Wie weit geht die Meinungsfreiheit?

Vorwurf Nazi-Propaganda: Kammer ermittelt gegen Apotheke

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Berlin -

Wo endet die private Meinung, wo beginnt die Repräsentation der öffentlichen Aufgabe? Und ab wann ist Meinung nicht mehr Meinung, sondern schon Straftat? Mit diesen verfassungsrechtlichen Fragen muss sich die Apothekerkammer Schleswig-Holstein (AKSH) bald befassen: Denn bei ihr wurde Beschwerde gegen die Sonnen-Apotheke in Uetersen eingereicht, weil die in ihrem Schaufenster und im Verkaufsraum rechte Propaganda verbreitet haben soll. Die Aufregung um die Apotheke ist nicht neu.

Apothekeninhaber Alexander Lipski hält mit seiner politischen Meinung offenbar nicht hinterm Berg: Die Lokalzeitung Pinneberger Tagblatt berichtet von aufgeklebten Zetteln mit dem Hinweis „Hier endet die politisch korrekte Zone“, Warnungen vor Manipulation durch die Lügen-Medien sowie Infomaterial von Querdenkern, Impfgegnern und Masken-Kritikern. Schon da ließe sich herzlich streiten, ob das in einer Apotheke etwas zu suchen hat. Doch die Vorwürfe gegen Lipskis Sonnen-Apotheke in Uetersen nahe Hamburg gehen weit darüber hinaus. „Ein widerliches Gemisch aus völkischer Heimattümelei, Esoterik, Coronaleugnung und Nazipropaganda in den Auslagen einer Apotheke“, nennt es die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA).

Dazu zählen Poster gegen Organspende („Wir sind nicht das Ersatzteillager der Elite“) oder einschlägige Naziparolen wie „Umweltschutz bedeutet Heimatschutz“, inklusive Link zum Verkäufer: „Patrioten-Propaganda“, dem nach eigenen Angaben „heimattreuen Versand“ von Michael Brück, einem bekannten Neonazi aus Dortmund und dortigen Vorsitzenden der rechtsextremen Partei „Der Dritte Weg“. Wer sich im Online-Shop umschaut, muss keine Spitzfindigkeiten bemühen, um sich ein klares Urteil zu fällen: „HKNKRZ“-T-Shirts werden dort neben Plakaten wie „Nationale Freiräume erkämpfen und verteidigen!“ oder „Nationale Sozialisten – Bundesweite Aktion“ feilgeboten. Und auch der Neonazi-Shop geht mit der Zeit: Aktuell verkauft er schwarz-weiß-rote Atemschutzmasken.

Auf einem Foto in der Lokalpresse ist darüber hinaus zu sehen, wie die Sonnen-Apotheke ihr Schaufenster mit Schildern aus der NS-Zeit zierte: Der „Reichsausschuss für volkswirtschaftliche Aufklärung“ ermuntert die Volksgenossen darauf, mehr Vollkornbrot zu essen. Aufkleber mit einschlägig bekannten Parolen aus der rechten Szene wie „W heißt Widerstand“ runden das Bild laut Antifa ab. Außerdem verbreiten die Aktivisten auf ihren Social-Media-Accounts auch weitere Beweisfotos für die Gesinnung des Apothekeninhabers, beispielsweise von einem Artikel der rechten Zeitung „Junge Freiheit“ im Schaufenster, in dem es darum geht, dass angeblich Linksextreme dazu auffordern, Informationen über die AfD zu sammeln – und darunter eine antisemitische Karikatur über vermeintliches Denunziantentum.

Denn es ist nicht das erste Mal, dass die Apotheke damit auffällt. Bereits 2016 soll sie in der Offizin ein rassistisches Plakat aufgehängt und Flyer für die AfD verteilt haben. Andere Plakate wiederum sollen aus dem Online-Shop des verurteilten Rechtsextremisten, „Blood & Honour“-Mitglieds und seit einigen Monaten „Querdenken“-Aktivisten Sven Liebich stammen, wirft die Antifa Pinneberg der Apotheke vor. Die Antifa hatte bereits damals das Treiben der Sonnen-Apotheke thematisiert – nach Ansicht von Lipski fährt sie damit eine Kampagne gegen ihn. „Da läuft eine große Verleumdungskampagne gegen uns“, wehrt sich der Apotheker auf Anfrage gegen die Vorwürfe. Bereits seit 2015 gehe das so. „Deshalb erstatte ich heute Mittag Strafanzeige wegen Verleumdung.“ Worauf und gegen wen genau sich die Anzeige bezieht und was es mit den Postern auf sich hat, dazu will sich er sich jedoch nicht äußern: „Mehr sage ich dazu nicht, weil ich von der Presse die Schnauze voll habe!“

Die Antifa hat auf Anfragen bisher nicht reagiert. Dass die Vorwürfe nicht aus der Luft gegriffen sein können, dafür sprechen allerdings auch die Fotos, die der Kammer mit den Beschwerden gegen die Apotheke zugeschickt wurden. Die darauf zu sehenden Plakate hätten „einen so starken Bezug zur menschenverachtenden NS-Zeit, dass ihre Präsentation im Schaufenster einer öffentlichen Apotheke das Ansehen des Berufsstands der Apotheker deutlich beschädigen könnte“, erklärt Justiziar Dr. Karl-Stefan Zerres auf Anfrage. Ob das wirklich so ist, wird die Kammer beurteilen müssen, sobald der Bericht der Staatsanwaltschaft Lübeck auf den Vorstandsschreibtischen liegt. Denn die Kammer hat nach Beratung des Falles entschieden, Ermittlungen gegen die Apotheke einzuleiten. Dazu stellt das Land Schleswig-Holstein sogenannte unabhängige Untersuchungsführer, in diesem Falle von der Staatsanwaltschaft Lübeck. Die müssen in einem ersten Schritt feststellen, ob die Apotheke die Grenze zur Strafbarkeit überschritten hat. Doch auch wenn sie das nicht hat, muss der Kammervorstand sich nach Erhalt des Berichts voraussichtlich kniffligen Fragen stellen.

„Der Vorstand muss feststellen, ob auch vor der Strafbarkeit schon Verstöße gegen das Berufsrecht vorliegen“, erklärt Zerres. „Und das ist sehr schwer.“ Denn auf der einen Seite stehe – unabhängig von der politisch-moralischen Bewertung des Vorgehens der Apotheke – die Meinungsfreiheit des Inhabers, auf der anderen Seite hingegen seine Rolle und die sich daraus ergebenden Pflichten als Instanz, die eine hoheitliche Aufgabe vollstreckt. „Der Apotheker hat nach dem Apothekenrecht den öffentlichen Auftrag, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen und muss sich in der Öffentlichkeit so verhalten, dass er dem Vertrauensanspruch an ihn gerecht wird. Er darf durch sein Verhalten das Ansehen des Berufs nicht schädigen“, so Zerres. „Ob er diese Grenze überschritten hat, ist unglaublich schwer festzustellen. Das ist Verfassungsrecht pur, es wäre ein Paradebeispiel für ein Seminar an der Universität.“

Wie sich ein Apotheker jenseits seines Betriebes äußert, sei seine Privatsache, betont Zerres. In dem Moment, wo er es jedoch in oder mit seinem Betrieb tut, schon nicht mehr: Stellt die Kammer berufsrechtliche Verstöße fest, gäbe es die Möglichkeit, das Thema mit einem Verweis vom Tisch zu kriegen oder – je nach Urteil des Vorstands – vor ein Berufsgericht zu bringen. Dann könnten dem Inhaber eine Geldbuße bis zu 50.000 Euro sowie bis zu zehn Jahre Aberkennung des passiven Berufswahlrechts drohen. Das heißt, er könnte nicht mehr für Posten in der Kammer kandidieren. Kämen allerdings schon die Staatsanwälte zu der Bewertung, dass der Fall justiziabel ist, dann würde sich automatisch auch die Aufsichtsbehörde einschalten. „Dass Approbation oder Betriebserlaubnis wegen eines solchen Strafverfahrens entzogen würden, halte ich jedoch für sehr unwahrscheinlich“, sagt Zerres. Anhaltspunkte, dass die Apotheke sich strafbar gemacht haben könnte, gebe es zumindest, berichtet das Pinneberger Tagblatt: Auf einem anderen Schild werde der Betrachter nämlich aufgefordert: „Esst deutsches Obst“ – das doppelte S im ersten Wort sei dabei gestaltet wie die Sigrunen der SS.

 

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