Kommentar

Fällt die Preisbindung, fällt bald der Rest

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Karlsruhe -

Die schlimmsten Albträume könnten wahr werden – der einheitliche Abgabepreis bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln könnte wegfallen, erst bei den Versendern, dann insgesamt. Auf lange Sicht drohen die Apotheken und ihre Patientinnen und Patienten so dem freien Markt ausgeliefert zu werden.

Der Zweck der Preisbindung ist so vielfältig wie einleuchtend: Mit Rezepten sollten keine Geschäfte gemacht werden. Kranken Menschen soll nicht zugemutet werden, auf der Suche nach dem besten Schnäppchen erst noch die Apotheken im Umkreis abzuklappern. Die Zuzahlung soll im Sinne des Solidarsystems die Inanspruchnahme regeln. Und schließlich sollen sich Apotheken einen Wettbewerb um die beste Qualität liefern – und keine Preisschlachten.

Warum all das von den Gerichten nicht gesehen wird, erschließt sich nicht. Gehört es wirklich zur Berufsfreiheit der Versender, sich nicht an die Spielregeln halten zu müssen? Die Spielregeln des Marktes, aber auch die Spielregeln einer Gesellschaft, die zunehmend darunter leidet, dass Strukturen vor Ort verschwinden und der Zusammenhalt bröckelt.

Wenn jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) „harte Fakten“ zu der Frage fordert, inwiefern die Boni der Versender eine Gefahr für die Apotheke vor Ort sind, dann wird das fehlende Verständnis für die komplexen Zusammenhänge in einer sich wandelnden Welt offenbar. Ja, die Ursachen für Apothekenschließungen sind vielfältig: Personalmangel, Bürokratie, schlechtes Image und schlechte Bezahlung, keines dieser Probleme lässt sich unmittelbar auf den Versandhandel zurückführen.

Aber darum geht es doch nicht. Es geht um die Frage, ob Apothekerinnen und Apothekern, aber auch Patientinnen und Patienten und selbst den Krankenkassen zugemutet werden muss, die Spielregeln im bestehenden System nur deshalb zu ändern, weil es DocMorris & Co. gibt.

Es gibt kein Grundrecht auf Rx-Boni. Nur weil die Versender Rabatte gewähren, lässt sich daraus kein Anspruch ableiten, das System auf den Kopf zu stellen. Genauso gut könnte man auf rote Ampeln oder Vorgaben zum Umweltschutz verzichten: Nach der Logik der Richter hat der Gesetzgeber dann überhaupt keine Spielräume mehr, Regeln zu definieren, die nicht gleich dem Schutz von Leib und Leben dienen. Denn es wird immer jemanden geben, der der Meinung ist, dass es besser ohne sie geht. Das hat mit Protektionsmus nichts zu tun, sondern mit der Grundordnung von Staat und Gesellschaft.

Was droht, wenn die Boni von DocMorris erlaubt werden, lässt sich leicht vorhersagen: Erst verzichten die Versender auf die Zuzahlung (mehr hat ausgerechnet der Europäische Gerichtshof (EuGH) gerade verboten, der die Sache überhaupt erst losgetreten hatte), dann werden die großen Apotheken den Gesetzgeber drängen, die Schotten aufzumachen. Und dann wackelt die Preisbildung insgesamt – warum sollen Hersteller sich an den einheitlichen Abgabepreis gebunden fühlen, wenn es keine „harten Fakten“ dafür gibt?

Bleibt also nur zu hoffen, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Dass die neue Regierung sich der Sache annimmt und Regelungen findet, die der Sache gerecht werden. Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Gesundheitsversorgung.

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