Verband startet eigene Schulungen – inklusive Corona-Impfung

VIA: Kassen wollen Apotheken nicht impfen lassen

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Berlin -

Die erste Grippesaison ist vorbei, in der Apotheken Grippeschutzimpfungen durchführen dürfen. Aus Sicht Modellregionen war der erste Anlauf ein Erfolg – aus Sicht des Verbands innovativer Apotheken (VIA) hingegen nicht: Passiert sei „wenig bis nichts“. Deshalb bietet der Verband nun in Zusammenarbeit mit einer Ausgründung der ETH Zürich eigene Weiterbildungen an und hofft künftig nicht nur über eine größere Zahl von Grippeimpfungen in Apotheken, sondern vor allem darauf, dass bald in Offizinen auch gegen Covid-19 geimpft werden darf.

Es klingt nach einer vertrauten Klage: Die Apotheken wollen, aber die Kassen lassen sie nicht. So hat sich laut VIA-Vorstand Arndt Lauterbach der Versuch gestaltet, Grippeimpfungen in Apotheken auf breitere Beine zu stellen. „Leider ist bisher extrem wenig passiert und wir stoßen mit dem Verband auf taube Ohren, weil die Krankenversicherungen es gar nicht wollen“, erklärt er. „Das ist sicherlich eine Unterstellung, aber es ist nun einmal so, dass die Kassen unsere Angebote bisher nicht angenommen haben.“ Damit kämen sie ihren rechtlichen Verpflichtungen nicht nach: Das könne man klar im Sozialgesetzbuch (SGB V) nachlesen. „Die Krankenkassen oder ihre Landesverbände haben mit Apotheken […], wenn diese sie dazu auffordern, Verträge über die Durchführung von Modellvorhaben in ausgewählten Regionen zur Durchführung von Grippeschutzimpfungen […] abzuschließen“, heißt es da in §132j.

„Da steht, die haben Verträge abzuschließen, nicht können, dürfen oder wollen“, sagt Lauterbach. „Für mich als Nichtjuristen ist das eine eindeutige Formulierung, aber mein Eindruck ist, dass die Kassen kein Interesse daran haben. Wir hätten tausende Verträge haben können, aber wie viele haben wir? Vier?“ Der GKV-Spitzenverband sehe sich nicht zuständig und verweise darauf, dass die Verträge nur mit einzelnen Krankenversicherungen oder Landesverbänden abgeschlossen werden sollen, die Kassen selbst wiederum würden Anfragen hin und her schieben. Er habe die Vermutung, so Lauterbach, dass es zwischen den Kassen Absprachen gebe, sich nicht auf solche Modellprojekte einzulassen. Aber warum? „Die platteste Antwort, die wir von einem Kassenfunktionär erhalten haben, war: ‚Wie sollen wir das bezahlen? Dafür haben wir kein Budget!‘“

Das werde dem Handlungsdruck nicht gerecht. Die Durchimpfungsrate gegen Grippe betrage im Schnitt 35 Prozent – halb so viel, wie von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefordert. „Daran erkennt man doch, dass das System nicht funktioniert. Wie lange wollen wir denn noch warten?“, fragt Lauterbach. Deshalb will der VIA nun selbst voranschreiten und Apotheker:innen in Zusammenarbeit mit Dr. Marc Otto auf eigene Faust Fortbildungen anbieten. Erste Termine in München seien sofort ausgebucht gewesen, weshalb VIA das Programm nun ausbauen wolle.

Otto schult in der Schweiz bereits seit 2016 Apotheker:innen und PTA mit seinem Unternehmen PNN, einer Ausgründung der ETH Zürich. Es sieht den Erfolg der Schweiz als Aufforderung an Deutschland: „Von den 1819 Apotheken in der Schweiz sind bereits 1100 Impfapotheken, die über alle Kantone verteilt sind“, erklärt er. Entgegen seiner eigenen Erwartung sei die Nachfrage nach den Schulungen bis heute ungebrochen hoch. Komplikationen gebe es hingegen kaum: „Anfangs gab es sehr viele Befürchtungen, dass Apotheker nicht impfen können, dass sich anaphylaktische Schocks und Todesfälle in Apotheken häufen oder dass den Hausärzten Einnahmen wegbrechen“, erzählt er. „Inzwischen haben sich all diese Befürchtungen gelegt und die Patienten nehmen das Angebot sehr gut an.“

Dass das auch in Deutschland so seien würde, prognostiziert Florian Wehrenpfennig, Inhaber der Rathaus Apotheke in St. Augustin und Teilnehmer des Modellprojekts des Apothekerverbands Nordrhein. „Der Bedarf war immens. Wenn wir alle hätten impfen können, die nachgefragt haben, hätten wir am Tag 100 Impfungen durchführen können. Aber wir mussten mehr Leuten ab- als zusagen“, erzählt er. Anfragen seien teils aus Köln und noch weiter entfernten Orten gekommen, die außerhalb der Modellregion lagen. Doch es seien eben nur AOK-Versicherte gewesen, die sich impfen lassen konnten. Auch Wehrenpfennig hat einen Vorschlag, wie Grippeimpfungen in Apotheken künftig eine höhere Abdeckung erreichen könnten: „Damit man da mehr Umdrehung reinbekommt, müsste man das Kostenerstattungsleistung machen“, fordert er. „Wir haben doch in den vergangenen Monaten gesehen, wie schnell man Gesetz ändern kann.“

Und all das gelte nicht nur für Grippeimpfungen. In der Schweiz werde nicht nur gegen Grippe, Hepatitis und eine Reihe anderer Infektionskrankheiten geimpft – sondern in mittlerweile zehn Kantonen auch gegen Corona, erklärt Otto. Seine Fortbildung würden jedoch prinzipiell für die meisten Impfungen qualifizieren, Covid-19 eingeschlossen. „Wer weiß, wie man eine Injektion setzt, hygienisch arbeitet und sich schützt, kann auch gegen Covid-19 impfen. Die Kunst liegt eher darin, es so zu dokumentieren, wie es die lokale Aufsichtsbehörde verlangt“, erklärt er.

Dass die Apotheken in Deutschland bereits diesen Sommer einen spürbaren Beitrag zur Beschleunigung der Impfkampagne leisten können, ist angesichts der nach wie vor recht geringen Anzahl an zertifiziert weitergebildeten Apotheker:innen vorerst unwahrscheinlich. Aber: „Das Thema wird in den nächsten Wochen nicht vorbei sein, sondern es wird noch länger erhalten bleiben“, sagt Lauterbach und erinnert daran, dass eventuell noch in diesem Jahr die ersten Auffrischungsimpfungen anstehen könnten. Eine Entlastung der Hausärzte könnte dabei also auf absehbare Zeit durchaus willkommen sein. „Die Hausärzte sagen uns immer öfter: ‚Wir haben die vergangenen Wochen nur geimpft, ich muss auch mal wieder zu meinen Patienten kommen!“

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