Kommentar

Angriff auf den heiligen Gral

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Berlin -

Die pharmazeutische Beratung ist ein wichtiges Argument, wenn es um die Bedeutung der Vor-Ort-Apotheke im Vergleich zu Versendern geht. Dass die Kundschaft in der Offizin dafür kein Geld zahlen muss, versteht sich von selbst. Ein branchenfremdes Start-up will die Beratung jetzt monetarisieren und sucht Pilotapotheken. Das Angebot klingt zunächst verlockend, doch der nächste Schritt ist schnell gemacht. Ein Kommentar von Carolin Ciulli.

Immer mehr branchenfremde Player wollen mit den Leistungen der Apotheken Geld verdienen. Der Markt wurde nicht zuletzt durch die Pandemie interessanter: Momentan buhlen in großen Städten wie Berlin und Hamburg mehrere Plattformen um die Aufträge der Kund:innen. Besonders das Berliner Unternehmen Mayd tut sich hervor. Mit einem Investor im Rücken zielt das Start-up auf junge Menschen, die mit einflussreichen Influencer:innen in den sozialen Netzwerken direkt angesprochen werden. Die Plattformanbieter aus dem Apothekenbereich scheinen dagegen hinterherzuhinken.

Während die Bestellplattformen den Kaufabschluss im Fokus haben, zielt das Münchener Start-up Appoco auf das ureigene Thema der Apotheke – die Beratung. „Warum Appoco“, lautet eine Frage auf der Website des Dienstleisters, die selbstredend beantwortet wird: „Es macht so viel Sinn, den Sachverstand der Apotheker endlich nutzbar zu machen, und es gibt so viele Menschen, denen dies nachhaltig helfen würde.“ Bei dieser Aussage ist man fast versucht, enthusiastisch zu nicken.

Doch Stop! Was heißt hier, „endlich nutzbar zu machen“? Die Erklärung liest sich fast so, als gehöre Beratung in Apotheken nicht zum täglichen Geschäft. Als sei die Sache nicht längst explizit durch die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) geregelt, wo es heißt, dass bei der Abgabe von Arzneimitteln durch Nachfrage festzustellen sei, inwieweit eine Kund:in gegebenenfalls weiteren Informations- und Beratungsbedarf hat und eine entsprechende Beratung anzubieten ist. In jeder Apotheke gibt es sogar einen extra Raum dafür: das sogenannte Beratungszimmer.

Löblich ist es natürlich, wenn die Apothekerinnen und Apotheker für die Beratung ein Honorar bekommen. Das sollte vor allem die Politik berücksichtigen und der pharmazeutischen Betreuung der Bevölkerung damit endlich den nötigen Respekt erweisen, den sie verdient hat. Bestimmte Beratungen konnten bereits abgerechnet werden. Fraglich ist, ob die Menschen selbst dafür zahlen sollten, wie sie es beispielsweise bei Heilpraktiker tun müssen. Denn gerade das macht doch die Apotheke aus, dass jeder – egal wie viel auf dem Konto ist – in der Offizin beraten wird.

Der Gedanken, die Telepharmazie voranzutreiben und Beratung für jedermann jederzeit verfügbar zu machen, ist generell sicher gut. Die Frage ist nur, ob es dazu fachfremde Menschen benötigt, die vielleicht versucht sind, an das Ende des Gesprächs eine Anzeige einer gut zahlenden Versandapotheke zu hängen.

Letztlich sollten die Inhaberinnen und Inhaber selbst in ihrem Umkreis die eigenen pharmazeutischen Kenntnisse in den Vordergrund stellen – vor Ort und digital. Viele tun dies bereits, entwickeln eigene Ideen oder schließen sich zusammen. Apotheken müssen für diese Prozesse Arbeitszeit freischaufeln, um das Ruder selbst in der Hand zu behalten. Denn die Energie, die Start-ups in den Markt stecken, zeigt, dass sich die Mühe lohnen wird.

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