„Jede Planung wird durch Irrtum ersetzt“

Jens Graefe im großen AEP-Abschieds-Podcast

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Berlin -

AEP-Geschäftsführer Jens Graefe geht von Bord. Im Podcast WIRKSTOFF.A sprach er über die schwierige Anfangsphase mit Terminen vor Gericht und beim Kartellamt, über die aktuelle Entwicklung im Markt und seine persönliche Zukunft. Jetzt reinhören!

Graefes Karriere im Pharmahandel bekann bei Celesio. Der damalige CEO Dr. Fritz Oestlere hatte ihn mit einem „schwäbisch-hanseatischen Handschlag“ vn Hamburg nach Stuttgart geholt, Graefe wurde Bereichsleiter M&A Business Development bei Celesio und verantwortete unter anderem die Übernahme des brasilianischen Großhändler Panpharma. Doch 2011 musste Oesterle gehen, Markus Pinger übernahm. Der neue CEO und Graefe hatten unterschiedliche Pläne zur Integration von Panpharma. Außerdem sei klar gewesen, dass er im „Team Oesterle“ gewesen sei, so Graefe. Im September 2012 ging auch er von Bord.

Zu dieser Zeit entstand auch AEP: Der Unternehmensberater Professor Dr. Nikolaus Fuchs hatte das Konzept eines Großhändlers mit Zentrallager ausgearbeitet und zusammen mit Dr. Andreas Eckert und Oesterle konkretisiert. Die Österreichische Post mit Dr. Georg Pölzl hatte eine Studie in Auftrag gegeben und stieg als Investor ein, später der zusätzlich der Generika- und Lohnhersteller Gerot Lannach mit Martin Bartenstein.

Wiederum Oesterle war es, der Graefe als Geschäftsführer holte: „Ich fand das spannend, ich kannte die Branche, ich kannte die Akteure bis zu einem gewissen Grad und ich wusste, was das bedeutet“, so Graefe. Seine drei Fragen an die Verantwortlichen: „Wisst ihr was ihr tut? Haben wir die Freiheit? Haben wir Geld? Alles drei wurde bejaht und so saß ich dann am 1. Oktober allein in einem Büro mit einer Studie, in der alles Wichtige nicht stand.“ Wie immer in solchen Studien habe der Bezug zu den realen Verhältnissen gefehlt, viel über den Aufbau von Lagern, wenig über den Markt. „Jede Planung wird durch Irrtum ersetzt“, so Graefe.

Wichtig zum Start war vor allem die Belieferung durch die Hersteller. Denn daran war zuvor das genossenschaftliche Großhandelsprojekt Gesine gescheitert: Neben der mangelnden Kapitalausstattung fehlte dort der entscheidende Schritt zum Vollsortimenter. Auch bei AEP seien einige große Hersteller am Anfang zurückhaltend gewesen, erinnert sich Graefe. „Wie wir später erfahren haben, gab es da durchaus eine Front, die organisiert wurde, damit wir nicht beliefert werden.“ Als dann aber der erste große Hersteller geliefert habe, seien alle anderen nachgezogen. Dem Start im Oktober stand nichts mehr im Weg. „Das war natürlich ein ziemlicher Husarenritt“, so Graefe.

Das Konzept AEP war seinerzeit ein „Systembruch“ in Deutschland. Graefe bezeichnet das Zentrallager selbst als „Weiterentwicklung des Großhandels“ – was in vielen anderen europäischen Ländern übrigens absoluter Standard sei. „Wir haben auch bei der Celesio früher oft darüber nachgedacht und auch alle anderen Großhändler, weil es eben in vielen anderen Ländern so durchgeführt wird. Aber es war in Deutschland natürlich eine Herausforderung.“

Es sei nie Ziel der AEP gewesen, sich gegen den Phagro zu stellen. „Aber uns war natürlich klar, dass wir nicht willkommen sind.“ Ziemlich schnell kam es zu Auseinandersetzungen – mit dem ersten Höhepunkt bei einer denkwürdigen Verhandlung vor dem Landgericht Berlin, bei der es um die Frage ging, ob der damalige Phagro-Vorsitzende Dr. Thomas Trümper Apotheken vor einer Bestellung bei AEP warnen darf. Durfte er nicht. Trotzdem hätten die Mitbewerber die Apotheken vor allem in den ersten beiden Jahren ziemlich unter Druck gesetzt, teilweise mit Nichtbelieferung gedroht, so Graefe. „Wir waren diesbezüglich auch mehrfach beim Kartellamt in Bonn und das wurde durchaus ernsthaft verfolgt.“

Die nächste große Auseinandersetzung für AEP war der Skonto-Prozess. Die Wettbewerbszentrale war gegen das Konditionsmodell von AEP vorgegangen. Der Vorwurf: Rabatte würden aus der Fixpauschale von 70 Cent gewährt. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied in letzter Instanz aber, dass der Wortlaut des Gesetzes das Fixum nicht zwingend von Rabatten ausnehme. Das wurde zwischenzeitlich korrigiert, wobei jetzt in eibnem neuen Verfahren ohne Beteiligung von AEP weiter um „echte“ und „unechte“ Skonti gestritten wird. Für AEP ging es seinerzeit um existenzielle Fragen. Angst habe man nicht gehabt, so Graefe, aber Respekt vor dem Verfahren. Allerdings seien die Konditionen von AEP damals wie heute absolut marktüblich. „Wenn es eine Sache gibt, die ich an dieser Branche kritisiere, ist es diese Unaufrichtigkeit und dass man nicht zu dem steht, was man tut“, so Graefe zur Frage der Transparenz.

Doch nach diesen ausgefochtenen Auseinandersetzungen sieht Graefe den Pharmagroßhandel jetzt in einer Phase der Veränderung. Das Thema Zentrallager sei überall auf der Agenda, Celesio (heute McKesson) bediene in England den Markt selbst aus zweieinhalb Lägern. Der Markt sei in Bewegung, auch weil sich das Verbraucherverhalten geändert habe: „Ich glaube, dass in Wettbewerbslagen mittelfristig nicht die Apotheke überleben wird, die in drei Stunden Medikamente liefern kann, sondern die, die es da hat.“ Apotheken müssten sich mit der Lagerhaltung auseinandersetzen, die extrem gute Software ermögliche zudem ein viel besseres Bestellverhalten.

Bislang hat sich das Modell AEP allerdings nicht durchgesetzt: Der Großhändler stagniert zwischen 1 und 2 Prozent Marktanteil. Graefe beteuert, dass die Wirtschaftlichkeit nicht von der Größe abhänge und AEP trotzdem schwarze Zahlen schreibe. „Wir haben eine günstige Kostenposition und können unsere Konditionen nachhaltig geben.“ Hat er persönlich alle Ziele bei AEP erreicht? „Nein, das wäre vermessen. Aber wir haben viel erreicht.“ Die zu überwindenden Widerstände im Markt seien aber größer als erwartet gewesen.

Teilweise wurde das Geschäftsmodell auch von den eigenen Kunden torpediert: Gerade in der Anfangszeit bestellten Apotheken vor allem hochpreisige Arzneimittel bei AEP, um bei ihrem anderen Großhändler den durchschnittlichen Packungspreis möglichst niedrig zu halten – Stichwort Handelsspannenausgleich. AEP musste reagieren und führte selbst Mindestbestellgrenzen und teilweise Gebühren ein. Ist das Modell am System gescheitert? „Die Apotheker waren ja nicht aus Bosheit ‚Cherry picker‘, sondern weil wir es zugelassen haben. Also haben wir eine Linie eingezogen: Wer 2000 Packungen im Monat bestellt – das ist etwa die Hälfte des Bedarfs einer durchschnittlichen Apotheke – für den sind die Konditionen seit 2012 gleich geblieben“, so Graefe. Die meisten hätten verstanden, dass Gebühren genommen werden, wenn eine Apotheke nur hochpreisige Betäubngsmittell bestellt. „Die reine Lehre des ursprünglichen Modells haben wir damit natürlich verlassen, aber das ist wie beim Fliegen: Sie starten und dann müssen Sie die ganze Zeit nachkorrigieren.“

Ein Auf und Ab war auch die kurzfristige Zusammenarbeit mit dem MVDA. Überhaupt von so einer großen Kooperation angesprochen zu werden, habe er wenn nicht als Adelung, so doch als großen Vertrauensbeweis empfunden, so Graefe. Trotzdem ging der MVDA am Ende wieder zurück zu Phoenix. Graefe sieht das Ganze positiv: Man habe Reputation gewonnen und viele Kunden seien trotzdem bei AEP geblieben. „Das hat sich alles andere als nicht gelohnt für uns“, so Graefe.

Anfang des Monats hat Graefe das operative Geschäft bei AEP übergeben, Ende April nimmt er endgültig Abschied. Schon im Mai geht es für ihn weiter – in der Geschäftsführung von Trans-o-flex, dem wichtigsten Logistiker von AEP. „Da ist eine langfristige Zusammenarbeit in gegenseitigem Interesse angezeigt“, so Graefe. Wer ihm bei AEP nachfolgt, ist noch nicht bekannt.

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