Pride Month

„Aufklärung ist essenziell“

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Berlin -

Erik Tenberken ist seit 30 Jahren selbstständiger Apotheker in Köln und engagiert sich ebenso lange für die AIDS-Hilfe. Ihm ist es beispielsweise auch zu verdanken, dass die früher sehr teure Tablette zur HIV-PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe) bezahlbar gemacht werden konnte. Den Pride Month sowie den Christopher-Street-Day (CSD) sieht er bis heute als wichtigstes Aufklärungsorgan der LGBTQ+-Gemeinschaft an.

Der Pride Month steht heute für Förderung einer Kultur der Akzeptanz und Toleranz. Jedes Jahr im Juni wird dieser Monat als eine Zeit der Freude, der Solidarität und des Aktivismus für die LGBTQ+-Rechte mit vielen Festivals, Paraden und Veranstaltungen gefeiert. Der Pride Month ist aber auch eine Zeit, um Bewusstsein zu schaffen, Vorurteile zu bekämpfen und auf die anhaltenden Herausforderungen hinzuweisen, mit denen die LGBTQ+-Gemeinschaft konfrontiert ist.

Die Wurzeln dieser Bewegung liegen in den Stonewall-Unruhen von 1969 in New York City. Damals widersetzte sich die LGBTQ+-Gemeinschaft mutig den Schikanen und Diskriminierungen, die sie durch die Polizei und andere autoritäre Institutionen erfahren musste. Die Ereignisse markierten den Beginn der Bewegung, die für die Rechte und Freiheiten von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen und queeren Menschen auf der ganzen Welt kämpft. Sie ermutigt dazu, die Vielfalt der Menschen stolz zu zeigen und sich zur eigenen Sexualität oder Geschlechtsidentität zu bekennen, sich sichtbar zu machen und dazu beizutragen, Stereotypen und Vorurteile zu überwinden.

Die LGBTQ+-Menschen stehen hier klar im Mittelpunkt. Allerdings können alle Menschen Teil dieser Bewegung sein. Verbündete spielen eine entscheidende Rolle: Ihre Unterstützung leistet einen großen Beitrag, um eine inklusive Gesellschaft aufzubauen, in der niemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität diskriminiert wird.

Innovation und Herzblut

Erik Tenberken, Inhaber der Birken-Apotheke, der Westgate-Apotheke und der Versandapotheke „Fliegende Pillen“ hat sich im April 1993 Jahren erstmals selbstständig gemacht. Zu einer Zeit, als es in Deutschland verheerend viele HIV-Infizierte, aber keine wirksamen Medikamente gab. Aufgrund vieler Fälle auch in seinem Freundes- und Bekanntenkreis nahm der Apotheker Kontakt zur AIDS-Hilfe auf und baute seine Apotheke für diese spezielle Versorgung aus. „Das wollte damals keiner machen. Da gab es Berührungsängste und auch viele böse Kommentare in meine Richtung. Ich hatte das nicht geplant, die Aufgabe hat sich mir gestellt, und ich habe es schließlich als selbstverständlich angesehen, zu helfen.“

Als 1996 eine erste HIV-Therapie mit einer Dreierkombi auf den Markt kam, „die auch tatsächlich was bewirkt hat, ist es besser geworden. Zuvor gab es nur Elend“, so Tenberken.

Mit der bezahlbaren PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe), dem Schutz vor Infektionen per Pille, hat Tenberken 2017 einen Meilenstein gesetzt. „Es ist ungeheuer wichtig, Prävention auch zugänglich zu machen und damit das Infektionsgeschehen einzudämmen.“

Damals konnte er Hexal gewinnen und sein Generikum patientenindividuell zu 28 Tabletten im eigenen Blisterzentrum verpacken. Mit etwa 50 Euro entspricht das Arzneimittel nicht mal einem Zehntel der vorherigen Kosten. Das es so günstig abgegeben werden kann, liegt daran, dass der Rabatt unter Beachtung der Arzneimittelpreisbindung direkt an den Kunden oder die Kundin weitergegeben wird.

30 Jahre Engagement

Nach wie vor beschäftigt sich Erik Tenberken intensiv mit Aufklärungsarbeit zu HIV. Heute gibt es immer mehr Länder, in denen es verboten ist, über Homosexualität zu sprechen, berichtet er und nennt Polen, Ungarn, Uganda und Florida als Beispiele. „Da hat man natürlich große Schwierigkeiten aufzuklären. Folglich explodieren dort die Infektionszahlen – sogar um das 100 bis 500-fache.“ Wo man reden könne und Aufklärungsarbeit möglich sei, seien die Zahlen deutlich geringer.

Tenberken engagiert sich seit Jahren beim CSD und beim Cologne-Pride und setzt sich auch dort für die Community ein. „Es ist unsäglich, was teilweise passiert, welche Hasskommentare und böse Sprüche sich Schwule, Lesben und andere sexuelle Identitäten gefallen lassen müssen. Man fügt diesen Menschen enormes Leid zu. Warum? Keiner hat sich selbst gemacht.“

Früher habe man oft versucht, solche Bemerkungen ins Positive zu ziehen, und beispielsweise mit „Ich habe es mir nicht ausgesucht, ich habe einfach Glück gehabt“, gekontert und versucht, „alles, was an Negativem bei einer Homosexualität dranhängt, irgendwie einigermaßen zu verarbeiten. Sich selbst klarzumachen, dass man ist, wie man ist. Aber von der Gesellschaft deshalb ausgestoßen zu werden, ist extrem schmerzhaft.“

Es habe sich zwar Vieles verbessert, „aber es verschlechtert sich auch gerade Einiges wieder“, betont Tenberken. „Darum ist der CSD auch so wichtig. Auch wenn viele Menschen sagen, dass wir das nicht mehr brauchen, dass doch alles gut sei in der Szene und der CSD nur noch Feierei sei.“ Das stimmt laut Tenberken nicht. „All das, was wir uns in den Neuzigern erkämpft haben, drohen wir gerade wieder zu verlieren. Das macht mir große Sorgen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass trotz der Fortschritte in Bezug auf die Gleichberechtigung noch extrem viel zu tun ist. Jede Person soll unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität respektiert und akzeptiert werden – und das weltweit.“

Eingeschränkte Therapieoptionen

„Wir sind einerseits in einer relativ komfortablen Situation, was die Medizin anbelangt. Das Problem, welches jetzt auf uns zu kommt ist, dass viele HIV-Medikamente aus Kostengründen vom Markt verschwinden.“ Die freie Auswahl, die es gegeben hat, sei nicht mehr verfügbar. Dass jeder Mensch die Therapie bekommt, die er mit eventuellen Allergien und bestehendem Nebenwirkungsprofil vereinbaren kann, sei Geschichte.

„Die Auswahl wird immer geringer. Einige Medikamente gibt es nicht mehr auf dem Markt. Die Pharmafirmen stampfen ihr Angebot massiv ein. Sie verdienen zu wenig daran. Man schränkt damit aber die Möglichkeit ein, eine für den Menschen passende Therapie zu bekommen. Und das wird momentan immer schlimmer.“ Die Politik müsse Geld in die Hand nehmen, um die Medikamente weiterhin verfügbar machen zu können. Tenberken hält das geringere Angebot an verfügbaren HIV-Arzneimitteln für bedenklich.

Er fühle besonders mit den Menschen, die mit einer Medikamentenumstellung nicht zurechtkommen, die einfach ihr früheres Medikament zurückhaben wollen. „Da schaut man in panische Augen, das tut mir in der Seele weh. Ich habe einige Freunde an der Krankheit verloren. Die Nebenwirkungen sind zum Teil schwerwiegend, gehen auf Knochen und Niere. Gerade wenn der Patient oder die Patientin älter ist, gibt es hier Probleme. Das schränkt die Lebensqualität stark ein.“

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