Nachtdienstgedanken

„Laut Google verursachen diese Tabletten Krebs“

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Berlin -

Heute kann es nur schön werden, denn ich habe Nachtdienst. Mit meinem treuen Begleiter Max kann nichts mehr schief gehen – auf ins Abenteuer!

Die Woche ist schnell vorbeigegangen, vor allem der Feiertag tat gut. Ein Tag ohne Kunden, die alles besser wissen und jammern. Besonders lieb sind mir ja die, die kurz vor Feierabend kommen und fünf Rezepte mit je drei Positionen vorlegen.

Es ist 20.35 Uhr. Während Max im Tiefschlaf ist, gehe ich in die Küche, um Kaffee anzusetzen. Kathrins Geburtstagskuchen liegt hier noch herum; ich esse ihn mal auf, bevor er schlecht wird. Dingdong! Der erste Kunde ist auch schon da. Mit vollem Mund und schnellen Kauvorgängen bewege ich mich Richtung Tür.

Ein Mann drückt mir von der Notdienstklappe aus eine Arzneimittelpackung in die Hand, die er angeblich gestern bei uns gekauft habe. „Ich möchte das zurückgeben“, fordert er, selbstbewusst und entschlossen. „Medikamente sind grundsätzlich vom Umtausch ausgeschlossen“, gebe ich ihm zu wissen. Die Antwort hat ihm selbstverständlich nicht gefallen.

Da ich neugierig bin, frage ich nach dem Warum. „Ich habe im Internet gelesen, dass diese Tabletten starke Nebenwirkungen haben. Warum verkaufen Sie so etwas?“ Er schaut mich mit geweiteten Pupillen an. „Laut Google verursachen diese Tabletten Krebs!“

In meinen ersten Berufsjahren habe ich immer automatisch abgeschaltet, als Kunden einen Satz sagten, der mit „Ich habe im Internet gelesen, dass...“ begann. Das konnte ja nur Quatsch sein. Inzwischen frage ich nach, wo sie das gelesen haben und wer das denn geschrieben hat. Manchmal macht man interessante Entdeckungen! Der mündige Kunde bekommt dadurch auch die Erkenntnis, dass er seine Quellen hinterfragen muss.

„Wenn dieses Arzneimittel Krebs hervorrufen würde, wäre es gar nicht auf dem Markt“, versuche ich ihm zu erklären. „Zu diesem Medikament sind die Erfahrungswerte sehr hoch. Es wurde an mehreren tausend Patienten erfolgreich angewendet, ohne schwerwiegende Nebenwirkungen zu verursachen. Er folgt mir konzentriert. „Zudem hat ihnen das ihr Arzt verschrieben, der mindestens sechs Jahre studiert und sich dann noch fünf Jahre sich zum Facharzt weitergebildet hat. Er wird schon wissen, was er ihnen warum verordnet.“ Ich bemerke, dass sich seine anfängliche Haltung geändert hat. „Sie haben Recht. Vielleicht sollte ich den Experten vertrauen“, sagt er unerwartet und verabschiedet sich dann auch.

Ich habe im Internet gelesen, dass Unterzuckerung die Konzentration beeinflusst. Deshalb esse ich jetzt noch ein Stück Kuchen.

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