Ärger mit Austauschpräparat

Zuzahlung bei Rabattarzneimittel: Patient verklagt Krankenkasse

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Berlin -

Der ständige Austausch von Rabattarzneimitteln ist ein Ärgernis für Apothekenmitarbeiter wie für Kunden. Besonders heikel wird es, wenn für die Patienten plötzlich eine Zuzahlung fällig wird. Ein Versicherter klagte jetzt gegen seine Krankenkasse, doch nach dem Sozialgericht Düsseldorf stellte jetzt auch das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) auf Durchzug.

Der Patient hatte im Dezember 2018 ein Rezept über Finasterid Al 5 mg erhalten, das Präparat war damals bereits von der Zuzahlung befreit. Die Apotheke gab aber das Rabattarzneimittel von Heumann ab, für das der Versicherte eine Zuzahlung von 5,30 Euro leisten musste.

Daher schrieb er eine E-Mail an seine Kasse und beantragte die Erstattungdes Betrags. Ferner forderte er die Kasse auf es künftig zu unterlassen, die Apotheke unter Berufung auf § 129 Sozialgesetzbuch (SGB V) zum Austausch verpflichten, wenn es dadurch für ihn teurer werde. Der zwischen Kasse und Hersteller geschlossene Rabattvertrag gehe zu seinen Lasten und sei damit unzulässig.

Die Kasse lehnte die Anträge ab und stellte sich auf den Standpunkt, sie habe die Rabattverträge auch zum Vorteil ihrer Versicherten abgeschlossen und im Übrigen gesetzliche Vorgaben zu beachten.

Nun geriet der Versicherte erst richtig in Fahrt. In seinem Widerspruch wies er darauf hin, dass die Krankenkasse laut § 35 SGB V die Zuzahlung für Rabattarzneimittel um die Hälfte reduzieren oder ganz aufheben könne. Da aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht davon auszugehen sei, dass der Preis des Rabattarzneimittels höher sei als der des vom Arzt verordneten Medikaments, müsse auch beim Rabattarzneimittel die Zuzahlung entfallen. Anderenfalls sei von einem Verstoß gegen Treu und Glauben auszugehen, weil die Kasse sich über das ihr zustehende Maß hinaus zusätzliche Einnahmen verschaffe, indem sie den Versicherten zu Zuzahlungen heranziehe, die er nicht für die vom Arzt verordneten Arzneimittel zu leisten gehabt hätte.

Fehler der Apotheke?

Mit „Zwischennachricht zum Widerspruch“ teilte die Kasse ihrem Versicherten auf einmal mit, dass man nach erneuter Prüfung einen Verstoß der Apotheke gegen die bestehenden Regeln des Rahmenvertrages festgestellt habe. Details dazu machte sie nicht, stellte aber in Aussicht, die geleistete Zuzahlung im Einzelfall und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht für andere Fälle zu erstatten. Die Abgabe der Unterlassungserklärung wies sie als unbegründet zurück.

Der Patient ließ sich damit nicht abspeisen, sondern zog vor Gericht. Immer wieder würden in der Apotheke verordnete Arzneimittel ausgetauscht, wodurch er plötzlich eine Zuzahlung leisten müsse. Er selbst sei bereits dazu übergangen, sich in der Praxis das Aut-idem-Feld ankreuzen zu lassen. Aber das könne keine Lösung sein, da er letzlich auf das Wohwollen des Arztes angewiesen sei.

Seiner Meinung nach sei die Kasse zur Ausübung pflichtgemäßen Ermessens verpflichtet und daher nicht berechtigt, im Falle des Austauschs eine höhere Zuzahlung zu verlangen. Auch in anderen Vorschriften des SGB V sei einer Leistungsabrechnung grundsätzlich der tatsächlich entstandene Kostenaufwand zugrunde zu legen, was auch für die Zuzahlung gelten müsse: Die Kasse dürfe nicht einerseits die aufgrund der Rabattierung verringerten Abgabepreise an die Apotheke zahlen, andererseits die Zuzahlung auf der Grundlage der unrabattierten listenmäßigen Abgabepreise festlegen.

Kompetenz- vs. Ermessens-Kann

Vor Gericht drang er damit nicht durch. Der Versicherte habe keinen Anspruch, dass die Kasse auf die von ihm zu leistende Zahlung verzichte, so das LSG mit Verweis auf den Wortlaut in § 35 SGB V: „Zwar deckt er durch Verwendung des Begriffs ‚kann‘ theoretisch die Annahme, die Krankenkasse habe bei ihrer Entscheidung Ermessen zu betätigen. Dagegen spricht jedoch, dass die Befugnis der Krankenkassen zur Ermäßigung oder Aufhebung abhängig davon ist, dass hieraus Einsparungen zu ermitteln sind. Eine an die individuell-konkreten Verhältnisse des Versicherten und die diesem gegenüber ergangenen vertragsärztlichen Verordnungen anknüpfende Tatbestandsvoraussetzung enthält die Norm dagegen nicht. Dies spricht eher für ein ‚Befugnis‘- beziehungsweise ‚Kompetenz‘- als ein ‚Ermessens‘-Kann.“

Vor allem aber ziele die gesetzliche Möglichkeit zur Reduzierung der Zuzahlung gar nicht auf die Versicherten ab: „Vielmehr sollen den pharmazeutischen Unternehmen und Krankenkassen Anreize zur Vereinbarung von Rabattverträgen geschaffen werden, weil durch – die nur für rabattierte Arzneimittel bestehende – Möglichkeit der Zuzahlungsbefreiungen oder -ermäßigungen von einer Absatzsteigerung der jeweiligen Arzneimittel auszugehen ist.“

„Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen preisgünstige Arzneimittel von der Zuzahlung befreit werden können, wenn die begründete Aussicht besteht, dass dies zu einer Erhöhung des Versorgungsanteils dieser preisgünstigen Arzneimittel führt, woraus sich Einsparungen ergeben, die höher sind als der Einnahmeverlust aufgrund der Freistellung von der Zuzahlung“, so die Begründung. „Die Vorschrift dient daher primär der Kostendrosselung auf der Ausgabenseite (geringere Arzneimittelausgaben durch mehr Rabattverträge und höheren Absatz rabattierter Arzneimittel) und damit der finanziellen Stabilität der GKV, wenngleich letztlich die Verringerung der Arzneimittelkosten sowie die Zuzahlungsaufhebungen beziehungsweise -ermäßigungen auch den Versicherten (mittelbar) zugutekommen.“

GKV hat Vorrang

Durch die Zuzahlung werde auch nicht ungerechtgertigt in die Grundrechte der Versicherten eingegriffen: „Verfassungsrechtlich ist es dem Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums grundsätzlich erlaubt, die Versicherten über den Beitrag hinaus zur Entlastung der Krankenkassen und zur Stärkung des Kostenbewusstseins in der Form von Zuzahlungen zu bestimmten Leistungen zu beteiligen, jedenfalls, soweit dies dem Einzelnen zugemutet werden kann“, so das LSG. Wenn aber die Pflicht zur Eigenbeteiligung verfassungsgemäß sei, müsse dies erst recht gelten, wenn bestimmte Arzneimittel von der Zuzahlungspflicht befreit werden könnten und der Versicherte im Einzelfall – wie etwa im Fall der Ersetzung durch ein rabattiertes Arzneimittel – davon nicht profitiere. Die Sicherung der Leistungsfähigkeit und finanziellen Stabilität und damit der Funktionsfähigkeit der GKV als Gemeinwohlbelang sei im Übrigen von so hohem Rang, dass sogar Regelungen der Berufsausübung und Berufswahl eingeschränkt werden könnten.

Versicherte hätten lediglich Anspruch auf Rabattarzneimittel. Auch wenn die Verträge für sie keine unmittelbare Bindung entfalteten, ergäben sich hinsichtlich deren Ausgestaltung keine subjektiven öffentlichen Rechte. „Ebenso wenig können sie Einfluss auf die Setzung des Aut-idem-Kreuzes durch den Vertragsarzt nehmen, der insoweit ausschließlich nach medizinisch-therapeutischen Gesichtspunkten zu entscheiden hat.“

Und am Ende sieht das LSG die Politik in der Pflicht: „Der Gesetzgeber hat eindeutig zwischen zuzahlungsfreien und – im Falle eines Rabattvertrages – zuzahlungspflichtigen Arzneimitteln unterschieden. Es ist nicht ersichtlich, dass ihm dabei die Möglichkeit einer Zuzahlungspflicht bei Bestehen eines Rabattvertrages auch für den Fall, dass ein zuzahlungsfreies Arzneimittel verordnet worden ist, entgangen sein könnte.“

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