Digitalisierung

3D-Drucker für Versandapotheken

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Berlin -

3D-Druck-Technologie hat das Potenzial, zahlreiche Industrien nachhaltig zu beeinflussen. Wenn ein solcher Medikamenten-Drucker in einer Apotheke steht, muss sich auch die pharmazeutische Industrie alternative Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten einfallen lassen. Denn 3D-Druck kann für alle Akteure in der Arzneimittelversorgung zu einem Game Changer werden, meint Dr. Tobias Gantner.

„Im Rahmen der zunehmenden Erkenntnisse über Genom, Endosom, Proteom erfahren wir immer mehr über unseren eigenen Metabolismus, wie etwa die Verstoffwechselung von Medikamenten via Cytochrom P450-Induktion“, erklärt Gantner, der neben Humanmedizin auch Philosophie, Ökonomie und Rechtswissenschaften in Deutschland, der Schweiz, China sowie den USA studiert hat. Nach seiner Zeit als Assistenzarzt in der Transplantationschirurgie arbeitete er bei Siemens, Novartis, Bayer sowie Johnson & Johnson. Aktuell ist Gantner Geschäftsführer der von ihm gegründeten Firma HealthCare Futurists, einem internationalen Netzwerk von innovativen Unternehmen mit einem Fokus auf die Bereiche Medizin und Life Sciences.

Derzeit sei aber eine genaue Dosisanpassung an individuelle Bedürfnisse der Patienten sehr schwierig und aufwendig. Die 3D-Technologie kann hier eine Lösung bieten. Gantner ist fest davon überzeugt, dass der 3D-Druck von Medikamenten für bestimmte Indikationen schon in einigen Jahren Standard sein wird. Welchen Mehrwert individuelle Medikamentenherstellung hat, macht er am Beispiel der Volkskrankheit Diabetes deutlich. Es gebe über 100 „Unterarten“ von Diabetes. Die Medikamentendosierung müsse sich idealerweise jeder einzelnen Unterart anpassen können.

Mit dem 3D-Drucker könnten Wirkstoffe patientengerecht dosiert werden. Erste Erfahrungen mit gedruckter Medikation gibt es bereits in den Niederlanden bei der Dosisanpassung im Rahmen einer Ausschleichungstherapie von Psychopharmaka-Patienten. Bereits seit 2015 ist in den USA das Antiepileptikum Spritam (Levetiracetam) verfügbar.

Noch würden gedruckte Medikamente deutlich mehr als die gepresste Medikation kosten. Berücksichtigt man die indirekten Kosten, könnte das allerdings schon ganz anders aussehen. „Etwa 30 bis 50 Prozent der Medikamente werden nicht genommen“, gibt Gantner zu bedenken. Der Grund dafür seien häufig die Nebenwirkungen. „Wir gehen davon aus, dass bei einer Reduktion von Nebenwirkungen aufgrund der personalisierten Dosisanpassung auch die Compliance steigt.“

Außerdem müssten Patienten, die bisher oft mehrere Tabletten nehmen, nur noch eine einzige schlucken. Im Dezember vergangenen Jahres hat das US-Unternehmen Vitae Industries mit dem AutoCompounder einen 3D-Drucker für Medikamente vorgestellt, der sogenannte „Polypillen“ drei Mal schneller als bisher befüllen soll. An dem Start-up haben sich bereits mehrere namhafte Unternehmen beteiligt, die rund zwei Millionen US-Dollar für die Entwicklung des Medikamenten-3D-Druckers zur Verfügung stellen. Schon bald soll das Gerät für knapp über 4000 Euro angeboten werden.

Die 3D-Technologie wird aber nicht nur für Arzneimitteltherapie aufseiten der Patienten beeinflussen. Gantner sieht den 3D-Druck von Medikamenten als Game Changer und einen Teil der digitalen Transformation des Gesundheitswesens, der auch ganze Wertschöpfungsketten verändern wird. Beispielsweise könnte ein pharmazeutischer Produzent damit zum Technologiehersteller werden.

Zwar ist aus seiner Sicht das Szenario, dass Medikamentendrucker in Privathaushalten zu finden sein werden, unwahrscheinlich. Sehr gut vorstellbar sei dagegen, dass solche Geräte, die in der Lage sind, unter GMP-Bedingungen aus Filamenten auch Polypills, etwa antihypertensive Medikamente oder Lipidsenker zur Behandlung des metabolischen Syndroms, in unterschiedlichen Kombinationen zu produzieren, in großen Apotheken, Klinikapotheken, bei Großhändlern oder Versandapotheken stehen.

Sie alle könnten schon bald eine eigene Pharmaproduktion starten. Zumal aus Sicht von Gantner trotz starker Regulierung der Arzneimittelherstellung in Deutschland keine grundlegenden rechtlichen Bedenken bestehen. „Juristisch gesehen handelt es sich unserer Meinung nach um Defektur, wie auch bei der Herstellung von Salben“, ist er überzeugt. „Der Mörser des Apothekers wird durch den Drucker ersetzt.“

Erste Einsatzregionen sieht Gantner dort, wo Voraussetzungen wie etwa eine Unterversorgung, hohe Anzahl chronisch Kranker, innovativer Krankenversicherer mit nennenswerter Abdeckung in der Region, politische Unterstützung durch lokale Autoritäten und Unterstützung durch Förder- und Forschungsmittel, zusammenkommen.

Apotheken vor Ort sollten sich der digitalen Transformation des Gesundheitswesens nicht verweigern, appelliert er. Sonst würden sie von der Realität ein- und im Zweifel auch überholt. Bereits jetzt sei sein Unternehmen an einem Projekt beteiligt, das eine sogenannte Ohne-Arzt-Praxis errichten will. „In dieser Praxis gibt es, wie der Name schon sagt, keinen Arzt, der physisch anwesend ist“, erklärt der Mediziner. Alles läuft digital. Wer jedoch denkt, eine solche Praxis sei noch Zukunftsmusik und – ähnlich dem DocMorris-Automaten in Hüffenhardt – zum Scheitern verurteilt, unterliegt womöglich einem gewaltigen und folgenschweren Irrtum. Denn eine große Krankenkasse sei bereits an Bord und Fördermittel stünden zur Verfügung.

Bereits im Januar 2019 soll eine solche Praxis in einer „unterversorgten Region“ live geschaltet werden. Wo genau, will Gantner noch nicht verraten. Zunächst seien drei Ohne-Arzt-Praxen geplant. Dabei soll es aber nicht bleiben. „Wenn das klappt und gut angenommen wird, werden wir das Modell in ganz Deutschland anbieten“, sagt er.

Das könnte unter Umständen auch Auswirkungen auf die Apothekerbranche haben. Während Ärzte keine Apotheken empfehlen dürfen, sei man in solchen digitalen Arztpraxen nicht daran gebunden, behauptet der Mediziner. „Da könnte man einen Vertrag beispielsweise mit einer Versandapotheke machen und alle Rezepte digital dorthin schicken“, gibt er zu bedenken. „Für uns sind aber grundsätzlich die lokalen Apotheker Partner der Wahl.“ Wenn man aber vor Ort keinen geeigneten Partner finde, werde man eben die Versender ins Boot holen.

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