„Treten Sie ab, Sie haben versagt!“

DocMorris: Aktionäre fordern Rücktritt

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Zürich -

Der Frust über den stetigen Kursverfall ist groß, aber die Ratlosigkeit auch. Ohne frisches Geld könnten bei DocMorris schnell die Lichter ausgehen. So stimmten die Aktionäre gestern in Zürich zerknirscht der geplanten Kapitalerhöhung zu, die abermals 200 Millionen Franken in die Kasse spülen soll. Das Management war schweren Anfeindungen ausgesetzt und beteuerte, dass es nun wirklich das letzte Mal sei, dass man die Anteilseigner zur Kasse bitten müsse. Endgültig. Versprochen.

Gebetsmühlenartig trug Verwaltungsratspräsident Walter Oberhänsli auch in diesem Jahr vor, was für eine großartige Chance das E-Rezept biete und dass man nur noch kurz davon entfernt sei, endlich die Ernte einfahren zu können. „Ich bin sehr überzeugt, dass wir am Anfang einer gigantischen Marktveränderung stehen, ähnlich wie damals bei der Einführung der Kreditkarte.“ Wie schon in den Vorjahren warf er Milliardenzahlen und Branchenvergleiche an die Wand, sprach von einer Chance, wie man sie nur einmal im Leben bekommt („once in a lifetime“).

CEO Walter Hess blies in dasselbe Horn: „Jetzt sind alle Weichen für eine erfolgreiche Zukunft gestellt.“ Das Wiederholungsrezept werde bald kommen, mit Teleclinic sei man im Bereich der Telemedizin optimal aufgestellt. Und mit der digitalen Identität werde man irgendwann noch nicht einmal mehr eine Gesundheitskarte brauchen, um sein E-Rezept online einzulösen.

Börse ignoriert Marktchancen

Aber natürlich mussten die beiden Manager kleinlaut einräumen, dass der Aktienkurs eine ganz andere Sprache spricht. Mit rund 22 Franken liegt er auf einem Tiefstand, die Kapitalerhöhung wird ihn noch weiter in den Keller ziehen. „Der Kurs reflektiert überhaupt nicht die offensichtlichen Marktchancen“, so Oberhänsli. „Die entscheidende Frage ist: Warum kommt das am Markt nicht an?“

Die Rallye im Jahr 2021 mit Kursen von bis zu 500 Franken sei der Ankündigung des E-Rezepts geschuldet gewesen. „Heute ist es da, aber niemand will mehr so recht daran glauben.“ Aufgabe von DocMorris sei es nun, das verloren gegangene Vertrauen wieder aufzubauen – durch Zahlen, die belegten, dass die versprochene Disruption von Off- zu Online auch tatsächlich stattfinde. „Der Rezeptmarkt verändert sich massiv, deswegen halten wir es für richtig, weiter in die Akquisition von Patienten zu investieren.“

Damit war er bei der Kapitalerhöhung, um die er und Hess die Aktionäre bitten mussten. „Wir brauchen die Mittel nicht, um unsere Ertragsziele zu erreichen. Wir brauchen sie, um die gigantische Marktchance zu ergreifen.“

Mehr als 20 Jahre habe man auf das E-Rezept hingearbeitet. „Die Marktchance ist Realität. Wir werden ab heute eine fulminante Entwicklung sehen, ich voll begründetem Optimismus und auch voll Zuversicht, dass wir wieder Marktführer werden“, so Oberhänsli.

Bald nur noch Schall und Rauch?

Alleine: Gleich mehrere Aktionäre wollten den neuerlichen Heilsversprechen nicht mehr glauben. „Wann hat das Leiden ein Ende“, fragte ein Anteilseigner. „Diese Aktie kennt nur eine Richtung“, so eine weitere Aktionärin. „Sie beschönigen die Risiken, wenn Sie die Anleger glauben lassen, die tiefe Bewertung sei eine Unterbewertung. In Wahrheit sind wir auf einer Reise, bei der der Kapitän die Richtung verloren hat.“

Bei der Generalversammlung in Zürich ging es hoch her.Foto: APOTHEKE ADHOC

So ging es weiter: „Die Finanzpresse spekuliert schon, wann wir hart aufschlagen und nur noch Schall und Rauch sein werden.“ Man habe in den vergangenen Jahren mehr als eine Milliarde Franken an Kapital verbrannt. „Wir werden irgendwann als Anschauungsobjekt für Wirtschaftsstudenten herhalten.“

Die Bilanz werde nur noch durch fast eine halbe Milliarde Franken an immateriellen Vermögenswerten zusammengehalten. „Was soll das überhaupt sein? Wie sollen wir jemals Gewinne schreiben, wenn wir das abschreiben müssen?“ Ein anderer Redner griff den Ball auf: „Wir haben so eine schlechte Bilanzstruktur, dass es zunehmend schwieriger wird, überhaupt noch an Geld zu kommen.“

Daniel Wüest, Group CFO bei DocMorris, erklärte, dass 90 Millionen Franken auf die Marke DocMorris fielen, der Rest sei Goodwill und mit den Übernahmen in die Bücher gekommen. Die Werte würden aber regelmäßig überprüft, es gebe keinen Grund für Abschreibungen.

Aktionäre fordern Rücktritt

Dann wurde der Ton zunehmend rauer: „Wir müssen handeln und die Personen austauschen“, so ein Aktionär. Es sei an der Zeit, Tabula rasa zu machen und im Verwaltungsrat auszumisten. Ein weiterer Redner verwies auf die in den vergangenen Jahren verfolgte Strategie, möglichst viel OTC-Umsatz zu kaufen, um eine breite Basis für das Rx-Geschäft zu gewinnen. Das sei komplett in die Hose gegangen, jetzt müsse man Rx-Kunden kaufen. „Treten Sie ab, übernehmen Sie die Verantwortung! Sie haben versagt!“

Andere Redner versuchten es mit höflicheren Tönen: „Sie haben sich sehr eingesetzt für die Firma, das verdient Respekt“, so ein Redner an Oberhänsli. „Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, fähigeren Leuten Platz zu machen. Hängen Sie nicht so an Ihrem Amt, verzichten Sie freiwillig auf Ihre Wiederwahl!“ Ein anderer Aktionär forderte ein neues Management, das mehr Verständnis für den deutschen Markt habe. „So wie es jetzt ist, kann es nicht besser werden.“

Ein Fondsmanager forderte mehr Respekt für das Management, auch wenn er einräumte, dass er bei 100 Franken hätte verkaufen sollen: „Wir sitzen alle freiwillig hier. Wenn Sie nicht mehr an die Vision der Unternehmensspitze glauben, dann drücken Sie auf den Verkaufsknopf!“

Gereizter Präsident

Oberhänsli wirkte nicht nur zerknirscht, sondern auch gereizt. Mehrfach rief er die frustrierten Redner zur Ordnung und drohte ihnen in seiner Funktion als Versammlungsleiter an, ihre Redebeiträge zu beschränken. Die Rücktrittsforderungen bügelte er ab: „Sie können sich gleich bei der Abstimmung austoben.“

Während es ab 2026 einen positiven Cashflow geben soll, wäre die Situation ohne Kapitalerhöhung schon im kommenden Jahr dramatisch.Grafik: DocMorris

Tatsächlich wurden nach dem hitzigen Schlagabtausch doch alle Abstimmungspunkte durchgewunken – auch die umstrittene Kapitalerhöhung. Das könnte einerseits damit zusammenhängen, dass die Banken und Finanzinvestoren einen längeren Atem haben als die verbliebenen Kleinaktionäre. Von denen dürften einige noch zu jenen Ärztinnen und Ärzten gehören, die das Unternehmen vor rund 30 Jahren als Praxisgroßhandel gegründet hatten.

Grafik des Grauens

Aber selbst bei den 222 Aktionären, die nicht den Stimmrechtsvertreter beauftragt hatten, sondern ins Marriott-Hotel in Zürich gekommen waren, könnte eine Folie für eine eiskalte Einsicht gesorgt haben: Anhand einer Kurve wollte Wüest eigentlich zeigen, dass es ab 2027 mit dem Cashflow nach oben gehen würde. Was man anhand der Balken aber auch sofort ablesen konnte, ohne dass es der Finanzvorstand ansprechen musste: Ohne Kapitalerhöhung wären bei DocMorris in diesem, spätestens aber im kommenden Jahr wohl die Lichter ausgegangen.

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