Drei Jahre lang war Karl Lauterbach (SPD) in der Ampel-Regierung als Gesundheitsminister tätig. Für die Leistungserbringer war die Zeit eine Herausforderung: Erst war er weder zu sprechen noch einzuschätzen, dann musste man mit seinen teils wilden Reformideen umgehen. Und jetzt, in den Glückwünschen an seine Nachfolgerin, wird das ganze Ausmaß der Kritik deutlich, die es im Gesundheitswesen an Lauterbach gegeben hat.
Lauterbach selbst zieht eine positive Bilanz: „Mit insgesamt 19 verabschiedeten Gesetzen haben wir begonnen, den großen Reformbedarf im Gesundheitssystem systematisch abzuarbeiten“, erklärte er Anfang des Jahres in einem Schreiben an die Bundestagsfraktionen der SPD und Grünen. Nach drei Jahren „intensiver Reformarbeit“ könne man mit Fug und Recht behaupten: „Wir haben viel erreicht.“
Tatsächlich hatte es aber gedauert, bis Lauterbach nach der Übergabe im Bundesgesundheitsministerium (BMG) am 8. Dezember 2021 in Fahrt kam. Als Antrittsgeschenk wurde ihm damals von der Belegschaft ein Nussknacker überreicht – man ahnte wohl schon, welchen Stil er gegenüber den Heilberufen einschlagen würde. Zunächst aber waren auch bei der Amtseinführung noch die Corona-Impfungen ein dominierendes Thema.
Eine seiner ersten Amtshandlungen betraf aber ausgerechnet das Prestigeprojekt seines Vorgängers Jens Spahn (CDU): Noch vor dem Jahreswechsel stoppte Lauterbach die verpflichtende Einführung des E-Rezepts. Es gebe „nicht unerhebliche technische Umsetzungsprobleme“, sagte er: Anders als oftmals von den Akteuren kommuniziert, stünden die erforderlichen technischen Systeme noch nicht flächendeckend zur Verfügung.
Das stimmte zwar in jeder Hinsicht, war aber dennoch ein offener Angriff auf seinen Vorgänger. Ironie der Geschichte: Anstelle von Spahn fuhr Lauterbach später die Erfolge ein – um jetzt die elektronische Patientenakte (ePA) ebenso unfertig wie umstritten in neue Hände geben zu müssen. Immerhin: Die kurz darauf versprochene schonungslose Aufklärung der Pandemie wurde Spahn von Lauterbach am Ende doch erspart. Immerhin war man seit 20 Jahren gemeinsam im politischen Geschäft.
Im ersten Jahr passierte im Grunde nicht viel. Je mehr Zeit verging, desto mehr wunderten sich die Verbändevertreter darüber, dass sie weder Lauterbach noch seine Staatssekretär oder die Gesundheitspolitiker der Fraktionen zu Gesicht bekamen. Damals wusste man noch nicht, dass Lauterbach sie kalt gestellt hatte, um sich im Ministerium mit Getreuen wie dem Chefstrategen Boris Velter zu umgeben. Pressesprecher Hanno Kautz, früherer Bild-Mann und schon Spahn-Sprecher, platzierte den Minister lieber in den Medien, wo er über Impfungen und Tests sprach, Updates zur neuen Omikron-Variante gab oder sich kritisch zur Homöopathie äußerte.
Im Frühjahr 2022 schaute er immerhin einmal bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vorbei und machte einen auf Kollege. Dabei brachte er zum ersten Mal ein Dispensierrecht im Notdienst ins Gespräch, aber ob es ihm ernst damit war, konnte man damals nicht wissen. Das Ganze beschränkte sich dann erst einmal auf Paxlovid; das Corona-Medikament entpuppte sich als Ladenhüter und sorgte dann auch noch wegen der Weiterverkäufe durch Apotheken für Schlagzeilen. Die Notfallreform, die ebenfalls ein Dispensierrecht vorsah, sollte später mit dem Bruch der Ampel auf der Strecke bleiben.
Zeitgleich passierte dann aber noch etwas: Ebenfalls im März 2022 brachte Lauterbach ein Spargesetz auf den Weg, das auch die Apotheken empfindlich treffen sollte: Für zwei Jahre wurde ab Februar 2023 der Kassenrabatt von 1,75 auf 2 Euro angehoben. Es war aber vor allem die Pharmaindustrie, die damals auf die Barrikaden ging – mit Erfolg: Im Kabinett wurde das Vorhaben zeitweilig auf Eis gelegt, auch der Bundesrat sperrte sich. Auch wenn das Gesetz am Ende nicht verhindert werden konnte: Die großen Pharmakonzerne durften sich später über das spöttisch Lex Lilly genannte Medizinforschungsgesetz freuen.
Selbst die Kassen waren wütend über den Minister, und auch bei der Ärzteschaft sorgte Lauterbach gleich zu Beginn seiner Amtszeit für Empörung, als er bei den Bürgertests von jetzt auf gleich den Stecker ziehen und die gerade erst eingeführte Neupatientenregelung wieder streichen wollte.
Befragt nach seinen Plänen für das Gesundheitswesen, blieb Lauterbach damals im Ungefähren. Vom demografischem Wandel war die Rede und vom medizinischen Fortschritt. Von einer Strukturreform auf der Ausgabenseite, die im Mai 2023 kommen solle.
Im Herbst 2022 gab es die ersten lokalen Proteste von Apotheken und Ärzten. Zeitgleich kündigte Lauterbach einen „Zwischenspurt“ an, um mehrere Vorhaben zum Laufen zu bringen. Dabei ging es vor allem um die versprochene Freigabe von Cannabis und um die Klinikreform – während erstere mit vielen handwerklichen Mängeln durchgeboxt wurde, entpuppte sich letztere als gesundheitspolitischer Marathon.
Dann plötzlich geriet Lauterbach vollends in die Defensive: Kurz vor Weihnachten 2022 wurden plötzlich Antibiotika und Fiebersäfte knapp. Man habe es mit der Ökonomie zu weit getrieben, sagte Lauterbach und kündigte beherzte Maßnahmen an: Man werde die Engpässe überwinden, „was immer dafür notwendig ist“. Nach Veröffentlichung der Eckpunkte und dem guten Ratschlag, Apotheken mögen doch bitte mehr Zubereitungen herstellen, verabschiedete er sich in die Feiertage. Erst im Februar sollte ein Entwurf für das ALBVVG vorliegen, der dann prompt von allen Seiten zerpflückt wurde. Immerhin die Kinderärzte konnten sich freuen, als erste Berufsgruppe von der Budgetierung befreit zu werden.
So sollte es in der Kommunikation des Ministeriums weiter gehen: Auf Ankündigung folgen Eckpunkte, dann detaillierte Eckpunkte und schließlich ein Referentenentwurf. Den Anfang machten die Gesundheitskioske, später folgten weitere Parallelstrukturen wie die Primärversorgungszentren, aber auch Digitalgesetze, Hitzeschutzpläne, das Gesunde-Herz-Gesetz und vieles mehr. Bis zum Schluss wurde Lauterbach nicht müde, das Gesundheitswesen schlecht zu reden, um seine Reformideen zu rechtfertigen.
Auf diese Weise gelang es dem Minister zwar, in den beiden anstehenden Reformjahren fast wöchentlich mit einer Neuigkeit vor die Presse zu treten und sich als Modernisierer des Gesundheitswesens zu inszenieren. In der Regel scharte er gleich noch ihm genehme Protagonisten um sich, die der Bedeutung des jeweiligen Projekts besonderen Nachdruck verliehen.
Doch die Heilberufe stieß er damit immer wieder vor den Kopf, auch die Apotheken. Kritik konterte er mit sogenannten Faktenblättern, die Kautz zu besonders strittigen Themen an die Presse verteilen ließ. So spitzte sich die Situation Anfang 2023 immer weiter zu. Zwar war von einer Apothekenreform noch gar nicht die Rede, aber zahlreiche Kolleginnen und Kollegen forderten zunehmend lauter, anstelle eines Spargesetzes endlich eine Honoraranpassung zu erhalten. Immerhin hole man täglich für Lauterbach die Kohlen aus dem Feuer, ohne dass dies überhaupt gesehen oder anerkannt werde – wie kurz vor Ostern einmal mehr das völlig überraschende Auslaufen der in der Pandemie eingeführten Abgabeerleichterungen zeigte.
Während die Abda einen Gesprächstermin regelrecht einfordern musste, zog die Freie Apothekerschaft gemeinsam mit anderen Verbänden vor das BMG. Auch die Abda stellte aufgrund des massiven Unmuts der Apothekerinnen und Apotheker einen Protesttag in Aussicht. Im Juni versammelten sich bundesweit rund 25.000 Menschen in weißen Kitteln auf den Straßen. Lauterbach postete ein Foto, das er von seinem Fenster weit oben im Ministerium gemacht hatte: „Das kann mir komplett egal sein“, sagte er später bei Markus Lanz.
Ganz egal schien es ihm aber doch nicht zu sein. Denn als die Apotheken auf seine Unterstellung, sie würden im Zusammenhang mit Engpässen nur Panik schüren, seinen Rücktritt forderten und eine neue Protestwelle in Aussicht stellten, ließen Lauterbach und seine Strategen am Vortrag des Apothekertags in Düsseldorf die Bombe platzen: Die FAZ berichtete Ende September über die Pläne für eine Apothekenreform, die auch eine Umverteilung des Honorars, eine Ausweitung des Mehrbesitzes und Filialen ohne Approbierte vorsah.
Nach dieser Kriegserklärung, wie DAV-Chef Dr. Hans Peter Hubmann es nannte, war das Verhältnis zwischen Lauterbach und den Apotheken endgültig im Eimer. Im Oktober 2023 trat Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening erstmals gemeinsam mit den Ärztevertretern vor die Presse, um einen gemeinsamen Hilferuf der Heilberufe abzusetzen. Lauterbach ließ sich davon freilich nicht beeindrucken, genauso wenig wie von den anhaltenden Apothekenschließungen.
Über Monate zog sich nun das Kräftemessen hin. Die Abda blieb zwar über weite Strecken mut- und einfallslos, aktivierte aber immerhin alle verbliebenen politischen Kontakte. Während aus den Ländern offene Unterstützung kam, waren im Lager der Ampel-Parteien allenfalls von der FDP leise kritische Töne zu vernehmen. SPD und Grüne fügten sich in die Koalitionsdisziplin; immerhin hatte Lauterbach ja auch nur Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag ausgelegt, wenn auch sehr weitreichend und einseitig.
Nachdem die Pläne kurz vor Weihnachten noch einmal in Eckpunkten präzisiert wurden, legte Lauterbach nach wiederholter Verschiebung im Juni 2024 schließlich den Referentenentwurf vor. Doch bei dieser Verspätung sollte es nicht bleiben, denn mehrfach wurde nun auch der Kabinettsbeschluss verschoben. Mehrere Ministerien meldeten Bedenken an – vor allem solche, die FDP-geführt waren.
Im sächsischen Landtagswahlkampf kam es schließlich zum Showdown. Während Lauterbach seine Reform mit blumigen Worten verteidigte, gab FDP-Chef Christian Lindner öffentlich zu Protokoll, dass es Apotheken ohne Apotheker mit ihm nicht geben werde. So musste zerknirscht zugeben, dass es wegen des Vetos des Koalitionspartners vorerst nicht weitergehen konnte.
Als dann die Ampel im Herbst 2024 tatsächlich zerbrach, war auch die Apothekenreform endgültig Geschichte. Seiner damals noch nicht bekannten Nachfolgerin legte er vor der Bundestagswahl ans Herz, den Entwurf wieder aufzugreifen, um den Erhalt eines flächendeckenden Apothekennetzes mit persönlicher Vor-Ort-Beratung zu sichern.
Was bleibt nach den dreieinhalb Jahren Lauterbach? Eine ganze Reihe von durchgebrachten oder angefangenen Reformen, die kaum dazu beigetragen haben, das Gesundheitswesen besser oder effizienter zu machen. Statt Antworten auf die drängenden Herausforderungen zu liefern, setzte er auf Parallelstrukturen, die das System am Ende wohl noch mehr geschwächt hätten.
Vor allem aber bleibt die Erkenntnis, dass man keine Politik gegen die Interessengruppen machen kann. Lauterbach sprach nur mit denen, die ihm genehm waren oder unverfänglich erschienen. Wer eine andere Meinung hatte, war bei ihm nicht willkommen. So gesehen war er ein Paradebeispiel für den verfehlten Politikstil der Ampel, die sich von Anfang an in höheren Sphären wähnte und immer weiter von dem entfernte, was im Land schief lief oder als problematisch empfunden wurde. So gesehen war Lauterbachs Gesundheitspolitik eine Blaupause dafür, wie man es nicht machen sollte. Bleibt zu hoffen, dass seine Nachfolgerin diese Chance nutzt.