Corona-Impfstoffe: Viel Stress für wenige Dosen?

„Jede Apotheke, die 100 Dosen Grippeimpfstoff ausliefern kann, ist schon überqualifiziert“

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Berlin -

In gut drei Wochen soll es mit den Corona-Impfungen in den Arztpraxen losgehen – aber wie und zu welchen Konditionen kommt der Impfstoff in die Praxen? Einer, der es wissen müsste, ist Apotheker Boris Osmann: Schon seit Dezember ist er verantwortlich für die Versorgung der Impfzentren in Sachsen-Anhalt. Doch auch er tappt noch genauso im Dunkeln wie alle Kollegen. Dafür kann er sich aus seiner bisherigen Erfahrung schon ein grobes Bild machen, was wohl in den nächsten Wochen auf die Apotheken zukommt. Und die Befürchtung könnte sich bewahrheiten: Es wird wohl wieder viel Arbeit für wenig Geld.

14 Impfzentren hat Sachsen-Anhalt und alle werden von Osmanns Apotheke beliefert. Dank seines eigenen Logistikzentrums – neben der Sterilherstellung beliefert er auch bundesweit Justizvollzugsanstalten mit Arzneimitteln – kann er das Volumengeschäft stemmen und hat entsprechend seitdem einen besonderen Einblick in den Verlauf der Impfkampagne. Eine Glaskugel hat er trotzdem nicht: „Wie die Verteilung der Impfstoffe an die Arztpraxen ab April im Detail laufen soll, weiß noch niemand. Es gibt da noch keine bekannten Regularien“, sagt er. „Die Frage ist, ob es überhaupt eine bundesweit einheitliche Regelung geben wird oder ob das die Länder wieder selbstständig organisieren werden.“

Was er allerdings jetzt schon sagen könne: Bis zum geplanten Start der Impfungen in Praxen dürfte die Versorgungslage angespannt bleiben. „Über die momentane Verfügbarkeit von Covid-19-Impfstoffen müssen wir gar nicht reden. Die ist noch lange nicht so, wie wir das gern hätten“, sagt er. Zwar habe sich seit Januar viel getan – die eingehenden Mengen hätten sich fast verdoppelt – doch selbst das sei längst noch nicht ausreichend. Dass vor allem der Impfstoff von AstraZeneca hunderttausendfach liegen bleibe, wie in den vergangenen Wochen oft berichtet wird, könne zumindest er selbst nicht bestätigen. „Das war auch meine Befürchtung, deckt sich aber überhaupt nicht mit meinen bisherigen Erfahrungen. Hier bleibt nichts liegen. Da wird alles weggeimpft, was reinkommt.“

Und zwar schnell: „Die Tiefkühlschränke für den Biontech-Impfstoff hätten wir gar nicht anschaffen müssen, die Ware kommt und geht gleich wieder raus.“ Er rechne damit, dass sich die Situation dank weiterer zugesagter Lieferungen ab Mai spürbar entspannt – bis dahin sollen die Praxen aber längst großflächig in die Impfkampagne eingebunden sein. Und zwar – wie Osmann vom Gesundheitsministerium auf Nachfrage bestätigt wurde – über die Apotheken: Der Großhandel bestellt beim Bund, gibt dann an die Apotheken weiter, die wiederum die Arztpraxen versorgen. Nur wie viel werden Apotheken verteilen können? Hier befürchtet er, dass vielerorts großer Aufwand kleinem Ertrag gegenüberstehen könnte.

„Da müssen Apotheker ehrlich zu sich selbst sein: Wir reden hier vorerst von kleinsten Mengen“, sagt Osmann. „20 Dosen pro Praxis sind nichts. Das sind zwei Ampullen des Moderna-Impfstoffs und ein paar Spritzen und Kanülen.“ Das habe einerseits Vor-, aber eben auch erhebliche Nachteile. Die gute Nachricht: Die Anforderungen an die Logistik werden für die meisten Apotheken problemlos zu erfüllen sein. „Es braucht dazu nicht viel. Jede Apotheke, die in der Lage ist, auch nur 100 Dosen Grippeimpfstoff auszuliefern, ist schon überqualifiziert“, so der Inhaber der Stern-Apotheke in Magdeburg. „Außerdem müssen sich Apotheker keine Sorgen um die Lagerung machen. Wir reden hier von geringsten Mengen, die sofort wieder rausgehen, nachdem sie reingekommen sind.“

Genau das ist aber gleichzeitig die andere Seite der Medaille. Osmann fragt sich, ob es bei der nach wie vor unzureichenden Liefersituation überhaupt Sinn ergibt, die Impfungen schon ab April in die Praxen zu bringen. „Die Frage ist, ob der Aufwand, der dahintersteht, angemessen ist. Denn solange es nicht genug Impfstoff gibt, werden auch die Impfungen in den Praxen die Situation nicht spürbar verbessern.“ Dafür würden sie je nach Lage eine Menge zusätzlicher Arbeit verursachen. „Für 20 Dosen pro Praxis diesen Logistikaufwand zu betreiben, ist meiner Meinung nach unverhältnismäßig. Wenn man nur kurz die Treppe hoch zur Praxis im ersten Stock muss, mag das gehen. Wenn man aber, gerade als Apotheke auf dem Land, erst kilometerweit fahren muss, dann ist das nicht attraktiv.“

Denn, und das ist ganz entscheidend, der Covid-19-Impfstoff wird nicht wie Grippe-Impfstoffe nur wenige Male pro Saison ausgefahren werden müssen, sondern aller Voraussicht nach wöchentlich. Bei so kleinen Mengen, wie es zu Beginn absehbar ist, wird aber auch entsprechend wenig Vergütung abfallen. „Das große Geld wird es dafür nicht geben. Wenn ich dann wöchentlich 20 Dosen an verschiedene Praxen ausfahren muss und dafür auch kein Vermögen kriege, dann macht das nicht viel Spaß.“ Und da steht noch gar nicht fest, welche bürokratischen Hürden der Gesetzgeber noch einbauen wird – zahlreiche Fragen sind nach wie vor ungeklärt, von der Rationierung bis hin zur Nachverfolgung und Meldung der Impfungen an das Robert-Koch-Institut. „Die Befürchtungen sind nicht unberechtigt. Jeder Apotheker kann doch bestätigen, dass die Bürokratie als Gefahr immer im Raum steht.“

„Stand jetzt führt der Plan dazu, dass im April viel Aufwand für geringe Mengen Impfstoff entstehen wird“, sagt Osmann und plädiert deshalb nach bisherigem Stand dafür, zumindest zu Beginn durchdachtere Modelle zur Verteilung der Impfungen in die Breite zu erwägen – beispielsweise nur bestimmte, große Praxen zu beliefern, die dann quasi als Außenstellen der Impfzentren fungieren. Statt fünfmal 20 Dosen auszuliefern, könnte so eine Auslieferung von 100 Dosen dieselbe Wirkung entfalten, insbesondere in den Städten, wo die räumlichen Abstände klein sind. Bei Pilotprojekten werde es bisher so gehandhabt, dass die Impfzentren für die Belieferung der Praxen zuständig sind – so könne es theoretisch auch im April noch gehandhabt werden.

Außerdem gehe er davon aus, dass auch eine Auswahl nach Impfstoffen zu treffen sein wird. „Das ist für mich die eigentlich spannende Frage, weil sie große Auswirkungen auf die Logistik in den Apotheken haben wird.“ So komme vom Moderna-Impfstoff derzeit so wenig, dass aus den genannten Gründen wenig sinnvoll sei, diese Kleinstmengen über Apotheken zu verteilen. Der Biontech-Impfstoff wiederum sei beliebt und werde viel verimpft, stelle aber die höchsten Ansprüche an Transport und Lagerung. „Hier könnten natürlich Modelle wie das von Kehr nützlich für die Apotheken sein“, sagt Osmann. „Ich denke aber, es wird wohl darauf hinauslaufen, dass die Impfstoffe von AstraZeneca und Johnson&Johnson kommen. Die sind mit ihrer Lagerung bei 8 Grad Celsius für die Apotheken prädestiniert.“

Entsprechend rate er auch allen Apotheken ab, größere Anschaffungen für die bevorstehende Impfstoffverteilung zu machen. „Einen Tiefkühlschrank muss sich niemand zulegen, das Geld würde man niemals wieder einspielen“, sagt er. „Wozu ich aber auf jeden Fall raten würde: Man sollte zeitnah dafür sorgen, dass genügend von den richtigen Spritzen und Kanülen da sind, ich sehe da nämlich jetzt schon kleine Engpässe. Alles andere sollte eigentlich selbstverständlich sein.“

 

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