ApoRetro – Der satirische Wochenrückblick

Steuererklärung – ganz einfach in der Apotheke

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Berlin -

„Helden der Pandemie“, „Pioniere der Digitalisierung“, „Speerspitze des Haushalts“, so viel Lob aus berufenem Mund hat man selten gehört. Seit Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Apotheken auch noch mit der Bearbeitung der Steuererklärung beauftragt hat, sind sie aus dem deutschen Staatsgefüge praktisch nicht mehr wegzudenken.

Am Anfang war es wohl so etwas wie Mitleid: Weil Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die hinter ihm stehenden Krankenkassen partout kein zusätzliches Geld für die Apotheken locker machen wollten, mussten neue Einnahmequellen zur Sicherung der flächendeckenden Versorgung erschlossen werden. Zwar erkannte die über die Jahrezehnte misstrauisch und mürbe gewordene Apothekerschaft die ausgestreckte Hand zunächst nicht als solche – weder bei den pharmazeutischen Dienstleistungen, noch bei OTC-Viagra oder Cannabis sprang der Berufsstand an.

Aber als man ihnen dann noch einmal darlegte, dass das mit den Impfzertifikaten doch alles in allem ganz erfolgreich war und genauso gut auf Identitätszertifikate („GesundheitsID“) übertragen werden konnte, da machte es klick bei den Verantwortlichen von DAV und Abda.

Und so scannen die Teams ab dem kommenden Jahr fleißig Ausweise ein und bestätigen, dass der Mensch mit dem Dokument vor ihnen echt ist. Kinderspiel, diese Verifizierung. Kennt man ja auch von Securpharm, bloß dass da das eine oder andere Mal ein Auge zu und ein QR-Code durchgedrückt wird.

Da nun also ganz Deutschland fleißig in die Apotheken strömt, um sich für den Zugang zu digitalen Gesundheitsdiensten freischalten zu lassen, wird man auch im Finanzministerium aufmerksam. Die Haushaltslage ist ohnehin angespannt, kreative Lösungen werden gesucht. Abgabe der Steuererklärung in der Apotheke, wie wäre das? Entlastet die Finanzbehörden, stärkt die Apotheken und nützt den Steuerpflichtigen. Win-win-win!

Und so erhalten alle Steuerbürger respektive Steuerbürgerinnen künftig einen Voucher, mit dem sie samt Steuererklärung in einer Apotheke ihrer Wahl vorstellig werden können. Dort werden die Unterlagen auf Vollständigkeit geprüft und in Empfang genommen, auf Verlangen werden amtliche Einreichungsnachweise ausgestellt. Dann werden die Dokumente nach Formularnummer sortiert und mit einem ursprünglich für die Raumfahrt entwickelten Feinscanner an das zuständige Finanzamt übermittelt. Für zehn Jahre werden die Akten dann im Keller oder einer anderen geeigneten, vom Apothekenbetrieb sichtbar abgetrennten Bereich aufbewahrt.

Im Grunde genommen sind die Apothekenteams ja prädestiniert für die Aufgabe. Jederzeit korrekt und überaus gewissenhaft, mit einem Hang zu Akribie und einem ausgeprägten Gerechtigkeits- und Gemeinwohlempfinden. Und, das darf natürlich nicht vergessen werden, am eigenen Leibe geschult durch die jahrzehntelange Retaxerfahrung mit den Krankenkassen. Apropos: Werden in Folge der übermittelten Erklärungen Steuerrückzahlungen fällig, wird das Honorar von 50 Cent um den entsprechenden Betrag gekürzt.

Nicht bekannt ist, ob sich die Gremien der verfassten Apothekerschaft bereits mit solchen Ideen schon beschäftigt haben. Laut Abda wurden gegenüber der Politik zahlreiche Reformvorschläge gemacht, diese lägen auf dem Tisch und bedürften keiner weiteren, womöglich auch noch offenen Debatte, hieß es bei der Mitgliederversammlung der Abda am Mittwoch in Berlin. Man führe Gespräche ohne Ende, es gebe immer auch einen Plan B, aber man könne und wolle und dürfe nichts verraten, „vertrauen Sie uns, wir wissen, was wir tun“.

Was wohl definitiv kommt und bei dem der DAV auch eingebunden war, ist die Ausweiskontrolle in der Apotheke. Dabei geht es um die Erstellung der digitalen Identität, die beispielsweise künftig für den Zugang zur elektronischen Patientenakte (ePa) benötigt wird. Das Ganze ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits könnten Millionen Nachweise ausgestellt werden, sodass bei halbwegs angemessenem Honorar eine erkleckliche zusätzliche Vergütung winkt. Andererseits dient die GesundheitID ja auch dazu, E-Rezepte bei Versendern einzureichen. Ab Mitte des Jahres soll es laut Gematik jedenfalls losgehen, war ja nicht so gemeint mit dem Saurier im HV, der vom Aussterben bedroht ist ...

Die Praxen schlagen sich derweil noch mit Widrigkeiten beim E-Rezept rum. Nicht selten müsse man 20 Sekunden auf die Signatur warten und in dieser Zeit „belanglose Gespräche“ mit den Patienten führen, kritisierte Dr. Petra Reis-Berkowicz von der KBV vor der Vertreterversammlung. Und obwohl Lauterbach sich gerne mit technischen Themen beschäftige, gehe das immer wieder in die Hose und verlangsame den Praxisalltag. Antwort aus dem Kanzleramt? Fehlanzeige. Weitere Proteste mit den Apotheken? Nicht ausgeschlossen.

Wobei: In den Apotheken wartet man auch gelegentlich – darauf dass das E-Rezept endlich signiert und im Fachdienst hinterlegt wird etwa. Und auch bei Engpässen kann es gelegentlich länger dauern. Wobei: Die gibt es laut Arzneimittelbehörde BfArM gar nicht, jedenfalls nicht bei Kinderantibiotika. Schließlich wurden mehr Säfte geliefert als abgegeben. Insofern dürfte es wohl zu verschmerzen sein, dass die Dringlichkeitsliste zwar gilt. das zugehörige Gesetz, in dem der Austausch geregelt ist, aber noch auf sich warten lässt.

Auf sich Warten lässt auch die Streichung der Präqualifizierung, in Sachen Zwischenaudits wird ein Schlussspurt eingelegt. Allmählich regt sich Widerstand gegen die in diesem Zusammenhang besonders umtriebige Prüfstelle AfP, die zu allem Überfluss auch noch zur Abda gehört.

Retaxationen wegen fehlender Dosierangaben sind zwar bereits verboten, aber die Kassen suchen jetzt noch einmal alte Rezepte raus. Ab Januar könnte mangels Regelung nach Hilfstaxe bei Rezepturen neuer Ärger drohen.

Anderen Ärger hat gerade Gesund.de. Die Plattform hatte bei jedem Einkauf über 13 Euro einen Betrag von 12 Euro spendiert. In den Apotheken flatterten jede Menge Bestellungen ein, doch bei der Konkurrenz sah man die Sache kritisch: IA.de schickte eine Abmahnung, weil das Verschenken von OTC-Arzneimitteln nicht nur unethisch, sondern auch unzulässig sei.

Auf solche Spielereien könnte man sich wohl öfter einstellen, wenn Drogerieketten wie dm in den Markt einsteigen dürften. Die hatten schon 2005 geheime Strategiepapiere dazu erarbeitet, und was soll man sagen, Lauterbachs Light-Filialen zahlen extakt auf die damaligen Bedenken ein: Keine Rezeptur, kein Notdienst, keine Approbierten und vielleicht auch noch Abstriche bei den räumlichen Anforderungen – einen besseren Minister kann man sich als Kettenkonzern wohl nicht wünschen. Jetzt aber nicht ärgern, sondern 2. Advent genießen. Schönes Wochenende.

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