Komplexe Erkrankung, multimodale Therapie

Reizdarm-Syndrom: Leitlinie empfiehlt Pfefferminzöl

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Berlin -

Reizdarm-Patient:innen haben oft einen langen Leidensweg bis zur Diagnose hinter sich. Die neue S3-Leitlinie soll dabei helfen, den Betroffenen ein Stück mehr Lebensqualität zu verschaffen und eine akzeptable Verbesserung der Gesamtbeschwerden zu erreichen. Dabei kommt ein multimodales Therapie-Schema mit verschiedenen Bausteinen zum Einsatz. Den stärksten Empfehlungsgrad erhielt unter anderem Pfefferminzöl.

„Die wichtigsten Neuerungen der jetzt erscheinenden Fassung betreffen unter anderem die Multimodalität beim Patienten“, erklärt Professor Dr. Ahmed Madisch, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie, interventionelle Endoskopie und Diabetologie des Klinikum Siloah in Hannover und einer der Leitlinienautoren. Bei der Diagnosestellung des Reizdarm-Syndroms (RDS) gebe es noch immer Unsicherheit. „Viele Ärzte tun sich schwer, die Diagnose zu stellen.“ Das liege unter anderem an der Angst seltene Erkrankungen zu übersehen. Bis zu acht Jahre kann es dauern, bis Patient:innen die Diagnose Reizdarm-Syndrom erhalten. Rund 75 Prozent der Betroffenen nimmt gar keine ärztliche Hilfe in Anspruch.

Apotheke als wichtige Anlaufstelle

Die Apotheke sei daher häufig die erste Anlaufstelle, um Empfehlungen zu geben – aber gegebenenfalls auch zum Arztbesuch zu bewegen. Eine wichtige Aufgabe sei außerdem, die Patient:innen auf eine gute Compliance hinzuweisen. Denn beim RDS muss eine langfristige, multimodale Therapie zum Einsatz kommen. „Das RDS ist kein klassisches Krankheitsbild, das nach Schema F mit einem ‚Medikament A‘ oder einer ‚Therapie B‘ behandelt werden kann.“ Je nach Beschwerdebild und Ansprechen müssten verschiedene Therapien ausprobiert werden. Um festzustellen, ob ein Medikament wirkt, sei ein längerer Zeitraum von etwa sechs bis acht Wochen nötig. Viele Patient:innen würden schlichtweg zu früh abbrechen.

Die Grenze der Selbstmedikation sieht Madisch vor allem dann, wenn noch keine Diagnose gestellt wurde. „Dann ist die Selbstmedikation zwar möglich, aber problematisch.“ Dies müsse im Beratungsgespräch herausgearbeitet werden. Ohne Diagnosestellung könne zwar ein kurzer Therapieansatz von der Apotheke angeraten werden, allerdings sollte auch der Gang zum Arzt/zurÄrztin empfohlen werden, um ernsthafte Erkrankungen auszuschließen. Anders sieht es aus, wenn das RDS bereits feststeht: „Ist die Diagnose abgeklärt, kann auch eine längere Therapie in der Selbstmedikation erfolgen.“

Noch immer erfolgt die Diagnosestellung mittels symptombasierter Ausschlussdiagnose. Bestimmte Biomarker, Stuhlmarker oder eindeutige Kriterien bei einer Endoskopie gibt es nach wie vor nicht. „Es existieren keine kausalen Therapien und damit auch keine Heilung“, erklärt Madisch. Durch die unterschiedlichen zugrundeliegenden pathophysiologischen Störungen komme es zu einem unterschiedlichen Ansprechen auf Therapien. Daher könnten mehrere Anläufe notwendig sein, bis es zu einer akzeptablen Verbesserung der Beschwerden komme. „Es ist ein Ausprobieren der verschiedenen Therapien“, so Madisch. Wichtig sei es, dies auch dem Patienten/der Patientin zu vermitteln.

Pfefferminzöl als langfristige Therapieoption

Im Rahmen der akuten Selbstmedikation haben einige Phyto-Präparate neue Evidenzen erhalten. So kommt bei der Behandlung von Schmerzen und Blähungen ab sofort Pfefferminzöl eine tragende Rolle zu: „Pfefferminzöl hält im Rahmen der komplementären Therapieverfahren auf der Basis von zahlreichen placebokontrollierten Studien und Meta-Analysen und dementsprechend starker Evidenz den stärksten Empfehlungsgrad A mit starkem Konsens inne“, erläutert Madisch.

Der Wirkstoff könne am Dickdarm über die Calcium-Kanal-Blockade zu einer Muskelrelaxion führen, außerdem könne er das Mikrobiom positiv beeinflussen und über eine Immunmodulation antientzündlich wirken. Die Überempfindlichkeit des Darmes werde zudem über entsprechende Rezeptoren verbessert. „Es setzt also bei verschiedenen pathophysiologischen Veränderungen des RDS an, was für eine komplementäre Therapiemethode schon enorm ist.“ Dabei sei es als langfristige Therapieoption gut geeignet.

Für die Beratung gibt es verschiedene Präparate: Reines Pfefferminzöl ist hochdosiert beispielsweise in Form von Buscomint Kapseln (Sanofi) auf dem Markt. Die Wirkstoffmenge einer Kapsel entspricht dabei etwa 70 Tassen Pfefferminztee. Auch Kombipräparate wie Carmenthin (Pfefferminzöl & Kümmelöl, Schwabe) können zum Einsatz kommen. Allerdings sei die Konzentration des Pfefferminzöls hier niedriger, erklärt Madisch. Dafür könne Kümmel bei Blähungen zusätzlich gut wirken. Auch andere Phytopharmaka werden in der Leitlinie aufgeführt: So könne beispielsweise Iberogast (Bayer) positive Effekte haben.

Auch Spasmolytika wie Butylscopolamin (Buscopan, Sanofi) haben den stärksten Empfehlungsgrad erhalten. „Wenn ein Patient unter leichten bis mäßig starken Bauchschmerzen und -krämpfen leidet, kann er Butylscopolamin gut einnehmen.“ Vorteilhaft sei, dass es nicht zu einer Gewöhnung komme, daher könne es in akuten Fällen auch häufiger zum Einsatz kommen – als Dauertherapie sei es jedoch nicht geeignet.

Ernährung, Psyche und Mikrobiom berücksichtigen

Oft werde RDS noch immer als psychosomatisches Krankheitsbild abgetan. „Es entsteht jedoch nicht im Kopf, sondern ist organisch bedingt.“ Dennoch kann Stress ein wesentlicher Faktor sein, der zu Verschlimmerung der Beschwerden führt. Neben der Akutmedikation spielen daher auch Ernährung (Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Ballaststoffe, low-FODMAP), das Mikrobiom (Präbiotika, Probiotika, Antibiotika, Fäkaler Mikrobiomtransfer) und die Psyche (Entspannungstechniken, Yoga, Stressbewältigung, Psychotherapie) eine wichtige Rolle, auf die in der neuen Leitlinie eingegangen wird. Die Behandlung richtet sich immer nach der vorrangigen Symptomatik und kann auch als Kombitherapie erfolgen.

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