Protesttag – und dann?

„Unser Kampf muss weitergehen“

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Hamburg -

Wird es der Apothekenprotest in die Tagesschau schaffen – oder gar die Politik zum Einlenken bewegen? Und wie geht es nach dem 14. Juni weiter, wenn die Honorarerhöhung ausbleibt? Kai-Peter Siemsen, Präsident der Apothekerkammer Hamburg, geht davon aus, dass die Apotheken einen längeren Atem brauchen, um ihre Forderungen auch wirklich durchsetzen zu können. „Unser Kampf muss weitergehen“, sagte er bei einem Livetalk auf der APOTHEKENTOUR in Hamburg.

Siemsen gilt unter den Standesvertreterinnen und -vertretern als jemand, der sich deutlich mehr Offensive in der Berufsvertretung wünscht: Schon seit 2012 habe er sich im Abda-Gesamtvorstand immer wieder dafür ausgesprochen, die Forderungen der Apotheken nicht nur im Verborgenen anzusprechen, sondern endlich auch laut zu stellen. „Das wurde acht Jahre lang überhaupt nicht wahrgenommen, seit zwei Jahren hat Gabriele Overwiening als Abda-Präsidentin einen anderen Wind in die Sache gebracht. Nach meinem Geschmack könnte es noch stürmischer werden, aber immerhin tut sich etwas.“

Dass die Abda am 28. Februar überhaupt einen Forderungskatalog beschlossen habe, sei schon ein Novum gewesen: „In politischen Gesprächen wurden bislang eher Wünsche gestellt, aber es gab keine öffentlichen oder plakativen Forderungen.“

Den Ausschlag gegeben habe aber letztendlich die Stimmung an der Basis, räumte Siemsen ein. Denn die Apotheken stünden massiv unter Druck: „Die Erhöhung des Kassenabschlags ist ein Honorarverlust, den man mal Verdi zumuten müsste“, so der Kammerpräsident. Nach dem Einsatz in der Pandemie seien die Apothekenteams regelrecht vor den Kopf gestoßen worden: „Die ersten sechs Monate haben wir Heilberufe improvisiert und die Sache gemeistert. Und dann kamen die Beamten aus dem Homeoffice zurück und wussten alles besser. Dass sie uns dann auch noch Geld weggenommen haben, hat das Fass zum Überlaufen gebracht.“

Keine Demo in Hamburg

Laut Siemsen gibt es in Hamburg eine große Bereitschaft der Apotheken, sich am Protesttag zu beteiligen. Die Kammer habe ihrerseits Kontakt zu Abgeordneten und zur Presse aufgenommen. Anders als in Berlin, Düsseldorf, Wiesbaden und München sei aber keine zentrale Demo geplant. „Ich habe das diskutiert mit unserem Vereinsvorsitzenden Dr. Jörn Graue. Aber vor dem Rathaus dürfen wir nicht, und am Hauptbahnhof müsste man schon 6000 bis 10.000 Menschen zusammenbekommen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.“

Illusionen sollten sich die Apothekenteams nicht machen: „Wer denkt, dass es am 15. Juni auf einmal 12 Euro mehr Honorar geben wird, der wird enttäuscht werden. Unser Kampf muss weitergehen.“ Auch die Gewerkschaften könnten ihre Forderungen nicht mit einem eintägigen Wanrstreik durchsetzen. „Aber unser Protest ist ein wichtiges Signal, dass es so nicht weiter geht. Deswegen müssen möglichst viele Apotheken mitmachen.“

Die komplette Schließung der Apotheke sei diejenige Maßnahme, die sicher am stärksten wahrgenommen werde, aber es gebe auch noch andere Möglichkeiten wie Klappendienst oder Verdunkelung. „Machen Sie das, was Sie können“, appellierte Siemsen an die Kolleginnen und Kollegen, sich zu beteiligen. Denn nur so könne es der Protest der Apotheken in die Tagesschau und alle anderen Medien schaffen. Und genau darum gehe es – Öffentlichkeit für die Forderungen der Apotheken zu schaffen. „Wir müssen ein Zeichen setzen.“

Dauerstreik unmöglich

Gleichzeitig ist ihm auch klar, dass die Möglichkeiten der Apotheken auf Dauer beschränkt sind. „Wir werden keinen Dauerstreik hinbekommen, weil wir nicht wie die Ärzte einen festen Quartalsumsatz haben.“ Keine Apotheke könne es sich leisten, dauerhaft eine Woche oder gar einen Monat lang zumachen.

Was also dann? Laut Siemsen ist es wichtig, die Kundinnen und Kunden auch nach dem 14. Juni über die Probleme aufzuklären und die Öffentlichkeit mitzunehmen. „Es geht dabei nicht darum, möglichst grimmig auszusehen. Am Ende ist unser Protest im Sinne der Patientinnen und Patienten: Es muss etwas passieren, weil sonst die Apotheken reihenweise dicht machen.“ Nach den Rekordzahlen im vergangenen Jahr habe alleine seine Kammer schon wieder zahlreiche Ankündigungen von Schließungen. „Das Problem betrifft nicht nur das Land, sondern auch Stadtstaaten wie Hamburg. Im Südosten etwa wird es langsam dünn.“

Auch sollten die Kolleginnen und Kollegen gerade die Sommerpause nutzen, um in den Bürgersprechstunden ihrer lokalen Abgeordneten mit dem Forderungskatalog der Abda vorstellig zu werden. Seine Erfahrung sei, dass auch viele andere Interessengruppen diese Möglichkeit nutzten, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen.

Versicherte aufwiegeln

Und wenn sich wieder einmal eine Krankenkasse diffamierend gegenüber den Apotheken einlasse, müsse man auch einmal darüber nachdenken, deren Versicherte aufzuwiegeln und eine Woche lang nur noch gegen Barzahlung zu versorgen. „Wir haben vier Millionen Kundenkontakte, wir sind viel zu friedlich.“

Und wann könnte der Protest wieder aufhören? „Wir haben zehn Forderungen aufgestellt, die werden wir nicht alle umsetzen können“, so Siemsen. „Die automatisierte Fortschreibung des Honorars wird es im Moment nicht geben.“ Und auch der für zwei Jahren erhöhte Kassenabschlag werde wohl nicht noch einmal angefasst.

Honorarplus noch 2023

Am wichtigsten sei die Erhöhung des Fixums auf idealerweise 12 Euro. Auch die Prämie für das Management der Lieferengpässe müsse weit über „Sanifair-Niveau“ hinausgehen. Die 21 Euro stünden als Forderung im Raum – „so wie die 20 Prozent bei Verdi“. Dritter wichtiger Punkt ist eine deutliche Entbürokratisierung. Siemsen geht aber davon aus, dass Präqualifizierung und Nullretaxationen schon mit dem Engpass-Gesetz (ALBVVG) durch das Parlament gestrichen werden. Die Honorarforderungen würden hoffentlich bis Ende des Jahres angegangen, „das hängt davon ab, wie aktiv die Apotheken die Sommerpause nutzen, um mit Abgeordneten und Kunden ins Gespräch zu kommen.“

Und wie wäre es, wenn die Apotheken einmal ganz groß denken und einen Promi suchen, der ihnen eine Stimme gibt? Bis jetzt habe man sich innerhalb der Abda nicht darauf einigen können, den Etat der Öffentlichkeitsarbeit um einen Millionenbetrag entsprechend aufzublasen. „Man könnte das Geld schon organisieren, aber im Moment sehe ich da keine Mehrheit“, so Siemsen. Vielleicht gebe es nach dem Streik ja die Einsicht, dass auch solche Maßnahmen ergriffen werden müssen.

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