Offener Brief an Lauterbach

Dj-Retaxen in Höhe von 750.000 Euro

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Berlin -

Vor einer guten Woche haben die Apotheken vor Ort gegen die Missstände in der Arzneimittelversorgung protestiert – heute findet die zweite und dritte Lesung des Engpassgesetzes im Bundestag statt. Der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) appelliert noch einmal in einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Nullretaxationen gänzlich abzuschaffen und Honorarerhöhungen zu ergänzen.

Mit dem ALBVVG in seiner aktuellen Fassung sei die flächendeckende Arzneimittelversorgung und das wohnortnahe Apothekennetz noch längst nicht gesichert, so AVWL-Vorsitzender Thomas Rochell. Die Beinahe-Abschaffung der Präqualifikation begrüße er, die Verstetigung der Austauschregelungen geht ihm nicht weit genug: Die Apotheken müssten – wie auch in der Corona-Pandemie – in der aktuellen Engpasskrise weiterhin die Möglichkeit haben, unbürokratisch auf andere Darreichungsformen auszuweichen oder gegebenenfalls auf ein wirkstoffähnliches Mittel. Die Einschränkungen der Nullretaxationen seien ebenfalls nicht ausreichend, „die Krankenkassen werden den Apotheken am Ende doch wieder in die Taschen greifen können“, so Rochell.

Gleichzeitig sei die Vergütung der Apotheken nicht mehr auskömmlich, „wir zahlen bei jedem GKV-Rezept drauf“, so der AVWL-Vorsitzende. „Die Apotheken vor Ort leiden an Schwindsucht. Das ist eine Erkrankung, die mit einer Kombination verschiedener Mittel zu kurieren ist. Die Politik setzt aber nur einzelne davon ein, und diese auch nicht in der richtigen Dosierung“, so Rochell weiter.

Warnung vor Risiken und Nebenwirkungen des ALBVVG

Zu den Themen Nullretaxationen und zur Apothekenhonorierung richtet der AVWL daher noch pünktlich vor der Verabschiedung des ALBVVG einen offenen Brief an Lauterbach. „Sehr geehrter Herr Professor Lauterbach, wir möchten mit diesem Schreiben im Vorfeld – wie es sich für den Berufsstand der Apothekerinnen und Apotheker gehört – vor den Risiken und Nebenwirkungen des ALBVVG warnen“, heißt es darin, da Lauterbach den direkten Austausch mit den Apotheken vor Ort sowie deren Berufsvertretungen „nicht beziehungsweise nur in homöopathischer Dosis“ suche.

Die im ALBVVG geplante Regelung zu Nullretaxationen erinnere stark an das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) von 2015. „Ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers war damals, dass Abrechnungsbeanstandungen durch Krankenkassen insbesondere bei Formfehlern vollständig oder teilweise unterbleiben sollten. Unter dieser Maßgabe wurde die Schiedsstelle damit beauftragt, beispielhaft formale Fehler aufzulisten, die die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich berühren, sodass eine Sanktionierung der Apotheke unverhältnismäßig wäre“, heißt es.

Das von dieser Liste ausgehende Signal sei im Krankenkassenlager jedoch nicht angekommen. Stattdessen suchten seitdem mehr und mehr Krankenkassen „nach kleinsten Lücken und formalen Fallstricken, um die Apotheke – obwohl sie den Patienten mit dem richtigen Wirkstoff versorgt hat – zu sanktionieren – und zwar ohne Augenmaß, geschweige denn die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“, so der AVWL.

Fiebersaft-Retaxationen sind Skandal

Als Beispiel werden die Dj-Retaxationen angeführt: „Es wurden Rechnungen in Höhe von wenigen Euro bis hin zu fünfstelligen Summen auf null gekürzt. Allein in Westfalen-Lippe ist so bis heute eine retaxierte Gesamtsumme in Höhe von 750.000 Euro aufgelaufen – nur für diese eine Fallgruppe“, heißt es.

Aktuell erhalten viele Apotheken Retaxationen für die selbst hergestellten Fiebersäfte mit der Begründung fehlender Dosierungen. „Dabei enthält doch jedes Rezeptur-Etikett alle benötigten Angaben für die Patienten, so auch solche zur Dosierung. Die Patientensicherheit ist mithin vollständig gewährleistet gewesen. Diese Rezepte nun dennoch herauszupicken und zu beanstanden, ist nur eines: ein Skandal“, so der AVWL.

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