Laut DAK-Gesundheit steigen die Arzneimittelkosten in diesem Jahr weiter an, die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben wird größer. Vorstandschef Andreas Storm fordert die Regierung auf, jetzt ein Vorschaltgesetz zu beschließen, um den Kostenanstieg kurzfristig abzufangen. Konkret fordert er, einen flexiblen Herstellerabschlag einzuführen, um die Ausgabendynamik besser in den Griff zu bekommen.
Laut Storm hat eine „einnahmenorientierte Ausgabenpolitik“ inzwischen Eingang in nahezu alle gesundheitspolitischen Diskussionen gefunden. Ziel der neuen Regierung sei es, den Zugang zu neuen Therapien mit tragfähiger Finanzierung und Innovationsfähigkeit zu verbinden – wie im Koalitionsvertrag verankert: „Das AMNOG entwickeln wir mit Blick auf die ‚Leitplanken‘ und auf die personalisierte Medizin weiter. Dabei ermöglichen wir den Zugang zu innovativen Therapien und Arzneien und stellen gleichzeitig eine nachhaltig tragbare Finanzierung sicher“, heißt es dort.
In der Realität stiegen die Beitragssätze jedoch weiter – ein Ende sei derzeit nicht absehbar, so Storm. So beliefen sich die Mehrausgaben für Arzneimittel allein auf rund fünf Milliarden Euro Mehrkosten im Vergleich zum Vorjahr, eine Wachstumsrate von 10,2 Prozent. Damit liege der Anstieg in diesem Bereich auch deutlich über den ebenfalls hohen Steigerungsraten in anderen Versorgungsbereichen: Krankenhäuser verzeichneten ein Plus von 8,2 Prozent, der ambulante Bereich von 6,4 Prozent. Die Beitragseinnahmen könnten mit dieser Ausgabendynamik nicht Schritt halten, betonte Storm.
Storm forderte ein Vorschaltgesetz noch vor der Sommerpause, das eine regelgebundene Dynamisierung des Herstellerrabschlags vorsieht. Ziel sei eine Erhöhung um 5 Prozentpunkte für das Jahr 2023, was Einsparungen von etwa 1,3 Milliarden Euro zur Folge hätte. Dieses Gesetz solle als Übergangsinstrument dienen, bis eine nachhaltigere Finanzierungsstruktur geschaffen werden könne. In einer langfristigen Reform müssten die Leitplanken neu gedacht werden: Es solle eine uneingeschränkte Nutzenbewertung für Orphan Drugs geben, ohne eine Verknüpfung von Standortförderung und Preisbindung. Eine Gegenfinanzierung auf Kosten der Beitragszahler müsse vermieden werden.
Die Analyse im Auftrag der DAK, der sogenannte AMNOG-Report, wurde – wie schon in den vergangenen Jahren – von Wissenschaftler:innen der Universität Bielefeld gemeinsam mit der Beratungsfirma Vandage durchgeführt.
Der medizinische Fortschritt ermögliche zwar einen besseren Zugang zu innovativen Therapien – gleichzeitig verschärfe sich jedoch die Finanzierungsdebatte im GKV-System, betont Professor Dr. Wolfgang Greiner. Der Arzneimittelsektor verzeichne einen überdurchschnittlichen Ausgabenanstieg. Besonders die patentgeschützten Arzneimittel tragen nach seinen Worten dazu bei: Während die Ausgaben für Generika seit 2019 um rund 11 Prozent gestiegen seien, sei der Anstieg bei patentgeschützten Präparaten mit 26 Prozent deutlich höher – etwa 3,5-mal so stark wie im Generikamarkt.
Auffällig sei auch die Ausgabenverteilung: 2024 entfielen rund 35 Prozent der Arzneimittelausgaben auf die zehn umsatzstärksten patentgeschützten Präparate, 11 Prozent allein auf das oberste Prozent. Nur 15,7 Prozent der Ausgaben gingen an neue Wirkstoffe, während 41 Prozent auf Präparate entfielen, die bereits fünf bis zehn Jahre am Markt seien – ein Hinweis darauf, dass der übliche Substitutionseffekt zunehmend an Wirkung verliere.
Greiner verwies auf Maßnahmen der vergangenen Regierung, etwa das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und das Medizinforschungsgesetz im Hinblick auf die Standortförderung. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen sei jedoch fraglich. „Die letzte Regierung war in diesem Bereich nicht sehr erfolgreich“, urteilte Greiner.
Obwohl es Optionen zur Kostendämpfung und Innovationsförderung gebe, seien diese meist mit Trade-offs verbunden, die ihre politische Umsetzbarkeit erschwerten. „Die Maßnahme, die beides gleichzeitig erfolgreich vereint, gibt es nicht“, so Greiner. Die Regulierung im Rahmen des AMNOG sei inzwischen überkomplex und leiste weder einen klaren Beitrag zur Innovationsförderung noch zur wirksamen Ausgabensteuerung, so Greiner.
„Das AMNOG-Prinzip hat sich bewährt, aber die Evidenzbasis ist oft unzureichend“, so Professor Dr. Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Er sprach sich dafür aus, Evidenz und Versorgung stärker zu verknüpfen – etwa durch eine dynamische Anpassung der Erstattungsbeträge auf Basis langfristiger Behandlungsergebnisse in Kohortenstudien. Dieses Modell sei rechtssicher und transparent.
Hecken betonte, dass personalisierte Therapien zwar schneller zugelassen würden, aber häufig weniger belastbare Daten vorlägen. Er teile nicht die Auffassung, dass es in Deutschland Versorgungslücken gebe – vielmehr sei der Zugang zu Innovationen überdurchschnittlich gut. Zulassungsstudien böten oft keine ausreichende Grundlage für die frühe Nutzenbewertung. Hecken plädiert deshalb für den gezielten Aufbau von Registern, mehr Real-World-Daten und internationale Abstimmungen, um die Evidenzlücken strukturell zu schließen.
Dr. Sibylle Steiner, Vorständin der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), wies auf zentrale Herausforderungen des AMNOG hin – insbesondere im Umgang mit schnellen Innovationszyklen und seltenen Erkrankungen. Orphan Drugs machten zwar nur 0,06 Prozent der Verordnungen aus, verursachten aber rund 5 Prozent der Arzneimittelausgaben. Umso wichtiger sei es, den Erkenntnisgewinn in diesem Bereich zu verbessern und evidenzbasierte Therapieoptionen auch bei begrenzter Datenlage zu sichern.
Dabei sollten die bewährte Rolle der gemeinsamen Selbstverwaltung gestärkt, zusätzliche Dokumentationspflichten vermieden und die Akzeptanz der AMNOG-Bewertungen erhöht werden. Zudem müsse das Verfahren stärker mit der EU-weiten Nutzenbewertung (EU-HTA) verzahnt werden. Künftig könne Künstliche Intelligenz (KI) etwa bei der Analyse von Studiendaten oder der Identifikation unerwarteter Nebenwirkungen einen wichtigen Beitrag leisten.
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