Tödlicher Hustensaft

Schmerzensgeld: Mutter ringt mit Pharmakonzern

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Berlin -

Im Januar 2015 verstarb ein fünfjähriges Mädchen aus Österreich im Schlaf. Ihre Mutter hatte ihr zuvor vom Arzt verschriebenen Hustensaft Codipertussin (Codein) verabreicht. Sie klagt auf Schmerzensgeld – bislang ohne Ergebnis.

Im August 2016 klagte die Mutter das erste Mal gegen den Pharmakonzern Astellas sowie den Lohnhersteller Aenova. Sie verlangt 100.000 Euro, darunter Trauerschmerzensgeld für die nun vierköpfige Familie, Therapiekosten und Verdienstausfall. Doch Astellas bot in Vergleichsverhandlungen nur 30.000 Euro an und wies zudem die Schuld von sich. Der Grund: Laut Verpackung sei man zwar Hersteller, nicht aber am Beipackzettel.

Zu einem Prozess am Handelsgericht Wien kam es bislang noch nicht: Nachdem sich der erstzugewiesene Richter für befangen erklärt hatte – vermutlich aufgrund des gleichen Wohnortes – und den Fall abgab, verzögerten die angeklagten Firmen die Verhandlung. Das Gericht forderte von den beiden Pharmafirmen einen Kostenvorschuss für das Sachverständigengutachten zur Wirkung des Hustensaftes und ob dieser zum Tod des Mädchens geführt haben könnte. Das Gericht mahnte Aenova nun zum dritten Mal, die Summe von 800 Euro zu zahlen.

Auch der beauftragte Toxikologe wurde erneut vom Gericht ermahnt, sein Gutachten endlich zu übermitteln. Die erste Deadline lief bereits am 3. April ab. Der Sachverständige erklärte jedoch, dass der Fall doch komplizierter sei als angenommen und bat um eine Verlängerung der Frist bis zum 10. Juni. Jetzt, Ende Oktober, wurde das Gutachten immer noch nicht übermittelt. Franz Kienesberger, der Anwalt der Familie, brachte gegenüber Heute.at seine Erschütterung zum Ausdruck: „Eigentlich sollte sich das Unternehmen – wenn dies alles der Wahrheit entspricht – schämen, gegen eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern mit solchen Mitteln vorzugehen zu versuchen. Ein solcher untauglicher Versuch ist eigentlich eine Schande für die gesamte Pharmabranche.“

In Deutschland ist Codein zur Behandlung des Hustens bei Kindern unter 12 Jahren wegen des Risikos schwerwiegender Nebenwirkungen kontraindiziert. Für Jugendliche bis 18 Jahre mit Atemwegsbeeinträchtigungen wird der Arzneistoff wegen der erhöhten Anfälligkeit für Atemstörungen nicht mehr empfohlen. Anfang des Jahres forderte auch die US-Arzneimittelbehörde FDA eine Novellierung der Altersbeschränkungen von Husten- und Erkältungsmitteln mit Codein und Hydrocodon: Den Experten zufolge überwiegen die Risiken, zu denen Missbrauch, Sucht, Überdosis, Atemprobleme und Tod gehören.

Codein besitzt opiatagonistische Eigenschaften und wirkt dosisabhängig sowohl zentral analgetisch als auch antitussiv. Das Opioid unterdrückt den Hustenreflex durch eine direkte Wirkung auf das Hustenzentrum. Die Wirkung basiert zum Teil auf einer Bindung an supraspinale Opiatrezeptoren, jedoch zeigt Codein eine außergewöhnlich niedrige Affinität zu den Opiatrezeptoren. Ein Teil der Wirkungen ist auf den Metaboliten Morphin zurückzuführen. Das Prodrug wird von den Patienten unterschiedlich umgewandelt. So wird bei sogenannten Schnellmetabolisierern über den First-Pass-Effekt ein Großteil des Codeins in der Leber umgewandelt. Langsammetabolisierer wandeln hingegen nur einen geringen Teil um, somit ist die Wirkung geringer. Grund ist ein genetischer CYP2D6-Polymorphismus.

Ausnahme von der Ausnahme: Codein und Dihydrocodein zählen zu den am häufigsten verordneten Hustenstillern. Obwohl die Substanzen zur Gruppe der Opioide gehören, unterliegen sie nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Allerdings gibt es Ausnahmen, die eine Verordnung gemäß BtMG erfordern.

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