Ein Jahr Impfkampagne in Arztpraxen

Knapp 5000 Dosen je Apotheke

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Berlin -

Heute vor einem Jahr stiegen die Arztpraxen in die Impfkampagne ein. Zum ersten Mal erhielten am 6. April 2021 die Apotheken den bestellten Impfstoff von Biontech. Mittlerweile wurden Millionen Vials ausgeliefert – stabil und ohne größere Zwischenfälle.

26. Dezember 2020: In Halberstadt wird eine Heimbewohnerin als erste Patientin in Deutschland mit dem Impfstoff von Biontech gegen Corona geimpft. Kurz darauf öffnen die Impfzentren, zunächst werden ältere Menschen und Risikopatient:innen geimpft. Rund drei Monate später steigen die Praxen in die Impfkampagne ein. 174 Millionen Impfungen wurden laut Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) seitdem insgesamt durchgeführt:

  • Betriebe/Impfzentren: 87,4 Millionen Impfungen = 50,2 Prozent
  • Arztpraxen: 86,9 Millionen Impfungen = 49,8 Prozent

Setzt man die gemeldeten Impfungen mit den ausgelieferten Dosen gleich und schließt Verwürfe aus, wurden also rein rechnerisch rund 4600 Dosen pro Apotheke in den vergangenen zwölf Monaten an die Arztpraxen ausgeliefert. Dabei gibt es große regionale Unterschiede: So wurden in Schleswig-Holstein im Schnitt 5600 Dosen je Apotheke ausgeliefert, in Nordrhein-Westfalen 5400, in Hamburg 5300 und in Berlin und Niedersachsen 5000 Dosen.

Schlusslichter sind Thüringen mit 3100 Dosen je Apotheke, Sachsen und Sachsen-Anhalt mit 3700 beziehungsweise 3800 Dosen und das Saarland mit 3900 Dosen. Bayern kommt auf 4000 Dosen je Apotheke, Bremen auf 4100 Dosen. Im Mittelfeld liegen entsprechend Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz.

Nicht berücksichtigt sind Lieferungen an Betriebsärzt:innen und Impfzentren. Außerdem haben nicht alle Apotheken im gleichen Umfang die Ärzt:innen mit Impfstoff versorgt: Laut Allgemeinverfügung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) durften nur Praxen beliefert werden, die auch sonst ihren Sprechstundenbedarf über die Apotheke beziehen.

Probleme bei der Lagerung und Auslieferung

In den letzten zwölf Monaten mussten sich Apotheken dabei mit zahlreichen neuen Problemen und Herausforderungen befassen. Comirnaty wurde als sehr empfindlich eingestuft. Die anfällige mRNA durfte keinen Erschütterungen ausgesetzt werden. Vials, die heruntergefallen waren, mussten verworfen werden. Um eine sichere Lagerung in der Offizin zu ermöglichen, wurden Apotheker:innen und PTA kreativ. Ob nun aus Schaumstoff oder aus dem 3D-Drucker – die Vials konnten nach kurzer Zeit standfest gelagert werden.

Auch für die Großhändler stellte die Distribution der Impfstoffe eine große Herausforderung dar. Die Verteilung musste streng nach vorgegebenen Schlüsseln erfolgen. Zudem wurden Spritzen, Kanülen und Kochsalz-Lösung händisch gepackt.

Sowohl Comirnaty als auch Spikevax, damals noch unter dem Namen Covid-19 Vaccine Moderna vertrieben, unterliegen strengen Lagervorgaben, was die Temperatur angeht. Das erste Mal mussten sich Apotheker:innen – zumindest theoretisch – mit der Ultratiefkühlung auseinandersetzen. Als dann die ersten Impfstoffe in die Offizin ausgeliefert wurden, war klar, dass weder spezielle Kühleinheiten noch Trockeneis für die Lagerung der Durchstechflaschen in der Apotheke benötigt werden. Der Großhandel übernahm das Auftauen, danach musste der Impfstoff innerhalb weniger Tage verimpft werden. Dennoch: Auf den Begleitscheinen musste die Zeit der Entnahme aus der Ultratiefkühlung dokumentiert werden. Auch die Transportdauer wird dokumentiert.

Über die letzten zwölf Monate wurden die Haltbarkeitsfristen und Lagertemperaturen der einzelnen Wirkstoffe mehrmals angepasst, sodass Comirnaty beispielsweise einen Monat bei Kühlschranktemperatur gelagert werden kann. Hinzu kamen auch neue Formulierungen: Comrinaty ist mittlerweile in drei Varianten verfügbar. Es gibt die unverdünnte Variante mit violettem Flip-Off, die bereits verdünnte und applikationsfertige Formulierung mit grauem Flip-Off und das niedriger dosierte Vakzin für Kinder mit orangenem Flip-Off.

Immer wieder Kürzungen und neue Altersbeschränkungen

Zu Beginn der dezentralen Impfungen kam es immer wieder zu Lieferkürzungen und -ausfällen, da Bestellungen nicht im geplanten Umfang bedient werden konnten. So mussten sich Ärzt:innen vor allem in den ersten Monaten gedulden – oftmals konnten Apotheken auch die angegebenen Höchstbestellmengen nicht beliefern. In der Folge mussten viele Arztpraxen Impftermine absagen oder umlegen. Nicht selten kam es zum Streitgespräch zwischen Apotheke und Praxis. Besonders groß war der Frust im Dezember, als plötzlich die Booster-Kamapgne startete und kaum Comirnaty zur Verfügung stand: Der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte trotz der Expertenwarnungen nicht mit einer sprunghaft steigenden Nachfrage gerechnet und Impfstoff gespendet. In Nachverhandlungen wurden zusätzliche Kontingente von den Herstellern und aus anderen Ländern beschafft.

Vor allem Comirnaty war und ist beliebt – sowohl bei den Ärzt:innen, als auch bei den Apotheker:innen und Patient:innen. Laut einer aposcope-Umfrage präferierten im Februar 2021 zwei Drittel der Apotheker:innen und PTA den Impfstoff von Biontech (65 Prozent). Lediglich jeweils 5 Prozent hätten sich mit den Vakzinen von AstraZeneca und Moderna anfreunden können. Aufgrund von seltenen schwerwiegenden Nebenwirkungen geriet Vaxevria immer wieder in die Kritik. Zunächst sollten sich nur noch Personen unter 60 Jahre mit dem Vektorimpfstoff immunisieren lassen, dann nur noch Menschen über 60 Jahre. Die Folge: Vaxzevria wurde zum Ladenhüter. Mittlerweile spielt der Impfstoff keine Rolle mehr. Bereits seit Wochen kann das Vakzin nicht mehr bestellt werden.

Nach der Zulassung von Comirnaty konnten zunächst nur besonders vulnerable Personengruppen und Angestellte von Kliniken und Pflegeheimen geimpft werden. Somit wurden als erstes nur Menschen über 80 Jahren und Bewohner:innen von Alten- und Pflegeheimen geimpft. Danach folgte die Gruppe der über 75-Jährigen und Personen mit bestimmten Grunderkrankungen, darunter Trisomie 21. In der dritten Stufe wurden Personen zwischen 70 und 74 Jahren geimpft und Personen mit schweren chronischen Erkrankungen, darunter COPD-Patient:innen, Diabetiker:innen und Menschen mit chronischer Nierenerkrankung. Die Priorisierung bei Impfungen fiel erst am 7. Juni bundesweit.

Apotheken steigen mit ein

Seit dem 8. Februar dieses Jahres können Apotheken nicht nur Vakzine bestellen, sondern auch selbst impfen. Nach erfolgreich absolvierter Schulung können die Spritzen nun bei Personen ab 12 Jahren ohne besondere Vorerkrankungen im Beratungsraum verabreicht werden. Doch die Nachfrage hat stark nachgelassen. Zumeist seien es Booster-Impfungen, die in der Apotheke verabreicht werden, berichten Impfapotheken. Die Grundimmunisierung spielt nahezu keine Rolle.

Auch die Zulassung des proteinbasierten Impfstoffes Nuvaxovid (Novavax) konnte an der geringen Nachfrage bislang nichts ändern. Die Politik hoffte darauf, dass der vermeintliche Totimpfstoff die Impfquote nach oben treiben würde, doch die zunächst für das Gesundheitspersonal vorgemerkten Novavax-Termine konnten vielerorts direkt für alle Bürger:innen freigegeben werden.

Neuer Schwung in Sicht?

Besonders gefährdete und exponierte Gruppen sollten nach aktuellen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) eine erneute Boosterimpfung erhalten. Generell sollten Menschen über 70 Jahre eine vierte Impfung in Erwägung ziehen. Ob eine erneute Auffrischimpfung bereits ab dem 60. Lebensjahr sinnvoll wäre, wird aktuell diskutiert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte sich bereits für eine zweite Auffrischungsimpfung für Menschen ab 60 Jahren ausgesprochen.

Im April könnte ein weiterer Impfstoff zugelassen werden. Der Totimpfstoff von Valneva könnte zwar für einige Impfskeptiker eine Alternative zu den bisherigen mRNA-Impfstoffen darstellen; ob es durch die Markteinführung nochmal zu steigenden Impfzahlen kommen wird, bleibt fraglich. Beim proteinbasierten Vakzin Nuvaxovid blieb der Impferfolg bislang aus, allerdings arbeitet Valneva mit abgetöteten Viren. Sollte VLA2001 zugelassen werden, so könnte das Vakzin zunächst für die Immunisierung von Erwachsenen genutzt werden. Nach der Zulassung für Personen ab 18 Jahren, soll auch die Zulassung für jüngere Altersgruppen erfolgen. Studien zur Wirksamkeit bei Jugendlichen laufen bereits. Aktuell prüft die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA auch Impfstoffe von Sanofi und GSK, Sinovac und dem russischen Gamaleya-Institut.

Denkbar ist auch, dass es eine saisonale Impfung zumindest für Risikogruppen geben wird. Die Hersteller arbeiten bereits an kombinierten Vakzinen gegen Corona und Influenza, allerdings wird damit nicht mehr in diesem Jahr gerechnet, wie Hermann John von Moderna im Webinar von APOTHEKE ADHOC verriet. Parallel wird an multvalenten Impfstoffen gearbeitet, die dann gegen mehrere Typen von Sars-CoV-2 wirksam sein könnten.

Ob Apotheken Corona-Schutzimpfungen als Regeldienstleistung anbieten dürfen, ist aktuell übrigens nicht klar. Bislang ist das Angebot nach § 20b Infektionsschutzgesetz (IfSG) bis Jahresende befristet.

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