Phagro-Abschied Bernadette Sickendiek

„Sie kann unglaublich gut Männer führen“

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Berlin -

Der Phagro hat die Arbeit der scheidenden Geschäftsführerin Bernadette Sickendiek gewürdigt: Die Bilanz ihrer mehr als 20-jährigen Tätigkeit für den Großhandelsverband sei erfolgreich. „Dabei sah es zunächst nicht danach aus“, so der Phagro. Frauen seien in den 1980er Jahren in der Geschäftsführung nämlich alles andere als alltäglich gewesen. Letztlich überzeugte aber laut Phagro-Mitteilung „ihr frischer Gesamteindruck“.

Sickendiek verlässt den Phagro zum Jahresende und geht in den Ruhestand. Sie war erstmals von zwischen 1983 und 1991 für den Phagro tätig. Die Rechtsanwältin leitete damals von Frankfurt aus die Fachbereiche Recht und Soziales. Dann ging sie aus persönlichen Gründen für 14 Jahre nach Peru. 2005 lotste sie der damalige Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle zurück zum Großhandelsverband. Seitdem war sie dort als Sprecherin der Geschäftsführung tätig und leitete das Hauptstadtbüro in Berlin.

Die Verbandsarbeit sei für die Rechtsanwältin nie „nur“ Beruf, sondern immer auch Berufung gewesen, heißt es vom Phagro. Sie habe Verband und Branchenpolitik geprägt und habe ein gut funktionierendes Hauptstadtbüro aufgebaut. „Sie hat den Phagro nach innen und außen gut aufgestellt“, sagt Verbandsvorsitzender Dr. Thomas Trümper, der seit zwölf Jahren eng mit Sickendiek zusammenarbeitet. „Ihr größter Verdienst sind die guten persönlichen Verbindungen, die sie zu Nachbarverbänden, Politik und Ministerien geknüpft hat.“

Als die Juristin 1983 beim Phagro anfing, sei sie „eine Exotin“ gewesen. Frauen in der Geschäftsführung eines Branchenverbands seien zu dieser Zeit alles andere als alltäglich. „Es war schon die Frage: Soll man eine Frau mit diesem Amt betrauen?“, erinnert sich der ehemalige Phagro-Vorsitzende Otto Weber, damals Geschäftsführer von Ferdinand Schulze (heute Phoenix). „Mich hat sie überzeugt“, sagt er: „Sie machte so einen frischen Gesamteindruck.“

Seine Vorstandskollegen teilten diese Meinung laut Phagro nicht alle. Dass sie trotzdem eingestellt worden sei, sei ein „Experiment“ gewesen: „Ich gebe Ihnen ein Jahr“, habe einer der Vorstände zu ihr gesagt, erinnert sich Sickendiek selbst. „Ein Jahr ist lang“, habe sie geantwortet. Zu Beginn ihrer Tätigkeit lagen ein „kniffliges wettbewerbsrechtliches Verfahren und die Feier zum 80. Jubiläum des Phagro“ auf ihrem Schreibtisch.

Sickendiek habe beides gut gelöst, so der Verband. „Wie so oft – denn Lösungen finden ist für sie ein zentrales Lebensthema.“ Ihr Berufsweg sei das beste Beispiel: Eigentlich habe sie nach dem Abitur Biologie studieren und als Verhaltensforscherin wie Jane Goodell in Afrika arbeiten wollen. Aber sie bekam keinen Studienplatz. Sie brauchte ein Wartestudium, wählte Jura und lernte die ausgleichende, lösungsorientierte Denkweise der Juristen schätzen. Neues Berufsziel: Richterin. „Positionen abwägen und Ergebnisse finden – das hat mir immer gelegen“, sagt sie.

Auch damit habe es nicht geklappt: Als sie Ende 1981 das 2. Staatsexamen ablegte, herrschte „Juristenschwemme“. Sickendiek war zunächst in einer kleinen Kanzlei als Scheidungsanwältin tätig. Im Anschluss wechselte sie zum Phagro und verließ den Verband 1991. Sie sei ihrem Ehemann in dessen Heimat Peru gefolgt und habe sich zunächst ins Privatleben zurückgezogen. Später arbeitete sie als Anwältin in der Dominikanischen Republik.

Als die Geschäftsführung beim Phagro Anfang 2000 neu besetzt werden musste, nahm der damalige Celesio-Chef Oesterle Kontakt zu Sickendiek auf. Sie habe zunächst abgelehnt. „Aber Oesterle lässt nicht locker. Und er schafft es“, so die Phagro-Historie. 2005 kehrt sie nach Deutschland und zum Verband zurück. Oesterle begründet sein Engagement für die Anwältin: „Sie kann unglaublich gut Männer führen. Sie ist ein starker Charakter, schnell im Kopf, steht zu ihrer Meinung und setzt die auch durch.“

„Mit ihrer Pensionierung verliert der Verband eine erfahrene Geschäftsführerin – und die Branche eine ebenso engagierte wie gut vernetzte Expertin im Berliner Polit-Betrieb“, heißt es beim Phagro. Bereits im September gab sie das operative Geschäft an Michael Dammann und Thomas Porstner ab.

Zuletzt stand Sickendiek, die stets lieber im Hintergrund arbeitete, noch einmal ungewollt im Rampenlicht. Sie wurde im „Datenklau-Prozess“ als Zeugin vor das Landgericht Berlin geladen. Der Auftritt war nicht besonders glücklich: Sickendiek erzählte, welchen Referatsleiter im Bundesgesundheitsministerium als undichte Stelle in Verdacht hatte, plauderte über vertrauliche Gespräche – und musste wenige Tage später ein zweites Mal vor Gericht erscheinen, da der Vorsitzende Widersprüche in ihrer Aussage ausgemacht hatte. Da zwischenzeitlich der Vorwurf der Falschaussage im Raum stand, erschien sie diesmal sicherheitshalber mit anwaltlicher Unterstützung, als bislang einzige Zeugin im Prozess. Und dann ließ das Gericht von der Polizei noch am Verhandlungstag einen Aktenordner zur Novelle der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) beim Phagro abholen.

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