Warenwirtschaft

„Die Luft für Internetverweigerer wird dünner“

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Berlin -

Jede dritte Apotheke nutzt für Bestellungen beim Großhandel noch die Telefonleitung und den alten Datenübertragungsstandard MSV2. Das soll sich ändern, denn die ISDN-Telefonie stirbt aus. Seit Mitte 2013 gibt es das internetbasierte Bestellverfahren MSV3, das nach leichten Startschwierigkeiten immer mehr Apotheken nutzen. Inzwischen wird bereits an neuen Funktionen für die Schnittstelle gearbeitet.

Laut dem Großhandelsverband Phagro soll noch in diesem Jahr ein elektronisches Liefer- und Retourenavis getestet werden. Mit dem elektronischen Lieferschein kann die Apotheke schon vorab sehen, welche Arzneimittel in der nächsten Tour kommen, und die Wareneinbuchung vorbereiten. Während heute immer noch eine gewisse Unsicherheit darüber besteht, ob ein bestelltes Arzneimittel tatsächlich kommt, könnten Apotheker künftig spätestens dann sehen, was sie erhalten, wenn die Ware den Großhandel verlässt.

Das Retourenavis funktioniert ähnlich. Mit der Funktion kann die Apotheke eine Retourenanfrage beim Großhandel stellen – der antwortet über das System. Die Informationen zu der Retoure können direkt aus dem Lieferavis gezogen werden. Wenn die Apotheke die Bestätigung des Großhandels hat, macht sie die Retoure fertig, meldet sie an und erfährt, mit welcher Tour sie abgeholt wird. Dieses Hin und Her erfolgt heute meist über Telefon und Fax. Mit den neuen MSV3-Funktionen sollen die Prozesse effizienter ablaufen.

Bis zur Entwicklung von zusätzlichen Funktionen war es ein langer Weg. Denn zunächst mussten die MSV2-Funktionen auf die neue Schnittstelle übertragen und die Apotheker davon überzeugt werden. Ursprünglich war geplant, dass MSV3 die alte Datenfernübertragung (Dafü) bis Ende 2014 ablöst. Doch ganz so schnell ging es nicht. „Während der Einführungsphase bis Ende 2014 waren die Apotheken noch eher zögerlich“, weiß Lothar Jenne, Chef des Großhändlers Max Jenne. Inzwischen nutzten rund zwei Drittel der Apotheken die MSV3-Schnittstelle. „Es setzt sich durch.“

Die Verzögerung hängt Jenne zufolge auch damit zusammen, dass drei Parteien zusammenarbeiten – „und keiner hat unbegrenzte Kapazitäten“, sagt er. An der Entwicklung sind der Phagro, der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der Bundesverband Deutscher Apotheken-Softwarehäuser (ADAS) beteiligt.

Apotheker, die zu MSV3 wechseln wollen, sollten sich zunächst bei ihrem Großhändler melden, erklärt Jenne. Dort erhalten sie die Zugangsdaten, die ihr Softwarehaus für die Anpassung benötigt. „Inzwischen gibt es kein Softwarehaus und keinen Großhändler mehr, der nicht umgestellt hat.“

Einen neuen Termin zur Umstellung aller Apotheken wollen die Beteiligten dennoch nicht nennen. Und letztlich können sie auf Zeit spielen: „Denn nicht nur wir bewegen uns, sondern auch die Welt um uns herum“, so Jenne mit Blick auf die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und die EU-Fälschungsrichtlinie, die im Frühjahr 2019 in Kraft treten wird. „Apotheken sind dann gesetzlich verpflichtet, die abgegebenen Packungen zu verifizieren – das geht nur mit einem Internetanschluss“, so Jenne. „Natürlich könnte man auch noch ein Modem betreiben, aber das wäre sinnlos.“

Parallel dazu hat die Telekom angekündigt, bis 2018 ihr gesamtes Telefonnetz auf die digitale Technik Voice over Internet Protocol (VoIP) umzustellen. „Zwar ist es technisch möglich, analoge Geräte wie das Modem anzuschließen – aber es gibt einem niemand eine Garantie dafür, dass das zuverlässig funktioniert“, erklärt Jenne. Aus seiner Sicht spricht insgesamt Vieles dafür, das Modem abzuschalten. „Die Luft für Internetverweigerer wird immer dünner.“

Schließlich stünden Apotheken im Wettbewerb, und der hat aus Sicht von Jenne viel mit der Verfügbarkeit von Arzneimitteln zu tun. „Ist ein Medikament nicht vorrätig, dann wird es jede Apotheke bestellen und dem Patienten sagen wollen, wann er wieder kommen kann – dann aber bitte mit Erfolgsgarantie. Das Schlimmste ist, wenn der Patient umsonst wiederkommt.“

Eine Verfügbarkeitsabfrage ist Jenne zufolge zwar auch im Modem-Betrieb möglich – dann dauere aber allein der Verbindungsaufbau gute 20 Sekunden und die Informationen, die man erhalte, seien sehr puristisch. „Bei MSV3 ist die Zeit für den Verbindungsaufbau kaum messbar und die Daten sind vollständig“, wirbt er.

Auch die Bestellprozesse würden durch MSV3 erleichtert: Nach der Verfügbarkeitsabfrage könne das Arzneimittel direkt am HV-Tisch beim Großhandel geordert werden, erklärt Jenne. Die Einzelbestellungen würden gesammelt bis das Bestellfenster für die nächste Tour geschlossen sei und dann zu einem Auftrag zusammengefasst. Anschließend werde für die nächste Ausfahrt gesammelt. „All das ist mit MSV2 in der Praxis nicht sinnvoll umsetzbar.“

Für Jenne ist klar: „Es spricht nichts dafür, den Modem-Betrieb aufrecht zu erhalten – außer man schließt in einem halben Jahr.“ Dass ein 64-jähriger Apotheker, der seine Apotheke für unverkäuflich hält und im kommenden Jahr in Rente gehen will, sich nicht mehr mit der Umstellung befassen will, kann Jenne sogar nachvollziehen. „Ansonsten gibt es keine Argumente, am Modem festzuhalten.“

Eng wird es irgendwann womöglich für Apotheken, die sich der neuen Schnittstelle verweigern. „Man muss sich fragen, ob zwei Systeme nebeneinander überhaupt noch machbar sind“, so Jenne. Konkrete Pläne gibt es aber noch nicht. „Wir werden 2018 sehen, wo wir stehen – ob noch 2, 5 oder 10 Prozent der Apotheken noch an MSV2 festhalten und was die konkreten Knackpunkte sind“, betont er. Dementsprechend wird man über das weitere Prozedere entscheiden müssen.

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