Beamten aus der Polizeistation, die auch noch direkt gegenüber seiner Europa-Apotheke liegt. Dennoch – oder gerade deswegen – nutzten die Beamten die vier Parkplätze vor seinem Betrieb, um Kontrollen durchzuführen. „Wir hatten beobachtet, dass die Polizei von den Parkplätzen vor der Apotheke den Verkehr kontrolliert, unter anderem den Phoenix-Fahrer, der uns beliefert hat“, erzählt der 35-jährige Apotheker. Auch Kunden seien angehalten worden. Das Problem: Es handelt sich um Privatparkplätze auf Osman-Oglous Grundstück. Er hat also das Hausrecht und wollte nicht, dass die Polizei die Parkplätze blockiert, die für seine Kunden vorgesehen sind, um ebenjene aus dem Verkehr zu ziehen.

Also wollte er sich Gehör verschaffen und wies die Polizisten auf den Umstand hin – freundlich, wie er und mehrere Zeugen es schildern. Dennoch eskalierte die Situation in Sekundenschnelle derart, dass ein Polizist ihn erst gegen das Schaufenster seiner Apotheke drückte und beide Beamten ihn schließlich mit Schlägen in die Kniekehlen, gegen die Beine und in die Seiten traktierten, um ihn zu Fall zu bringen.

Was war passiert? Hier gehen die Schilderungen zwischen Polizei einerseits und Osman-Oglou sowie den Zeugen andererseits auseinander. „Ich bin herausgegangen und habe die Polizisten darauf hingewiesen, dass ich nicht möchte, dass sie diese Kontrollen unangekündigt auf meinem Privatparkplatz machen“, erzählt der Apotheker. Daraufhin habe einer der beiden Beamten – der andere kassierte gerade einen Kunden Osman-Oglous ab, der nicht angeschnallt gefahren war – umgehend aggressiv reagiert und ihn angebrüllt, was er von ihm wolle. Osman-Oglou wiederholte seine Forderung.

„Daraufhin sagte er mir, ich solle mich ausweisen. Das sei kein Problem, meinte ich, mein Ausweis war aber im Büro, schließlich hatte ich gerade im Handverkauf gearbeitet.“ Doch das wollte der Polizist offenbar nicht gelten lassen. Er hielt Osman-Oglou fest und forderte, er solle sich sofort vor Ort ausweisen – der wiederum forderte den Polzisten auf, mit ihm ins Büro zu kommen.

Daraufhin eskalierte die Situation. Der Polizist schob den Inhaber in Richtung seiner Apotheke und drückte ihn gegen die Schaufensterscheibe. Er verlangte von ihm, sich auf den Boden zu legen. „Da habe ich gesagt, dass ich das nicht mache. Ich bin doch kein Junkie oder Schwerverbrecher. Wieso soll ich mich denn auf meinem eigenen Parkplatz vor meinen Kunden und Mitarbeitern demütigen lassen? Ich bin auf den Beinen geblieben und habe mich nicht wie ein Fisch präsentiert. In dem Moment hat er angefangen, mit einem teleskopartigen Schlagstock auf mich einzuschlagen.“

Die Polizei schildert die Eskalation anders. Bereits am Folgetag veröffentlichte sie eine Mitteilung: Demnach habe die Streife gerade einen Verkehrsteilnehmer aufgrund eines Gurtverstoßes angehalten und abkassiert, als Osman-Oglou auf die Polizisten zuging. „Mit erhobenen Armen kam er laut brüllend auf die Streife zu und forderte, sofort den Parkplatz zu verlassen. Auch in der Folge störte er die Kontrolle, weshalb sich die beiden Beamten dazu entschlossen, den Kelsterbacher zu überprüfen“, so die Polizeimeldung. Weil er sich gegen polizeiliche Maßnahmen gewehrt habe, sei er letztlich festgenommen worden.

Allerdings: Jener Verkehrsteilnehmer, der kontrolliert worden war – also das Geschehen aus nächster Nähe beobachtete – schildert die Situation gänzlich anders. In seiner Zeugenaussage, die APOTHEKE ADHOC vorliegt, stützt er eindeutig Osman-Oglous Darstellung des Sachverhalts. Er habe von Beginn an beobachten können, wie der Inhaber auf den Polizisten zuging „und in keinerlei provokanter Art ihn fragte oder bat, zukünftig nicht mehr die Kundenparkplätze mit dem Polizeidienstwagen zu blockieren, das wären seine Plätze und er sei der Apotheker. Er hat das auch in einer ganz normalen, sachlichen und eher freundlichen Form vorgetragen, worauf der Polizist reagierte mit der Nachfrage, ob er irgendwas wolle“, so die Aussage. Osman-Oglou wiederholte seine Bitte, woraufhin der Polizist „ganz ad hoc laut wurde“ und ihn gefragt habe, ob er ihn beleidigen oder provozieren wolle. Er wolle jetzt sofort seinen Ausweis sehen.

„Das überraschte den Apotheker sichtlich auch in der Weise, weil er damit nicht zu rechnen hatte und sich auf seinem gekauften oder gepachteten Grundstück berechtigt sah, die Frage des Parkens zu stellen“, so der Zeuge. Die folgende körperliche Auseinandersetzung sei lediglich zwischen dem Apotheker und einem der Polizisten abgelaufen. „Der andere machte eher einen zurückhaltenden Eindruck, griff auch körperlich nicht ein“, so der Zeuge. Doch das sollte sich schnell ändern. Denn vom Polizisten traktiert habe Osman-Oglou darauf bestanden, gemeinsam in das gegenüberliegende Polizeirevier zu gehen, um die Sache dort zu klären – nicht direkt vor seiner Apotheke. Doch beide Polzisten seien entschlossen gewesen, ihn festzuhalten, schildert es der Zeuge. So endete es auf der Mitte der Straße in „zunehmender Aggression seitens beider Polizeibeamten, sodass auch dem Herrn Dr. Oglou mit einer Art Schlagstock in die Kniekehle und seitlich an die Beine geschlagen wurde, um ihn zu Boden zu bringen.“ Dabei verlor er noch seine Brille, die „glücklicherweise nicht durch die sechs Füße, die da herumtraten, kaputtging.“

Zu Boden gebracht haben die beiden Polizisten den Apotheker nicht – dank seiner Statur, wie er betont. „Meine Mutter hat mir zum Glück eine gute Genetik geschenkt“, sagt der Inhaber. „Irgendwann haben dutzende Menschen die Polizisten angebrüllt, was sie denn da machen. Da haben sie aufgehört.“ Festgenommen wurde er trotzdem, daraufhin aufs Revier gebracht und eine halbe Stunde später wieder freigelassen. Es folgte der Gang in die Notaufnahme, wo er erst nach Hause geschickt wurde, am Folgetag aber im Krankenhaus vom Chefarzt untersucht wurde, der mehrere Prellungen und Ödeme attestierte.

Was nun folgen dürfte, ist nach Angaben von Osman-Oglous Anwalt ein mindestens zweijähriger Rechtsstreit. Polizei und Apotheker haben sich, wie in solchen Fällen üblich, gegenseitig angezeigt: Osmann-Oglou soll sich in einem Verfahren wegen des Verdachts des Widerstands strafrechtlich verantworten, er selbst hat Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt und eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Polizeipräsidium Südhessen eingereicht.

Das Polizeipräsidium wiederum hat mit der Mitteilung vom Folgetag versucht, Fakten zu schaffen. Der 35-Jährige wehrte sich demnach gegen die polizeilichen Maßnahmen „und verletzte einen Beamten leicht im Gesicht“, heißt es darin. „Das ist vollkommener Unfug!“, erwidert Osman-Oglou. „Mein Anwalt meinte sofort, dass es in solchen Fällen eine typische Masche sei, solche Anschuldigungen in den Raum zu stellen.“

Normalerweise wären Osman-Oglous Aussichten nun schlecht. Die strukturellen Probleme, die dazu führen, dass Polizeigewalt in Deutschland nur in den allerwenigsten Fällen geahndet wird, sind seit Jahren bekannt: Der Korpsgeist in der Polizei führt oft dazu, dass Beamten sich gegenseitig decken. Eine unabhängige Kontrollinstanz, wie es sie in anderen Ländern gibt, fehlt in Deutschland – im Zweifelsfall ermitteln Polizisten also gegen ihre eigenen Kollegen. Und nicht zuletzt haben Opfer von Polizeigewalt vor Gericht schlechte Karten: Steht es Aussage gegen Aussage, wiegt die des Polizeibeamten schwerer.

Die Folge: Laut der bislang größten Untersuchung zu Polizeigewalt in Deutschland, die an der Ruhruniversität Bochum vom Kriminologen Professor Dr. Tobias Singelnstein durchgeführt wurde, gibt es in Deutschland jährlich mindestens 12.000 mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeibeamte. Staatswanwaltlich bearbeitet werden davon im Schnitt rund 2000 im Jahr – und noch viel weniger werden strafrechtlich geahndet. Rund 2 Prozent der Fälle kommen vor Gericht, weniger als 1 Prozent endet mit einer Verurteilung, wie der RBB berichtet.

Bei Osman-Oglou könnte der Fall allerdings anders ausgehen, denn der Angriff auf ihn ereignete sich nicht nachts in einer abgelegenen Seitenstraße oder am Rande einer Großdemonstration im schwer überschaubaren Chaos, sondern an einem Montagabend vor seiner mit Kunden und Mitarbeitern gefüllten Apotheke.

„Das dürften aus meiner Wahrnehmung heraus 15 bis 20 Personen bezeugen können, die sich im Zuge dieser letztendlich bestimmt fünf-, sechsminütigen Attacke auf Herrn Dr. Oglou das anschauten und zurecht empört waren. Denn das war ein ganz klarer Ausdruck von Polizeigewalt, von einer völlig unverhältnismäßigen Anwendung von körperlicher Gewalt in einem Sachverhalt, der keinerlei Anlass zur Provokation oder von irgendwelchen Beleidigungen hatte“, heißt es in der vorliegenden Zeugenaussage. „Ganz im Gegenteil, Herr Dr. Oglou hatte eigentlich immer dafür sich engagiert in dieser Situation, sie zu beruhigen, und hatte, außer der Erwähnung, dass er hier der Apotheker sei, nicht im Weiteren seinen Vorteil gesucht, sondern ist im Gegenteil dank seiner körperlichen Statur nicht zu Boden gebracht worden.“

Osman-Oglou selbst geht sogar von mehr als 20 Zeugen aus. „Stand jetzt haben bereits sieben Zeugen ausgesagt und unterschrieben, dass die Darstellung der beiden Beamten nicht stimmt“, sagt er. Hinzu komme, dass zwei Personen die Vorfälle auf Video festgehalten hätten, es also auch direkte Beweise gebe. Der 35-Jährige weiß, dass er sich auf einen langen Kampf einlässt, ihm gehe es aber nicht um die Verletzungen, die zerrissene Kleidung oder die zerkratzte Brille, sondern um viel mehr. „Es geht mir nicht ums Geld, das brauche ich nicht. Es geht mir darum, dass diese Menschen sich entschuldigen, suspendiert werden und man sich Gedanken macht, wie so etwas in Zukunft vermieden werden kann. Solche Leute haben im Dienst nichts verloren!“

Dennoch, dass es ihm auch um seine eigene Situation geht, leugnet er nicht. Er habe schwer am Geschehenen zu tragen, derartige Übergriffe sind oft traumatisch, nicht zuletzt wegen des Gefühls der Hilfslosigkeit, ausgerechnet von denen Gewalt zu erfahren, die vor ihr schützen sollen. „Das belastet mich psychisch sehr, obwohl ich als junger Unternehmer ein sehr geordnetes Leben führe.“ Außerdem befürchte er betriebswirtschaftliche Nachteile. „Ich habe 2015 in meiner Heimatstadt diese Apotheke aufgebaut, jeder kennt mich hier. Sowas geht nicht so einfach wieder weg.“

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