Impfen als Personalbindungsinstrument

„Junge Approbierte wollen genau solche Sachen“

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München -

Beim Thema Impfen in der Apotheke ist momentan der Wurm drin. Theoretisch dürften geschulte Approbierte gegen Grippe und Corona impfen, doch viele Inhaberinnen und Inhaber winken ab: Unklare rechtliche Voraussetzungen, keine adäquate Vergütung, fehlende Nachfrage seitens der Kundschaft. Dabei wäre es für die Positionierung der Apotheken essenziell, dass der neue Service in der Fläche angeboten wird, waren sich Experten beim Livetalk auf der APOTHEKENTOUR in München einig.

Seidenath hofft, dass die Apotheken impfen wollen und die Ärzte mitmachen.Foto: APOTHEKE ADHOC

Apothekerin Sybille Koch brennt für das Thema Impfen in der Apotheke. Schon im Dezember 2021, noch bevor die gesetzlichen Grundlagen verabschiedet waren und die Kammern ihre Konzepte fertig hatten, organisierte sie gemeinsam mit einem Arzt Schulungen für ihre Kolleginnen und Kollegen.

Die Inhaberin der Hexental-Apotheke in Merzhausen bei Freiburg ist überzeugt, dass Apotheken im Grunde alle Totimpfstoffe verimpfen können. So ließen sich etwa FSME-Impfungen niedrigschwellig umsetzen, ohne dass man den Ärztinnen und Ärzten dabei etwas wegnehme: Der Familienvater am Freitagabend oder der Shopper am Samstagvormittag seien eine Klientel, die ansonsten nicht zum Impfen in die Praxis gingen. Wichtig ist aus ihrer Sicht, dass die Ärzte in jedem Fall auch genügend Impfstoff haben, „dafür muss man sorgen, dann klappt das auch“.

Während sie selbst mit einem kleinen Impfzentrum in Freiburg angefangen hat, müssten man bei Impfungen in der Offizin versuchen, regulären Geschäftsbetrieb und Impfangebot zu entzerren – räumlich, aber auch durch eine professionelle Terminplanung. Keinesfalls dürfe man Erwartung haben, dass das Impfen schnell das große Geschäft werden könnte: „Das kann man nicht hochskalieren auf 200 Leute.“

Impfen als pDL

Ein wenig ungerecht findet sie zwar, dass Apotheken weniger Honorar bekommen als der Arzt – aber das ließe sich aus ihrer Sicht schnell lösen:. „Das Impfen ist eigentlich eine pharmazeutische Dienstleistung, dieser Topf könnte also genutzt werden.“

Vor allem aber ist das Angebot aus ihrer Sicht wichtig für die Kundenbindung – und auch für die Personalbindung: „Junge Approbierte wollen genau solche Sachen, deswegen ist das Impfen als Service absolut attraktiv für die Apotheke als Arbeitgeber.“ Sie selbst habe eine Mitarbeiterin in Teilzeit, die jetzt in den Sommerferien eine Pause mache und ab Herbst wieder einen Abend pro Woche impfe. „Das ist ein Win-Win auch für Personalplanung.“ Generell dürfe aber jeder in ihrem Team impfen, wenn es ginge, würde sie auch gerne ihre PTA einbinden.

Koch ist überzeugt, dass im Herbst wieder deutlich mehr Apotheken dabei sein werden. Sie appelliert aber an alle Apothekenteams, sich ebenfalls an das Thema Impfen heranzuwagen: „Ich wünsche mir wirklich von den Kollegen, dass sie sich einfach mal trauen.“ Man könne es „auf kleinem Fuß“ einfach mal ausprobieren, indem man sich gegenseitig impfe oder die eigenen Familien. Nur durch Ausprobieren lerne man, die eigenen Hemmungen abzubauen. „Man kann abends mit zwei Stündchen anfangen und wenn man die Prozesse eingespielt hat, das Angebot sukzessive immer mehr ausweiten.“ Mittlerweile gebe es Impfstoffe als Einzeldosen, und teilweise böten die Hersteller auch ein 100-prozentiges Rückgaberecht.

Erst Beraten, dann Impfen

Die Politik sei in der Verantwortung, die Apotheken zu entlasten und Hindernisse abzubauen. „Wir brauchen einfachere Prozesse und Schnittstellen, damit wir die Impfungen zackig durchführen können.“ Dann müsse die Apothekerschaft aber auch liefern. „Und auch nur eine Impfung am Tag besser als keine.“ Sie habe Impfungen seit jeher als Aufgabe der Apotheke gesehen: „Wir haben schon immer auch eine ausführliche Reiseimpfberatung angeboten, teilweise auch kostenpflichtig. Da war ich mit dem Prozess natürlich gar nicht glücklich: Ich decke Impflücken auf und muss sie dann auf einen Zettel schreiben, nur damit mein Kunde dann noch einmal eine Stunde in der Praxis warten muss.“

Auch für Tassilo Seitz, Apotheker aus Südtirol und aktuell für No-Q tätig, liegen die Vorteile auf der Hand: In der Apotheke gebe es keine Wartezeiten wie in der Arztpraxis, gleichzeitig komme man mit einer Klientel in Kontakt, die unter Umständen kein klassischer Apothekenkunde sei: „Das ist eine Sache von zehn Minuten – und schon habe ich einen Stammkunden.“

Die Ärzte müssten gar keine Angst haben, dass ihnen Kompetenzen abgenommen werden: „Wir nehmen doch den Praxen keine Patienten weg. Hier geht es um die sogenannten Impfmuffel, nicht um Menschen, die sich ohnehin impfen lassen.“

In Südtirol sei die Sache etwas leichter, weil die Abrechnung anders funktioniere. Der Hausarzt bekomme sein Gehalt abhängig vom Kundenstamm und nicht für die einzelne Behandlung oder Dienstleistung. „Der Arzt ist froh, wenn wenn er Arbeit abgenommen bekommt. Deshalb gibt es weniger Reibereien.“

Ernsthaftere Aufgaben

Dennoch brauche es auch hierzulande mehr Apotheken, die sich trauten – und zwar in ihrem ureigensten Interesse: „Wir Apotheker sind doch hochqualifiziert und wollen uns in eine Richtung weiterentwickeln, um ernsthaftere Aufgaben zu übernehmen.“ Impfen sei eine neue Praxistätigkeit, die den Beruf bereichere: „Es gehen so viele traditionellen Sachen verloren, etwa Rezepturen. Jetzt haben wir die Möglichkeit, etwas Praktisches zu tun und nichts Bürokratisches.“

Ramin Heydarpour ist als Apotheker für Pfizer tätig und vertritt ebenfalls die Auffassung, dass Impfungen in Apotheken wichtig sind. Noch gebe es zu wenige Kolleginnen und Kollegen, die die Leistung anbieten. „Aber wir fangen ja auch gerade erst an. Die Apotheken, die sich engagieren, merken schnell, dass die Kunden total zufrieden sind und sich mehr Impfungen in der Apotheke wünschen würden.“

Saisonal reicht nicht

Für die Apotheke seien Impfungen auch eine Chance, um sich gegen Online-Apotheken abzugrenzen. „Wir dürfen Prävention in der Apotheke nicht nur besprechen!“ Wichtig sei jetzt die Unterstützung der Politik, damit Apotheken nicht nur saisonal, sondern ganzjährig impfen könnten: „Man braucht einen Raum, eine Schulung, Personal. Wenn man dann nur wenige Wochen impfen kann, lässt sich das Potenzial nicht nutzen.“

In Frankreich liege die Quote der Apotheken bei der Grippeschutzimpfung mittlerweile bei 70 Prozent. Das zeige, welches Potenzial es hier gebe. Man dürfe auch nicht immer wieder dieselben Diskussionen führen. „Vor Ort sind die Ärzte froh, wenn sie entlastet werden.“ Die Politik müsse den Schutz der Bevölkerung sehen: „Unser Hauptproblem in Deutschland sind die niedrigen Impfquoten, wir brauchen mehr Angebote in der Fläche.“

Laut Heydarpour impfen Apothekerinnen und Apotheker auch nur ergänzend, dem Patienten stehe es frei, wo er sich impfen lasse: „Meinetwegen geht der Familienvater zum Arzt und jemand anderes in die Apotheke. Aber wir sollten das Potenzial nutzen.“

Bernhard Seidenath, CSU-Abgeordneter im bayerischen Landtag, ist ebenfalls der Meinung, dass Apotheken helfen könnten, die niedrigen Impfquoten zu verbessern: „Apotheken können impfen. Ich würde mich auch in der Apotheke impfen lassen.“ Er verwies auf den Beitrag der Apotheken bei den Corona-Impfungen. Und beim Bayerischen Apothekertag habe er auch den Eindruck gewonnen, dass viele Kolleginnen und Kollegen gerne weiter machen würden.

Überfordert wegen Engpässen

Dass derzeit nur so wenige Apotheken impften, könnte damit zusammenhängen, dass die Teams durch die Lieferengpässe derzeit „brutal überfordert“ seien. Hier sei die Politik gefragt, bestehende Hürden abzubauen. Denn aus seiner Sicht wäre eine rege Beteiligung wichtig: „Wenn die Apotheker mehr impfen, dann impfen auch die Ärzte mehr.“

Auch er sieht das Angebot als eine Ergänzung und würde es gerne schnell ausweiten, beispielsweise um Masern, FSME oder auch die HPV-Impfung bei Jungen: „Da zähle ich gerade auf die Apotheken.“ Im Grund müssten Apothekerinnen und Apotheker mit jedem Impfstoff umgehen können.

Er sieht zwei wesentliche Voraussetzungen: „Die Apotheke müssen wollen und die Ärzte müssen mitmachen.“ Viele Praxen seien überlastet, und Corona habe gezeigt, dass Apotheken auch beim Impfen verlässliche Partner sind. „Auf Dauer wird sich das durchsetzen, daran wird kein Weg vorbeiführen.“

Nicht gegen die Ärzte

Er rate aber davon ab, so ein Thema gegen die Ärzte durchzudrücken, das bringe nichts: Bei einer Anhörung habe man sich seinerzeit verständigt, dass die Apotheken gegen eine Vergütung die Impfberatung übernehmen und die Ärzte die Spritze setzen. Einen entsprechenden Antrag habe er im Landtag eingebracht, doch plötzlich hätten die Ärzteverbände ihn wieder zerschossen.

Er habe aber den Eindruck, dass der neue KV-Vorsitzende in Bayern aufgeschlossener sei. „Die Versorgung einer immer älter werdenden Bevölkerung wird eine Herkulesaufgabe. Da sollten sich die Heilberufe gegenseitig unterstützen und keine Kämpfe gegeneinander führen. Dafür setze ich mich gerne ein.“

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