Neuer Telemedizin-Anbieter

Nowomed: Cannabis-Therapie per App

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Berlin -

Für viele Patienten ist es nach wie vor schwer, Zugang zu einer Therapie mit medizinischem Cannabis zu erhalten – der ist damit weiterhin ein Geschäftsmodell. Mit Nowomed drängt nun das nächste auf Cannabis spezialisierte Telemedizin-Unternehmen in den Markt. Anders als manche Mitbewerber setzte es nicht auf Kooperationen mit bestimmten Apotheken, sondern betont die Wahlfreiheit des Patienten. Angesichts der Reformen, die bevorstehen dürfte, könnte das Geschäftsmodell aber eine riskante Wette sein.

Insbesondere für Patienten mit chronischen Schmerzindikationen ist Cannabis oft die letzte Hoffnung auf eine Linderung ihrer Leiden oder aber zumindest eine Verringerung der schweren Nebenwirkungen, die mit starken Schmerzmitteln einhergehen. Allerdings haben sie es oft schwer, ärztliche Behandlung zu finden: Es sind nicht allzu viele Ärzt:innen in Deutschland, die sich mit dem Thema medizinisches Cannabis befassen – einerseits wegen nach wie vor bestehender Vorbehalte, andererseits auch, weil die beratungsintensive Cannabistherapie einen erheblichen Aufwand bedeutet und mit Unsicherheiten behaftet ist. Anders als bei anderen Arzneimitteln müssen sie sich mit Kostenerstattungsanträgen herumschlagen, von denen im Schnitt rund jeder dritte abgelehnt wird.

Genau hier kann mit telemedizinischer Betreuung angesetzt werden, abgesehen vom Erstgespräch ist bei der Begleitung von Cannabispatienten nämlich kaum physischer Kontakt notwendig. Das Telemedizin-Start-up Algea Care ist damit in kürzester Zeit erfolgreich geworden. Mit Nowomed stößt nun ein weiteres Telemedizin-Unternehmen in den Markt – hat jedoch vor allem mit Blick auf die Einbindung der Apotheken ein in Nuancen anderes Modell. Im November 2021 gestartet, betreibt Nowomed mittlerweile drei eigene Standorte in Berlin, München und Köln, in denen freiberufliche Ärzte die Erstgespräche mit den Patienten durchführen.

„Wir versuchen, mit diesem Dreieck Deutschland etwas abbilden zu können, damit die Patienten für das Erstgespräch nicht allzu weit anreisen müssen“, sagt Arzt und Mitgründer Florian Wesemann. „Noch im Frühjahr werden aber neue Standorte hinzukommen, auch durch Kooperationen, um die Distanzen noch weiter zu verringern. Denn wir haben auch schwer kranken Patienten, die nicht so weit reisen können.“ Neben eigenen angemieteten Räumlichkeiten sei dabei auch die Integration in bereits bestehende Arztpraxen denkbar.

Über 500 Patienten haben sich nach Unternehmensangaben bereits bei Nowomed registriert. Insbesondere in den vergangenen Wochen habe ihre Zahl stark zugenommen – das Wachstum liege mittlerweile bei 50 Patienten pro Woche, Tendenz steigend. Geholfen habe dabei vor allem modernes Marketing. „Die Patient Journey beginnt oft auf unserer Webseite, aber wir haben auch viele Patienten, die über soziale Medien auf uns aufmerksam werden. Das ist für viele Ärzte etwas ganz Neues“, sagt Wesemann. Bevor die Patienten einen Arzt sehen, erfolgt eine Prä-Anamnese per Web-App im Browser. Mit diesen Informationen ausgestattet sollen die Arztgespräche noch effizienter werden. „Wir planen für das Erstgespräch nur rund 30 Minuten ein, da Diagnosen, Medikation, vorherige Therapien und ähnliches schon in der Prä-Anamnese angegeben werden können“, so Wesemann. „Und dann geht es im Wesentlichen darum, ob der Patient überhaupt für eine Cannabistherapie infrage kommt. Das ist recht wahrscheinlich, weil wir online bereits eine gute Vorauswahl treffen.“

Auch deshalb sei ein Missbrauch ausgeschlossen. Seit vergangenem Jahr mehren sich nämlich Berichte, wonach immer mehr Menschen niedrigschwellige Online-Angebote in Anspruch nehmen, um sich vermeintlich legal Cannabis als Genussmittel zu besorgen. „Man kann bei uns ganz klar sagen: Es gibt ein Arztgespräch vor Ort und keine Therapie ohne eine entsprechende Diagnose von einem Facharzt“, betont Wesemann. „Wir stellen selbst keine Diagnosen, sondern führen eine rein medizinisch indizierte Therapie durch. Die Diagnosen müssen inklusive des bisherigen Therapieverlaufs vorliegen und der Patient bescheinigt uns, dass er die Wahrheit sagt. Es liegt dann im ärztlichen Ermessen, ob eine Cannabistherapie Sinn ergibt.“

Die weitere Behandlung erfolgt dann digital – ab Ende des Monats auch per Smartphone-App. Denn dann soll neben der Prä-Anamnese auch die Therapie-Tracking-App downloadbar sein. Über sie sollen Kontrolle, Überwachung und Feedback der Therapie genauso ermöglicht werden wie Anfragen der Patienten an die Ärzte. Perspektivisch sei das auch als Digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) denkbar, die unabhängig von Nowomed mit anderen Ärzten funktioniert. „Ich kann mir das als White-Label-Lösung vorstellen“, so Wesemann. „Wir sind auf dem Weg zur DiGA, aber bis zur Listung ist es ein sehr langer Prozess.“ Bis dahin steht erst einmal die Therapie über Nowomed im Vordergrund. Die App-basierte Therapiebegleitung habe neben der Vereinfachung für den Patienten vor allem den Nutzen, die Kosten zu verringern, denn Nowomed arbeitet rein privatärztlich.

„Wir haben keinen Kassensitz und können deshalb auch einen Kostenerstattungsantrag stellen“, sagt Wesemann. „Wir schließen eine gewisse Lücke in der Patientenversorgung: diejenigen Patienten, die keinen Übernahmeantrag genehmigt bekommen werden, aber trotzdem für Therapie infrage kommen. Dabei versuchen wir gerade auch, die Therapie durch die digitalen Lösungen günstiger zu machen.“ Doch wie lange wird es diese Lücke noch geben? Die Legalisierung von Cannabis als Genussmittel soll noch in dieser Legislaturperiode vonstatten gehen – darauf haben sich die Regierungsparteien geeinigt.

Die Frage wird sein: Ist Cannabis frei verfügbar, wer braucht dann noch ein Rezept, wenn er es sowieso nicht erstattet bekommt? „Bis zur Legalisierung wird es noch eine ganze Weile dauern, wir schärtzen zwei bis drei Jahre“, sagt Wesemann. „Und es gibt noch gar kein Konzept, wie das aussehen soll. Es weiß noch niemand, wo die Reise hingeht.“ Man wisse aber aus dem Ausland, dass die Versorgung mit medizinischem Cannabis auch nach der Freigabe als Genussmittel weiter existiert. „Natürlich müssen wir unser Geschäftsmodell kontinuierlich hinterfragen. Aber wir glauben, dass es insbesondere den Bereich Schmerztherapie weiterhin geben wird.“

Davon weniger betroffen dürfte die Versorgung über die Apotheken sein – hier setzt Nowomed anders als manche Mitbewerber strikt auf die freie Apothekenwahl: Der Arzt stelle ein BtM-Rezept aus, der Patient wählt eine Apotheke und Nowomed schickt das Rezept dann dorthin. „Wir sagen dem Patienten, was wir ihm verschreiben wollen und dass er sich schon mal nach einer Apotheke umschauen soll“, erklärt Wesemann. Falls der Patient sagt, dass er gar nichts findet, würden die Ärzte ihn natürlich bei der Suche unterstützen. „Aber letztlich muss er die freie Apothekenwahl haben, da kann und will ich als Arzt gar keinen Einfluss darauf nehmen. Wir haben unsere Erfahrungen mit Apotheken gemacht, wo es einwandfrei läuft und mit welchen, wo es nicht einwandfrei läuft, aber wir schicken es natürlich trotzdem an jede Apotheke, die der Patient wünscht.“

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