„Wir werden im Regen stehen gelassen“

Ex-Landapothekerin: Lauterbach soll Diäten spendieren

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Berlin -

Aktuell hagelt es Brandbriefe an Karl Lauterbach (SPD). Auch Vertretungsapothekerin Janna-Luise Dickmann appelliert in Form eines offenen Briefes an den Gesundheitsminister: „Hören sie auf, die Beteiligten in unserem Gesundheitssystem auf perfide Weise gegeneinander auszuspielen.“

Als Pächterin und Inhaberin war Dickmann in Deutschland 25 Jahre selbstständig. Im Februar diesen Jahres gab sie auf: „Ich habe meine Landapotheke in Friedeburg geschlossen, nachdem zu viel Arbeit auf zu wenig Schultern lastete.“ Sie hatte damals die Wahl, ihre Apotheke als Versorgungsstandort oder die eigene Gesundheit in den Vordergrund zustellen. Sie hat sich gegen die Selbstständigkeit entschieden: „Seither mache ich beruflich das, was ich während meiner bisherigen Tätigkeit so schwer finden konnte: Vertretungen. Ich bin da, wenn die Apothekenleiterinnen eine Auszeit brauchen oder krank sind“, so Dickmann.

Im Schreiben an Lauterbach macht sie deutlich, dass selbst die Schließung nicht einfach war: „Meine Apotheke habe ich übrigens nicht verkauft, sondern auf eigene Kosten für viel Geld geschlossen.“ Was sie seither aus ihren Vertretungen mitnehmen konnte: „Ich lernte sehr viele unterschiedliche Apotheken und ihre momentanen Situationen kennen. Aber alle haben etwas gemeinsam – die große Sorge um die oft unmögliche Versorgung“, so die Apothekerin.

Cannabis ist nebensächlich

„Wir Apotheker kennen die Schwierigkeiten der Branche, die Kostendämpfungsinstrumente wie die Rabattverträge über Jahre in unser System eingetragen haben“, so Dickmann. Deshalb sei es so völlig unverständlich, welche Prioritäten Lauterbach im Moment setze. „Cannabis hat in unseren Augen jedenfalls keine“, ärgert sich Dickmann.

Schon vor 16 Jahren war für die Apothekerin klar: „Als 2007 die Rabattverträge gesetzlich möglich wurden, wusste ich, dass dieser Weg in die Planwirtschaft uns zumindest den produzierenden Wirtschaftsstandort Deutschland weitgehend kosten würde.“

In ihrem Brief prangert Dickmann an, dass es Lauterbach vorerst nur darum gehe, die Produktion zeitnah nach Deutschland zurückzuholen. „Den Eindruck, dass dabei wie auf dem Hinweg der Demontage nur ein Schalter umzulegen ist, haben Sie zwar kurze Zeit später dann doch korrigiert, aber Ihr Ansinnen ist – Entschuldigung – von realem wirtschaftlichem Geschehen völlig abgekoppelt“, so die Apothekerin.

„Ränkespielchen sind umsonst“

Dickmanns Meinung nach ist die Industrie einfach schlauer gewesen: „Während wir Apotheker seit Jahren in vielen Bereichen un- oder unterbezahlt weiter versorgen, unterlässt die pharmazeutische Industrie unter den gegebenen Bedingungen mit Recht die Produktion.“ Deswegen habe sie selbst die Entscheidung zur Aufgabe der eigenen Apotheke getroffen: „Ich habe meine versorgende Tätigkeit auf andere Füße gestellt, nachdem ich gesehen habe, wie wir hier in Deutschland im Regen stehen gelassen werden.“ Die Haltung und Tätigkeiten Lauterbachs gäben ihrer Entscheidung Recht.

Dickmann fordert: „Hören Sie auf, die Beteiligten in unserem Gesundheitssystem auf perfide Weise gegeneinander auszuspielen und das ehemals gut funktionierende System weiter an die Wand zu fahren!“ Lauterbach würde nur seine Energie mit „Ränkespielchen“ vergeuden, anstatt sie vorwärtsgerichtet und lösungsorientiert einzusetzen, ist sich die Apothekerin sicher. „Das ist auch eine Art, Steuergelder zu verschwenden“, heißt es weiter im Brief an Lauterbach.

„Holen sie Menschen aus erster Reihe“

Gleichzeitig macht Dickmann einen Vorschlag: „Wenn Ihnen die konstruktiven Ideen für lösungsorientierte Ansätze fehlen, dann holen Sie die ins Boot, die ganz vorne im Geschehen den Menschen in unserem Land erklären müssen, warum im Moment sehr viele Arzneimittel nicht beschafft werden können.“ Dies sei keine Frage von Wollen oder fehlender Bereitschaft.

Es sei eher die Unmöglichkeit der Beschaffung durch die Einführung planwirtschaftlicher Abhängigkeiten auf politischem Weg, umgesetzt von den Krankenkassen. „Sie wissen das genau und belügen die Wähler trotzdem. Ich nehme an, das ist in jedem Falle eine Diätenerhöhung wert, über die man selbstverständlich nicht streiten muss“, so Dickmann an Lauterbach.

„Mein Vorschlag für ein konstruktives Zeichen: Lauterbach soll seine Diätenerhöhungen der letzten 20 Jahre ins System spülen, um bei der Konsolidierung endlich konstruktiv mitzuarbeiten“, so das Schlusswort der Apothekerin.

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