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Außer Spesen nichts gewesen

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Berlin -

Frohen Mutes und voller Tatendrang sperrt der Apotheker am Morgen die Ladentür auf. Gleich die erste Kundin benötigt eine Rezeptur – kein Problem, ist am Nachmittag für Sie bereit. Bei der Plausibilitätsprüfung fällt ihm auf, dass die Konzentration viel zu hoch ist. Er korrigiert sie in Rücksprache mit der Ärztin. Als die Kundin von der Änderung erfährt, verweigert sie die Annahme. Also stellt er die Rezeptur zähneknirschend noch einmal her – in der ursprünglichen Version. Diesmal hat die Kundin einen Vertreter der Kammer dabei, der den Fall als Verstoß gegen die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) aufnimmt. Als der Apotheker die beiden entnervt aus der Apotheke komplimentiert, überreichen sie ihm in der Tür noch eine Abmahnung: wegen Rezepturverweigerung.

Seit der Novellierung der ApBetrO ist bei Rezepturen eine Plausibillitätsprüfung Pflicht. Diese allzu oft lästige Aufgabe ist das letzte Refugium pharmazeutischer Kompetenz: keine Krankenkasse kann hier mitreden, kein Arzt sich die Anmerkungen des Juniorpartners verbitten. Nur die Kunden, scheint's, wissen es noch besser: Ein Apotheker aus München blieb auf einer nach bestem Wissen veränderten Progesteron-Rezeptur sitzen – weil die Dame, von Beruf Anwältin, die pharmazeutische Bevormundung als Affront empfand.

Wer aber dachte, solchen Besuchern einfach die Tür vor der Nase zuschlagen zu können, der irrt. In Berlin wurde eine einstweilige Verfügung gegen eine Apotheke erlassen, die Kunden einfach mit der Begründung weggeschickt hatte: „Wir machen keine Rezepturen.“ Stattdessen wurden Einkaufsgutscheine für Rezepte mit Fertigarzneimitteln angeboten.

Die Mehrheit der Leserinnen und Leser von APOTHEKE ADHOC befürwortet entsprechend die Entscheidung. Doch so mancher Kollege wird sich auch Sorgen machen, dass ihn lästige Konkurrenten mit unplausiblen Zwangsrezepturen in den Wahnsinn treiben. Kammer oder Landgericht, hießen dann die Alternativen. Auch wenn immer weniger Salben, Suspensionen und Suppositorien in der Apotheke gefertigt werden: Rezeptur verpflichtet.

Auch die Pharmafirmen haben bei der Herstellung manchmal ihre Probleme – immer wieder müssen prominente Hersteller Lieferprobleme melden, weil es in der Produktion hakt: Levothyroxin ist so ein Beispiel, das kein Apotheker mehr hören kann. Das Schilddrüsenhormon gehört zu den widerspenstigsten Molekülen im Generikabereich, weiß Dr. Guido Zimmermann, technischer Direktor bei Lindopharm, zu berichten. Licht, Sauerstoff, Stahl und Plastik müssen vom Mimöschen fern gehalten werden, bei den Hilfsstoffen geht nur das Beste vom Besten. Dazu die kurze Haltbarkeit, die Ausfälle zwangsläufig immer überraschend kommen lässt. Und die sprunghaft steigende Nachfrage, wenn es bei Hexal mal wieder nicht geklappt hat.

Aktuell gilt es allerdings an anderer Front den Ausfall eines Platzhirschen mit 70 Prozent Marktanteil zu stemmen: Sanofi, unter anderem Namen einst eines der deutschen Pharma-Vorzeigeunternehmen, kann Novaminsulfon Lichtenstein nicht liefern, das am zweithäufigsten verordnete Arzneimittel überhaupt. Bis Mitte August ist nicht mit neuer Ware zu rechnen. Womöglich erlebt die Rezeptur schon bald eine Renaissance. Fagron & Co. stehen bereit, um die Apotheken im Fall der Fälle beim Improvisieren zu unterstützen.

Improvisieren müssen auch die auf HIV-Patienten spezialisierten Apotheken. Weil die Hersteller auf ganzer Linie sparen, kommt es immer wieder zu Defekten, die mittlerweile die Versorgung gefährden, erklärt der Kölner Apotheker Erik Tenberken. Der Großhandel macht einen Bogen um die Hochpreiser, die seine Mischkalkulation gefährden. Die Hersteller wiederum kontingentieren, was das Zeug hält, um Schiebereien zu verhindern. „Die Industrie geht wohl davon aus, dass die Lagerhaltung in der Verantwortung der Apotheken liegt“, sagt Tenberken und fordert die Politik auf, die Firmen zu Mindestbeständen zu verpflichten.

Wieder zurück ist dagegen MCP. In dieser Woche kamen die ersten Packungen der Lösung mit der neuen Höchstdosierung von 1 mg/ml in die Apotheken. Ratiopharm hatte als erster Anbieter die Zulassung erhalten, fünf Anträge prüft das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch. Was es auch noch prüft, sind die Zulassungen im Zusammenhang mit GVK Biosciences. Indien hat vorläufig schon einmal die Freihandelsverhandlungen abgesagt.

Sich den Herausforderungen der Produktion zu stellen, aber auch staatliche Regulationen und aggressive Wettbewerber im Blick zu behalten, kann man demnächst virtuell üben. Positech Games will im Herbst das Computerspiel „Big Pharma“ auf den Markt bringen. Substanz finden, Produktionshalle einrichten, Vertrieb aufbauen – ganz wie im richtigen Leben.

Wer es auf die harte Tour möchte, kann sich als Gamer von Pfizer inspirieren lassen. Eine Indikation von Pregabalin ist noch patentgeschützt, und so wie es aussieht, ist der Konzern bereit, sich mit jedem anzulegen, der allzu freihändig unterwegs ist. Ob das neben den Generikaherstellern am Ende auch Ärzte und Apotheker sein werden, bleibt abzuwarten. Noch wird verhandelt, doch von Lauer-Fischer hat sich der Lyrica-Hersteller bereits einen Warnhinweis in die Software schreiben lassen.

Was für Pfizer der Patentschutz, ist für Apotheker der Standort. Weil der Netto-Markt gegenüber abzuwandern droht, wird eine Apotheke im nordrhein-westfälischen Oberhausen zum Standortentwickler. Gegenwehr kommt von den Anwohnern: Sie befürchten mit dem neuen Discounter auch mehr Lärm und Abgase.

Höchst willkommen wäre ein Apotheker auf Baltrum. Weil der bisherige Leiter mit 75 endgültig in Rente geht, sucht die Verwaltung einen Nachfolger. Es gibt zwar einen Interessenten, aber der kennt die Insel nur als Urlauber und kommt eigentlich aus Nordrhein-Westfalen. Ob er die Insel-Apotheke als Filiale übernehmen kann, ist noch nicht sicher.

Zu guter Letzt im Schnelldurchlauf: Schneekoppe ist nicht mehr insolvent, dafür offenbar der auf Tierarzneimittel spezialisierte Versender Medicanimal. CC Pharma will back to the roots, Shire will jetzt Baxalta kaufen. Der Apothekerverband Westfalen-Lippe kooperiert mit den Kollegen aus Hessen und hat auch für seinen Exit beim ARZ Haan offenbar einen Kompromiss erzielt, über den Anfang September die Mitglieder abstimmen sollen. Der 90-jährige Apotheker Helmut Wirz hat seinen 113. Bungeesprung wohlbehalten absolviert.Dafür ist in Berlin vor einer Apotheke der Bürgersteig unter der Last einer Kehrmaschine eingebrochen. Schönes Wochenende.

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