Apothekerin streitet mit Versorgungswerk

Urteil: Vor Berufsunfähigkeit kommt Versandapotheke

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Berlin -

Für eine Berufsunfähigkeit gelten strenge Maßstäbe: Nur wenn der erlernte Beruf in seiner Gesamtheit nicht mehr ausgeübt werden kann, besteht Anspruch auf eine entsprechende Rente. Für Apotheker:innen ist der Handverkauf alleine kein ausschlaggebendes Kriterium, hat das Verwaltungsgericht Stuttgart entschieden.

Im Streit ging es um eine junge Apothekerin, die unter massiven Zwangsstörungen leidet: Einerseits ist sie nach Schilderung der Ärzte aus Angst vor möglichen Kontaminationen kaum in der Lage, ihr Haus ohne Begleitung zu verlassen. Andererseits ist sie dem Stress der Arbeit in der Apotheke und damit verbunden der Verantwortung für die Gesundheit der Patienten nicht gewachsen.

Als Mitglied der Bayerischen Apothekerversorgung beantragte sie daher Ruhegeld wegen dauernder Berufsunfähigkeit. Nicht nur die behandelnden Ärzte, sondern auch ein sozialmedizinisches Gutachten des Arbeitsamtes und ein Gutachten des Medizinischen Dienstes (MDK) bestätigten, dass eine Berufsunfähigkeit auf Dauer vorliege.

Ein fachärztliches Gutachten der Bayerischen Versorgungskammer kam zwar ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Tätigkeit als Apothekerin in einer Apotheke unter üblichen Bedingungen nicht mehr möglich sei, und zwar auch nicht in geringem Umfang. Anders verhalte es sich aber mit Tätigkeiten aus dem Berufsfeld, die nicht mit Kundenkontakt einhergingen und keinen unmittelbaren Druck bei der Arbeit aufwiesen. Bei diesen Tätigkeiten könne die Zwangsstörung ausreichend unter Kontrolle gehalten werden.

Insofern sei nicht jede Tätigkeit aus dem Berufsfeld der Pharmazie ausgeschlossen: Abseits einer „konventionellen Apotheke“ oder einer Krankenhausapotheke kämen leichte Tätigkeiten ohne erhöhte Anforderungen an Konzentration, Verantwortung und Stressresistenz in Betracht – etwa „Tätigkeiten am Schreibtisch (Recherchen, schriftliche Beratung)“ oder „Tätigkeiten in Online-Apotheken“.

Dies wies die Apothekerin zurück: Dem Apothekerberuf sei ein hohes Maß an Verantwortung und Konzentration immanent, da er der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes diene. Daher gebe es keine Tätigkeit, bei der man nicht selbständig und in Eigenverantwortung arbeiten müsse; unselbständige Tätigkeiten würden von PTA oder Angestellten übernommen, die unter Aufsicht eines Approbierten unterstünden.

Auch bei einer Tätigkeit im Labor, bei einer Zeitschrift oder in einer Internetapotheke sei daher man als Apothekerin für den Inhalt und die Arbeit verantwortlich. Selbst bei einer einstündigen Tätigkeit sei nicht auszuschließen, dass sie einen schwierigen Fall bearbeiten müsse, bei dem eine hohe Verantwortung bestehe. Eine Schreibtischarbeit ohne Verantwortung und ohne erhöhte Anforderung an Konzentration sei im Zusammenhang mit dem Apothekerberuf nicht bekannt.

Nach dem Entlassungsbericht aus der Klinik bestehe bei ihr sehr wohl ein Zusammenhang zwischen der Zwangserkrankung und der Verantwortung als Apothekerin: Bei einer Wiederaufnahme einer Tätigkeit als Apothekerin bestehe trotz weiterer Therapie und weiterer Verbesserung des Gesundheitszustandes immer die Gefahr einer Verschlechterung der Zwangserkrankung.

Das Versorgungswerk lehnte den Antrag auf Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit ab, der Fall ging vor Gericht. Dort teilte man die Einschätzung, dass bei der Entscheidung über eine Berufsunfähigkeit „alle Tätigkeitsbereiche, in denen Apotheker ihren Beruf ausüben, in den Blick zu nehmen“ sind.

Die Satzung der Bayerischen Apothekerversorgung knüpfe gerade nicht an die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit an, sondern an die gesamte pharmazeutische Tätigkeit. „Im Unterschied zur Arbeitsunfähigkeit liegt eine Berufsunfähigkeit nur vor, wenn sämtliche pharmazeutischen Tätigkeiten dauerhaft beziehungsweise für einen längeren Zeitraum nicht mehr ausgeübt werden können.“ Dabei seien „umfassend alle beruflichen Tätigkeiten erfasst, zu deren Ausübung das Mitglied von seiner Ausbildung her berechtigt und unter Berücksichtigung des bisherigen beruflichen Werdegangs und der erworbenen Qualifikationen befähigt ist“.

Grundsätzlich gelte ein Mitglied des Versorgungswerks also als berufsunfähig, wenn es „infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit im Apothekerberuf auszuüben“. „Unter welchen Voraussetzungen eine Berufsunfähigkeit zu bejahen ist, welchen Grad sie erreichen muss und ob und in welchem Umfang eine Verweisung auf andere Tätigkeiten zulässig ist, beurteilt sich allein nach dem jeweils geltenden Landesrecht“, so die Richter mit Verweis auf ein älteres Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG).

Im konkreten Fall habe die Apothekerin nicht substantiiert dargelegt und bewiesen, dass bei ihr eine Berufsunfähigkeit vorliegt, ihre gesundheitlichen Einschränkungen also zu einem Ausschluss jedweder pharmazeutischen Tätigkeit führen und sie damit nicht in der Lage ist, ihren Beruf überhaupt auszuüben. Allein der Umstand, dass bei ihr Erkrankungen diagnostiziert wurden, begründe keine Berufsunfähigkeit. Die scheitere außerdem an dem Umstand, dass „aktuell noch zumutbare Behandlungsmöglichkeiten für die bei ihr festgestellten Krankheitsbilder bestehen“.

Die ärztlichen Stellungnahmen enthielten keine Ausführungen zur Berufsunfähigkeit; eine auf nicht absehbare Zeit bestehende Berufsunfähigkeit lasse sich daraus nicht herleiten. „Ihnen ist lediglich zu entnehmen, dass die pharmazeutische Tätigkeit der Klägerin in einer konventionellen Apotheke nicht mehr möglich ist. [...] Sie enthalten indes keine substantiierten und nachvollziehbaren Aussagen dahingehend, dass alle vielfältigen Tätigkeiten einer Erwerbstätigkeit im Apothekerberuf der Klägerin infolge der festgestellten gesundheitlichen Defizite nicht mehr oder nur noch eingeschränkt zugemutet werden können.“

Unerheblich ist laut Gericht im Grundsatz, wie groß die Aussichten sind, einen Job mit solchen zumutbaren Schreibtischtätigkeiten zu erhalten. „Denn die Satzung des beklagten Versorgungswerks deckt nur das Risiko ab, aus gesundheitlichen Gründen aus pharmazeutischer Tätigkeit kein hinreichendes Einkommen zu haben; nicht erfasst ist das Risiko, auf dem vorhandenen Arbeitsmarkt nicht zum Zuge zu kommen.“ Allerdings gelte dabei die Einschränkung, dass die Betroffenen nicht auf „Tätigkeiten, die nur in Einzelfällen nach den besonderen Anforderungen eines bestimmten Betriebes geschaffen oder auf spezielle Bedürfnisse eines bestimmten Mitarbeiters zugeschnitten worden sind (sog. Nischen- oder Schonarbeitsplätze)“ , sowie auf „Tätigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt nur in so geringer Zahl bereitstehen, dass von einem Arbeitsmarkt praktisch nicht mehr die Rede sein kann“, verwiesen werden dürften.

Keine Rolle spielt laut Urteil auch, wie lange man in einem solchen Ersatzjob arbeiten können muss, um das Existenzminimum zu sichern – entscheidend sei allein, ob im konkreten Einzelfall davon ausgegangen werden könne, dass „der Betreffende trotz der bestehenden Beeinträchtigungen in der Lage ist, ein seine Existenz sicherndes Einkommen zu erwirtschaften“. Und damit ist laut Gericht explizit nicht die Aufrechterhaltung des bisherigen Lebensstandards gemeint.

Die Apothekerin hatte noch darauf verwiesen, dass ihre private Berufsunfähigkeitsversicherung die Leistungspflicht anerkannt und habe und eine monatlicher Rente zahle. „Der Begriff der Berufsunfähigkeit in der berufsständischen Pflichtversorgung ist eigenständig; er orientiert sich nicht am Begriff der Berufsunfähigkeit bzw. der Erwerbsminderung in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er erfordert in der Regel die berufsspezifische Berufsunfähigkeit und lässt keine Verweisung auf Erwerbstätigkeiten außerhalb des Berufs zu, wobei die berufsspezifische Tätigkeit unter Berücksichtigung der Entwicklung des Berufsbildes und der Vorschriften über die Kammermitgliedschaft und die Teilnahme am Versorgungswerk zu bestimmen ist.“

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