Interview Dr. Dirk Heinrich (Virchowbund/SpiFa)

„Die Ärzteschaft glaubt Karl Lauterbach gar nichts“

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Dr. Dirk Heinrich (Virchowbund/SpiFa) im Gespräch.Foto: Virchowbund/Lopata
Berlin -

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das Gesundheitswesen radikal umbauen – und nimmt dabei die Zerstörung bestehender Strukturen in Kauf. Nicht nur mit den Apothekern hat er sich deswegen überworfen, sondern auch mit den Ärzten. Den Widerstand der Praxen führt insbesondere Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbund und des Spitzenverbands der Fachärzte, an. Im Interview erklärt er, was die Proteste erfolgreich gemacht hat, warum Lauterbach ohne die Ärzteschaft nicht weiterkommt und wieso er lieber in bestehende Versorgung investieren statt parallele Strukturen aufbauen sollte.

Vertrauensverlust

Laut Heinrich hat es sich Lauterbach gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit der Ärzteschaft verspielt: Nachdem unter seinem Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU) erste Schritte auf dem Weg zur Entgbudgetierung unternommen worden seien, habe Lauterbach dies einfach wieder umdrehen wollten. Dies sei ein vernichtender Vertrauensbruch gewesen, der bis heute anhalte. „Und deswegen glaubt die niedergelassene Ärzteschaft Karl Lauterbach per se erst einmal gar nichts.“

Reformen mit der Brechstange

Allerdings habe Lauterbach mittlerweile erkannt, dass er Reformen gegen die Ärzteschaft nicht durchbekommen werde. Um am Ende seiner Amtszeit nicht mit leeren Händen dazustehen, bemühe er sich nun um sinnvolle Maßnahmen.

Protestaktionen

Die Proteste unter dem Motto „Praxenkollaps“ seit dem Sommer mit Schließungen nach Weihnachten haben laut Heinrich gewirkt: Ein paar Maßnahmen für die Ärzteschaft gebe es, insbesondere für die Hausärztinnen und Hausärzte. Nun müssten schnell Anpassungen auch für die Fachärzte folgen – „sonst ist alles wieder auf Protest“.

Annäherung

Dass Lauterbach endlich mit der Ärzteschaft spreche, sei „alternativlos“. Ansonsten müsse man konstatieren, dass er nicht wisse, was abgehe: „Die Ärzte sind alle wütend, und wie man aus dem Marketing weiß, kann man einen Ruf innerhalb weniger Tage ruinieren – und braucht dann Jahre, um ihn wieder aufzubauen. Insofern muss er sich jetzt sehr bemühen, das Vertrauen und auch die Wertschätzung wiederherzustellen.“

Versorgungskollaps

Was passiert, wenn es zu keiner Annäherung kommt, ist laut Heinrich vollkommen klar: „Wenn die Ärzte sehen, dass nichts mehr geht in ihre Richtung, dann werden sie ihre Leistung einschränken, es wird Aufnahmestopps geben, man wird Budgetferien machen und man geht früher in Rente. Das sind katastrophale Dinge, aber die werden passieren – da muss ich gar keinen Protest ausrufen. Wenn man das nicht zur Kenntnis nehmen will, dann handelt man fahrlässig. Dann ist man der falsche Mann am falschen Platz.“

Plan B

Solange ernsthafte Gespräche geführt werden, ruht der Protest. Aber wenig überraschend: Wenn dann nichts passiert, geht es weiter mit der Auseinandersetzung. „Die Kollegen wollen ja Protest! Ich bekomme jeden Tag Mails mit der Aufforderung, wir müssten jetzt einmal eine Woche zumachen. Die andere Gruppe schreibt: Das bringt sowieso nichts, ich gehe jetzt in Rente.“

Zeitplan

Wenn im ersten Quartal nichts passiere, dann sei die Regierung faktisch zu Ende. „Wir alle wissen, dass 2025 gar nichts mehr passiert. Dann haben wir Wahlkampf und niemand macht mehr etwas.“ Es gebe jetzt noch die Chance, bis zum Sommer müsse etwas passieren – sonst würden die Kolleginnen und Kollegen weiter protestieren, vor allem aber würden sie Fakten schaffen: „Und dann wird es haarig. Denn diese Fakten können sie anschließend kaum noch zurückdrehen.“

Kioske & Co.

Ideen wie Gesundheitskioske und -regionen sind laut Heinrich aus der Panik der Politik geboren, dass Versorgung wegbrechen könnte und dass man dann etwas anbieten müsse. „Wenn ich aber auf der anderen Seite die bestehende Versorgung nicht unterstütze und ordentlich finanziere und sie gerade deswegen wegbricht, dann brauche ich ja noch mehr solcher Pseudo-Ersatzvornahmen. Da ist für mich kein ordentlicher Plan dahinter.“

Versorgung light

Heinrich vermutet weniger einen Spargedanken dahinter, sondern eher eine Substitution von Strukturen – eben aus der Panik heraus, dass es nicht mehr für alle reichen könnte. Das sei gefährlich: Denn mit Ersatzlösungen wie Kiosken, die eigentlich nur für soziale Brennpunkte, aber keinesfalls als Masseneinrichtung konzipiert und evuliert worden seien, gefährde man womöglich die Qualität der Versorgung. „Ein Downgrading der Medizin im Hinblick auf die Qualität darf es auf keinen Fall geben. Dem wollen wir als Ärzteschaft entgegenwirken, das darf auf gar keinen Fall passieren.“

Krankenkassen

„Wir haben eine ganz große Krise auf der Seite der Krankenkassen und ihrer Selbstverwaltung. Wir haben dort kaum noch ein spürbares Interesse an Versorgungsgestaltung, es geht ausschließlich um Geld.“ Offenbar säßen an den Spitzen nur noch Geldmanager, die sich daran erfreuten, wenn sie die größte Kasse mit dem niedrigsten Zusatzbeitrag seien. „Das geht so nicht. Man kann sich nicht als selbstverwaltete Krankenkasse aus der Versorgung verabschieden. Das tun die zur Zeit.“

Spargesetze

„Man nimmt die Krankenhäuser in Anspruch, die Ärzte müssen einen Sparbeitrag leisten, die Apotheker müssen einen Sparbeitrag leisten. Warum müssen die Leistungserbringer eigentlich einen Sparbeitrag erbringen?“ In keiner anderen Branche gebe es das, genauso gut könnte man der DHL abverlangen, dass sie auf Geld verzichteten und das Paket trotzdem einen Tag schneller lieferten. „Das ist surreal, aber das ist das, was wir im Gesundheitswesen erleben. Das ist auf Dauer nicht aushaltbar, so machen wir das Gesundheitswesen kaputt.“

Zalando-Mentalität

Dabei hätte man die Chance, das System zu erhalten, indem man die Bürgerinnen und Bürger in die Verantwortung nehme. Denn im Gesundheitswesen gebe es eine Überinanspruchnahme von Leistungen, findet Heinrich: Im Gesundheitswesen habe eine gewisse „Zalando-Menatilität“ Einzug gehalten: Gerade vereinbarte Termine würden oft nicht eingehalten, was dann für Patientinnen und Patienen mit ernsten Beschwerden zum Problem werde. Dasselbe gelte für die Notfallmedizin. Man brauche Steuerungsinstrumente, die man als Ärzteschaft gerne mit dem Ministerium bespreche. „Diese Überinanspruchnahme ist etwas, das uns ins unserer täglichen Arbeit in der Praxis behindert.“

Nachwuchssorgen

Heinrich räumt ein, dass es in der ambulanten Versorgung ein demografisches Problem gibt. In den nächsten zwölf Jahren werde es aufgrund der Abgänge der geburtenstarken Jahrgänge ein Loch geben – vorausgesetzt man schaffe die geplanten 5000 zusätzlichen Studienplätze, sonst dauere es noch länger. „Das heißt: Wir müssen in der Zeit sehen, dass möglichst wenige Kolleginnen und Kollegen frühzeitig in Rente gehen.“ Dafür müssten aber die Rahmenbedingungen so attraktiv wie möglich sein, dasselbe gelte für den Nachwuchs: „Der Niederlassungswille ist nach wie vor da. Wenn ich abschreckende Instrumente wie die Regresse abschaffe, werde ich auch Leute finden, die sich niederlassen.“

Für ländliche Regionen brauche man flexible Möglichkeiten, damit Ärztinnen und Ärzte die Versorgung gewährleisten könnten. „Das ist alles organisier- und machbar. Aber auch das wird Geld kosten.“

Botschaft an Karl Lauterbach

„Meine Botschaft an Herrn Lauterbach ist: Wir sind gesprächsbereit, wir haben Ideen, wir wissen, wie es an der Basis aussieht. Gemeinsam können wir etwas hinbekommen, damit uns die Versorgung nicht wegbricht – und damit sich tatsächlich Herr Lauterbach noch als Minister eintragen kann, der etwas zustande gebracht hat.“

 

Das komplette Video-Interview:

 

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