Wahlforderungen

AOK: Frontalangriff auf Apotheken

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Berlin -

Mit ihren politischen Forderungen zur Bundestagswahl starten die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) einen Frontalangriff auf das Apothekensystem. Der AOK-Bundesverband will das Fremd- und Mehrbesitzverbot ebenso abschaffen wie das im Mai eingeführte Verbot der Zyto- und Impfstoffausschreibungen. Mit Versandapotheken wollen die AOKen Direktverträge zur Arzneimittelversorgung schließen können. Auch das Apothekenhonorar soll runderneuert werden. Zudem drohte AOK-Chef Martin Litsch Apotheken mit Retaxationen, die sich vor Ende August an der Zytoversorgung ohne Exklusivvertrag beteiligen.

Das Fremd- und Mehrbesitzverbot bezeichnete der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes „als mittelalterlich“ und als „längst überfälliger Schutzraum“ für Apotheken. Dahinter steckten Vorstellungen von Strukturen aus der „Fuggerzeit“, so Litsch. Die Regelungen hätten zudem nichts mit der flächendeckenden Arzneimittelversorgung in Deutschland zu tun. „Das bestehende Mehrbesitz- und Fremdbesitzverbot bei Apotheken muss aufgehoben werden“, heißt es im AOK-Positionspapier zur Bundestagswahl.

Zudem forderte Litsch die Möglichkeit zum Abschluss von Direktverträgen: „Statt weniger ist mehr Wettbewerb um gute Versorgung angezeigt, beispielsweise durch Direktverträge der Krankenkassen mit Versandapotheken.“ Aus AOK-Sicht gehörten Versandapotheken zur Arzneimittelversorgung im 21. Jahrhundert. Direktverträge böten „außerordentlich gute Möglichkeiten für differenzierte Bedingungen.“

Das AOK-System fordert von der nächsten Bundesregierung die Abschaffung des gerade erst eingeführten Ausschreibungsverbots für die Zytostatika- und Impfstoffversorgung. Das Verbot koste die Krankenkassen 500 bis 600 Millionen Euro. Die neuen Ausschreibungen über Wirkstoffe ersparten den Kassen dagegen nur einen kleinen dreistelligen Millionenbetrag.

Dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) warf Litsch eine interessensorientierte Auslegung der dreimonatigen Übergangsfrist für die Gültigkeit der bestehenden Zytoverträge vor: „Alle gehen davon aus, dass die alten Verträge gelten“, so Litsch. Das BMG vertrete eine „sehr merkwürdige Rechtsauffassung“. „Das ist völliger Humbug“, sagte Litsch mit Blick auf das Schreiben von Lutz Stroppe. Der Staatssekretär hatte die Position vertreten, dass ab sofort wieder alle Apotheken an der Zytoversorgung teilnehmen könnten. Apotheken ohne Exklusivverträge für die Zytoversorgung „müssen mit Retaxation rechnen“, kündigte dagegen der AOK-Chef an. Zuvor hatte bereits die Barmer mit Retaxationen gedroht.

Angreifen will das AOK-Lager auch die Apothekenhonorierung: Das Festhalten an der packungsbezogenen Vergütung sei „nicht besonders sinnvoll“ vor dem Hintergrund immer teurerer Arzneimittel. Die Preisbindung für Arzneimittel will Litsch zunächst aber nicht in Frage stellen. „Da muss man ein bisschen vorsichtig sein“, so der AOK-Chef. Zunächst müsse das Honorargutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) abgewartet werden. Klar sei aber, dass das Apothekenhonorar flexibler gestaltet werden müsse: „Wir brauchen mehr Freiheitsgrade.“

Auch in anderen Bereichen des Gesundheitswesen pocht die AOK auf mehr Flexibilität: „Den Wettbewerb um die beste Versorgung gewinnt man nicht mit Trippelschritten, sondern mit umfassenden und tiefgreifenden Reformen. Deshalb müssen wir den Trend unbedingt umkehren und den Krankenkassen wieder mehr Gestaltungsspielraum zukommen lassen“, sagte Litsch.

Neben dem Arzneimittelmarkt ist eines der wichtigsten Handlungsfelder die Qualitätsoffensive im Krankenhausbereich. Litsch verwies auf die rund zehn Milliarden Euro, die die Kliniken bis 2020 zusätzlich erhalten. „Dieses Geld stammt von den Beitragszahlern und muss in besserer Versorgung der Patienten ankommen.“

Um die Patienten vor schlechter Behandlungsqualität im Krankenhaus zu schützen, gebe es nur eine Antwort. „Und die lautet, dass die Krankenkassen diese Leistungen gar nicht mehr finanzieren“, so Litsch. „Um bessere Qualität umsetzen zu können, brauchen wir mehr Vertragsmöglichkeiten außerhalb der kollektiven Regelversorgung.“

Für die nächste Wahlperiode müsse es ein deutliches Bekenntnis der Politik zum Wettbewerb um die beste Versorgung geben, forderte auch Litschs Vize Jens Martin Hoyer. Voraussetzung dafür sei die systematische Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA), mit der sich die Politik ebenfalls auseinandersetzen müsse. „Eine wissenschaftlich basierte Weiterentwicklung des Finanzausgleichs zwischen den Kassen ist der beste Weg, denn viele der zur Zeit vorliegenden Änderungswünsche sind zwar kassenarten- und kassenindividuell nachvollziehbar, ordnungspolitisch aber Unfug“, so Hoyer.

Sie hätten nur das Ziel, Geld aus dem Gesundheitsfonds so zu verteilen, dass die eigene Krankenkasse beziehungsweise Kassenart mehr und die Wettbewerber weniger Zuweisungen erhielten. „Wer Volkserkrankungen wie Diabetes aus dem Ausgleich verbannt, fördert ein längst vergangenes Geschäftsmodell, das junge und gesunde Versicherte bevorzugt. Besser und zielführender ist es, alle Krankheiten im Finanzausgleich zu berücksichtigen.“

Dringend vorangebracht werden muss aus AOK-Sicht auch die Digitalisierung: Allein mit dem jüngsten E-Health-Gesetz werde die zugesagte umfassende Vernetzung von Ärzten, Apothekern und Krankenhäusern 2018 nicht gelingen. Wichtige Anwendungen wie die Patientenakte blieben weiter auf der Strecke, weil die Entscheidungsstrukturen der Telematik nicht funktionierten und falsche Richtungsentscheidungen getroffen würden. Der Gesetzgeber setze nicht auf Patientensouveränität. Medizinische Daten der Behandlungsdokumentation dürften nur in Arztpraxen, Kliniken und Apotheken eingesehen werden.

„Nach unserer Ansicht sollten Versicherte aber einen direkten und einfachen Zugriff auf die geplante Patientenakte bekommen, sodass sie ihre Daten am Ort ihrer Wahl lesen und kommentieren können.“ Das geplante Patientenfach sei hierfür keine geeignete Lösung. Patienten vor den eigenen Daten „schützen“ zu wollen, zeuge von einem seltsamen Verständnis von Datenschutz. Litsch verweist auf das digitale Gesundheitsnetzwerk, das die AOK entwickele und im ersten Schritt eine digitale Patientenakte vorsehe.

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