Statt wohnortnaher Apotheken sollen künftig wenige „Leuchtturm-Apotheken“ die Versorgung mit Hilfsmitteln wie Kompressionsstrümpfen, Inkontinenzmaterial und Inhalierhilfen übernehmen. In Deutschland sind dafür vier zentrale Standorte geplant. Problemlos erreichbar sind die für die wenigsten Bürgerinnen und Bürger – doch die Bundesapothekerkammer (BAK) und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) haben dafür bereits Lösungsansätze parat.
Deutschland steuert auf ein Versorgungschaos zu: Rund drei Millionen Versicherte der IKK classic müssen sich bereits jetzt darauf einstellen, ab dem 1. Juli keine Hilfsmittel mehr zu erhalten. Hintergrund ist die Kündigung des bisherigen Versorgungsvertrags zum 30. Juni, nachdem sich der Deutsche Apothekerverband (DAV) und die Kasse nicht auf eine Anschlussregelung einigen konnten. Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs, denn weitere große Kassen – wie DAK und TK – werden zeitnah nachziehen.
Da ist guter Rat teuer – aber natürlich hat der Bund bereits eine Lösung parat: Zukünftig sollen Leuchtturm-Apotheken die Versorgung sichern. Geplant sind insgesamt vier zentrale Standorte: Hamburg, Berlin, Düsseldorf und München. „Diese Apotheken haben jeweils alle Einzelverträge mit den Kassen abgeschlossen und versorgen Patientinnen und Patienten unter anderem mit Inhalierhilfen oder Hilfsmitteln für das Glukosemanagement“, erklärt die BAK. In Zusammenarbeit mit dem BBK habe man bereits eine Notfallstrategie entwickelt, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen.
Ein echtes Problem stellt dabei der Transport der Hilfsmittelbedürftigen zu einem der vier Standorte dar: „Uns ist bewusst, dass Betroffene nun weitere Wege auf sich nehmen müssen, um die Spezialgeschäfte zu erreichen, aber auch dafür haben wir bereits Ideen“, erklärt das zuständige Bundesamt. Für Menschen ohne eigenes Auto oder mit Pflegegrad 3 gebe es eine emotionale Entfernungsbegleitung. „Wir verteilen Faltblätter mit motivierenden Sprüchen wie ‚Jeder zurückgelegte Kilometer ist ein wichtiger Schritt in Richtung Gesundheit‘ oder ‚Nächster Halt: Akutversorgung.‘“
Betroffene versuchen bereits das Beste aus der nahenden Situation zu machen und vorausschauend zu planen: „Mein Mann hat Blasenschwäche. Jetzt machen wir eben einen Wochenendausflug zur Leuchtturm-Apotheke in Hamburg“, erzählt Gisela Meißner aus Meppen. „Zelt, Kühlbox und ein paar Wechselslips – dann geht das.“ Zwar würde sie ein paar Kilometer sparen, wenn sie nach Düsseldorf führe, aber „Hamburg ist doch auch mal schön“.
Familie Diekstahl aus Bockswiese in Sachsen-Anhalt musste bislang nur zur Apotheke um die Ecke, um Kompressionsstrümpfe für Oma Elise anmessen zu lassen. In der letzten Zeit kam die freundliche PKA dafür sogar zu ihr nach Hause. „Die nächste Leuchtturm-Apotheke ist 130 Kilometer entfernt“, bemängelt Familienvater Thorben. „Wenn die Schlange zu lang ist, müssen wir wohl durchfahren nach Hamburg und da unser Glück versuchen.“ Um Oma Elise bei Laune zu halten, habe er sich Rommé und Canasta draufgeschafft. Kaffee und Kuchen soll es während der Fahrt geben. „Es ist eine persönliche wie emotionale Herausforderung für uns alle.“
Die Leuchtturm-Apotheken selbst bereiten sich bereits auf den Patientenansturm vor. „Wir haben eine große Fläche angemietet, um weitere 50 Parkplätze zur Verfügung stellen zu können. Gleich nebenan wurden zwölf Container als Lagerfläche umfunktioniert, um alle Anreisenden auch wirklich versorgen zu können“, erklärt eine abgestellte Apothekerin, die anonym bleiben möchte. Auch neue Bushaltestellen in Apothekennähe seien geplant, das nötige Personal für die Leuchtturm-Apotheken aus umliegenden Betrieben abgestellt. Hier wird rund um die Uhr im Schichtbetrieb gearbeitet – anders wird es beim prognostizierten Kundenansturm nicht gehen.
Auf die Frage, wie spontan eine Inhalierhilfe in der Nacht oder am Wochenende tatsächlich erhältlich sei, verweist die Apothekerin auf den „Express-Leuchtturm-Nachtversorgungs-Notfallantrag“ (ExLeutuNaNo). „Dieser muss in dreifacher Ausführung an die Krankenkasse gefaxt werden. Das klappt dann meist innerhalb einer Stunde und wir haben die Bestätigung der Kasse“, erklärt sie. Das geht allerdings nur von 9 bis 16 Uhr, mittwochs und freitags jeweils bis 13 Uhr. „Warum wir das machen müssen, trotzdem wir bereits allen Einzelverträgen beigetreten sind, weiß ich nicht“, beklagt sie. In der Wartezeit können sich die Patientinnen und Patienten per Aufzug auf die Aussichtsplattform des Leuchtturms fahren lassen.
Leuchtturm-Apotheken sind natürlich nicht geplant, aber die vergangene Woche stand vor allem im Zeichen eines Themas, nämlich Hilfsmittel. Ab dem 1. Juli endet die Versorgung der IKK classic über den DAV tatsächlich, da kein neuer Vertrag zustande kam. Apotheken sollen stattdessen Einzelverträge direkt mit der Kasse abschließen, während Versicherte sich alternativ selbst um Kostenübernahme oder andere Leistungserbringer kümmern müssen. Eva Tingelhoff, Mitinhaberin der Apotheke am Osttor in Beckum, lehnt die Einzelverträge ab und warnt vor erheblichen Versorgungsrisiken – besonders in Notfällen.
Parallel dazu schrieb die AOK Niedersachsen den Abschluss eines Rahmenvertrags zur Hilfsmittelversorgung durch Apotheken aus, um die Versorgung verschiedener Produktgruppen zu überarbeiten und neu zu verhandeln. Darüber hinaus entschied das Landgericht Frankfurt in dieser Woche, dass die automatische Apothekenauswahl durch die Plattform DoktorABC keine unzulässige Einschränkung der freien Apothekenwahl darstellt, da Patienten beim Premium-Lieferservice freiwillig auf ihre Wahl verzichten und auch andere Abholoptionen erhalten.
In diesem Sinne: Ein schönes, sonniges Wochenende!
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