Nutzenbewertung

Gericht hebt Erstattungspreis auf

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Berlin -

Im März sorgte ein Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (LSG) für Alarmstimmung in der Pharmabranche. In einem Eilverfahren verboten die Richter für das Antidiabetikum Albiglutid von GlaxoSmithKline (GSK) die Bildung eines Erstattungspreises auf der Basis der üblichen Mischkalkulation. Jetzt wurde die Entscheidung im Hauptsacheverfahren bestätigt; der im Schiedsverfahren festgelegte Mischpreis wurde aufgehoben. Weil das Urteil weitreichende Konsequenzen hat, ließen die Richter Revision beim Bundessozialgericht (BSG) zu.

In dem Verfahren geht es um Eperzan (Albiglutid). Aus Sicht des LSG ist der Schiedsspruch zu dem Antidiabetikum von GlaxoSmithKline rechtswidrig, weil er an einem „Begründungsmangel“ leide. Grundsätzlich sei von Schiedssprüchen zu fordern, dass sie den der „Bildung des Erstattungsbetrages zugrunde liegenden Rechenweg mit allen seinen Implikationen nachvollziehbar und transparent aufzeigen“.

Dem werde der Schiedsspruch nicht gerecht, „denn der mit 1200 Euro bezifferte Wert des Zusatznutzens sei nicht nachvollziehbar, sondern scheine frei ‚gegriffen‘“, urteilten die Richter. Zur Rechtmäßigkeit der kontroversen Mischpreisbildung hat der Senat sich nur nebenbei geäußert. Danach haben die Richter „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der praktizierten Mischpreisbildung“, weil der Mischpreis keine nutzenadäquate Vergütung darstelle und er keine Grundlage im Gesetz finde. Dringend notwendig sei daher eine gesetzliche Regelung, die die Mischpreisbildung zulasse, zumindest aber eine Übereinkunft in der Rahmenvereinbarung, fordert das LSG eine Klarstellung.

In einem weiteren Fall, der das Krebsmedikament Zydelig (Idelalisib) betraf, hob das LSG den Schiedsspruch zur Festsetzung des Mischpreises ebenfalls auf. Die Begründung entspricht im Wesentlichen derjenigen im Parallelverfahren. Noch stärker hat der Senat hier aber den formellen Aspekt der Begründungspflicht betont, weil hier nicht einmal ansatzweise zu erkennen gewesen sei, wie sich der Rechenweg zum Erstattungsbetrag gestaltet habe, so das Gericht. Auch hier hat der Senat die Revision zum BSG zugelassen.

Als erstes reagierte der AOK-Bundesverband auf das Urteil: „Das aktuelle Urteil gegen den Schiedsspruch zur Mischpreiskalkulation ist ein klares Zeichen an Pharmafirmen und Ärzte. Es gibt keinen Freibrief für neue Arzneimittel. Auch wenn sie einen Zusatznutzen in Teilbereichen haben, sind sie nicht generell wirtschaftlich. Das entscheidet sich erst bei der konkreten Verordnung“, so Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Damit sei klargestellt worden, dass die sogenannte Mischpreisbildung über alle Anwendungsgebiete eines Arzneimittels rechtswidrig sei, wenn in einigen Teilanwendungsgebieten ein Zusatznutzen vorliegt und in anderen nicht.

„Statt über die Abkehr von grundlegenden Prinzipien der GKV zu sprechen, brauchen wir dringend ein herstellerunabhängiges und verständliches Arztinformationssystem, dass den Arzt bei seiner Therapieentscheidung über den aktuellen Stellenwert eines Arzneimittels im Therapiegebiet informiert“, so Litsch weiter.

Hersteller und Ärzte warnten bereits nach der Eilentscheidung vor erheblichen Konsequenzen: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) fürchtet ein verschärftes Regressrisiko für Ärzte bei der Verschreibung von Medikamenten. Vorstandsvize Stephan Hofmeister forderte den Gesetzgeber zu einer Klarstellung auf. Nach Ansicht der KBV führt diese Entscheidung der Richter zu erheblicher Verordnungsunsicherheit bei niedergelassenen Ärzten – zum Nachteil der Patienten. Verschrieben die Ärzte nämlich solche Medikamente trotzdem, drohe ihnen ein Regress, sagte Hofmeister.

Die KBV verlange eine Klarstellung, dass Erstattungsbeträge für Arzneimittel die Wirtschaftlichkeit über das gesamte Anwendungsgebiet herstellen müssten. Im übrigen könnten Patienten in der Praxis nicht immer eindeutig einer Gruppe zuzuordnen seien. Betroffen seien vor allem Patienten von selteneren Erscheinungsformen schwerer Erkrankungen wie Krebspatienten mit seltenen Mutationen.

Auch der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) drängte die Politik, die Preisbildung für neue Arzneimittel rasch zu konkretisieren. Sonst drohten erhebliche Versorgungsprobleme für die Patienten in Deutschland: „Die rechtliche Unsicherheit ist groß“, sagte Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer. Hersteller überlegten bereits, auf die Markteinführung neuer, innovativer Arzneimittel zu verzichten.

Fischer sieht im Urteil ein „Riesenproblem“. Sollte bis zur Bundestagswahl keine Klarstellung erfolgen, müsse die Branche über einen langen Zeitraum mit einer rechtlich unklaren Situation umgehen. „Das ist eine Lücke im Gesetz und eine große Herausforderung. Unternehmen fragen sich bereits, ob sie neue Arzneimittel unter diesen Umständen in Deutschland überhaupt noch auf den Markt bringen können.“

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