Die Arztpraxen sind überfordert, zu viele Patient:innen mit belanglosen Beschwerden, wie Erkältungssymptomen oder Rückenschmerzen, blockieren die Warteräume. Nun sollen Apothekerinnen und Apotheker einspringen: Wie Türsteher positionieren sie sich vor den Praxiseingängen und prüfen anhand neuer Triage-Leitlinien ganz genau, wem Zutritt gewährt werden kann und wer ohne ärztliche Untersuchung wieder gehen muss.
Viele Menschen in Deutschland nehmen bei vergleichsweise leichten Beschwerden sehr schnell ärztliche Hilfe in Anspruch. Das trägt zu einer Überlastung von Arztpraxen bei. Deutschland hat eine der höchsten Raten an Arztkontakten weltweit. Besonders häufig werden Haus- und Fachärzte wegen akuter, aber meist leichter Beschwerden aufgesucht – etwa Erkältungskrankheiten, Rückenschmerzen oder leichte Magen-Darm-Beschwerden. Und wenn kein Arzt konsultiert werden kann, wird manchmal sogar direkt die Notaufnahme aufgesucht.
Für eine gezieltere Steuerung und schnellere Terminvergabe planen CDU, CSU und SPD ein „verbindliches Primärarztsystem“ über Haus- und Kinderärzte – allerdings langfristig. Kurzfristig ist die Versorgung schon allein wegen der vielen unbesetzten Arztsitze kaum zu stemmen. Um eine Überlastung zu vermeiden, sollen Apotheken deshalb bereits vor Verabschiedung entsprechender Gesetze tatkräftig mithelfen.
Heißt konkret: In einem rollierenden Schichtsystem sollen Apothekerinnen und Apotheker vor den Eingängen der Praxen wie Türsteher Stellung beziehen. Mit kleinen Klapptischen und diversen Testkits und Security-Uniformen ausgerüstet, prüfen sie zunächst Blutdruck, Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung und Zuckerwerte. Für einen schnellen Infektionsnachweis stehen Zehnfach-Tests zur Verfügung, so können innerhalb von wenigen Minuten Vitalwerte der Patienten erfasst werden.
Mit Selbstauskunftsbögen werden allgemeines Befinden und Stuhlfrequenz abgefragt. Wer hier gut abschneidet, muss den Heimweg antreten – oder die Apotheke aufsuchen, um sich mit rezeptfreien Medikamenten einzudecken.
Wie in Krankenhäusern bereits erfolgreich etabliert, wird die Reihenfolge der weiteren Behandlung durch Farbcodierungen festgelegt. Patient:innen, die die ersten Tests erfolgreich absolviert haben, werden einer bestimmten Farbstufe zugeordnet, die die Dringlichkeit ihrer Behandlung angibt. Mit Armbändern, wie man sie von Festivals hinreichend kennt, erfolgt die Kennzeichnung: Rot steht für lebensbedrohlich, der „Türsteher“ kann sofort den bereitgestellten Buzzer betätigen, der einen Notruf auslöst. Orange bekommen Patient:innen, die schwer erkrankt sind. Diese Menschen dürfen im Anschluss einen separaten Bereich der Arztpraxis betreten. Hier werden Wartenummern und Liegen zugeteilt; wer aufgerufen wird, darf ins Wartezimmer wechseln.
Gelbe Armbänder werden an leicht erkrankte Personen vergeben; für diese Menschen steht ein Aufenthaltsraum im Keller zur Verfügung. Eine Vorwarnung gibt es inklusive: Man sollte viel Zeit mitbringen. Wer Grün erhält, gilt als nicht dringlich. Hier muss sich im Anschluss um einen Termin in drei Monaten gekümmert werden. Die Ersteinschätzung an der Tür kann in dem Fall übersprungen werden.
Das Programm dient zur Entlastung der Arzthelfer:innen, die sich sonst an der Rezeption zu lange mit den einzelnen Patient:innen beschäftigen müssten. „Die Apotheken nehmen uns durch die Triage eine Menge Arbeit ab“, so ein MFA, die aus Angst um ihren Job namentlich nicht genannt werden will. „Die Armbänder werden immer besser von den Patienten akzeptiert.“
Ein erstes Pilotprojekt im hippen Berliner Schöneberg musste allerdings vorzeitig abgebrochen werden. Der Grund: Aktivisten sahen das System als eine Diskriminierung durch Armbandfarben an. Sie forderten eine freie Farbwahl – „unabhängig von Gesundheitsstatus oder Aura“.
Glauben Sie nicht? Na gut, ein Primärarztsystem wird derzeit aber wirklich viel diskutiert – Apotheken spielen in der Debatte jedoch kaum eine Rolle. Dabei könnten Apothekerinnen und Apotheker als niedrigschwellige Anlaufstelle zur Entlastung der Hausärzte beitragen, wie Abda-Präsident Thomas Preis bei der APOTHEKENTOUR in Köln sagte: „Wenn Ärzteschaft und Politik jetzt auf ein Primärarztsystem setzen, dann sagen wir, dass das begleitet werden muss durch den Ansatz ‚Pharmacy first‘. Denn die Zahl der Praxen wird schon rechnerisch nicht reichen, als Bürger mache ich Sorgen, überhaupt noch einen Termin zu bekommen.“
Allerdings bringen sich auch schon die Versender in Stellung, die DocMorris-Tochter Teleclinic etwa übernimmt für die Kassenärztliche Vereinigung in Niedersachsen das virtuelle Erstgespräch mit den Patientinnen und Patienten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Jetzt aber erst einmal schöne Pfingsten!
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