Kommentar

Nahbereich statt Apotheke

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Wer sich immer noch fragt, warum Bundesgesundheitsminister Dr. Philipp Rösler (FDP) seit Amtsantritt nicht allzu viel mit den Apothekern am Hut hatte, der weiß jetzt warum: Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels soll die Versorgung der Patienten „im Nahbereich der Apotheke“ gestärkt werden. Videoapotheken und Pick-up-Stellen, Boten-Apotheken und Light-Filialen sollen die Modelle der Zukunft sein. Willkommen in der liberalen Wirklichkeit.

Als vor einem Jahr der erste Arbeitsentwurf zur Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) auftauchte, kassierte die Hausleitung das Papier umgehend - und reagierte nachhaltig verschnupft. Morgen geht Rösler mit Eckpunkten in die Fraktionen, die wenig Entlastung, dafür mehr Zündstoff enthalten. Vom Versprechen, die Arzneimittelsicherheit zu stärken, bleibt kaum etwas übrig.

Mit ein wenig Makulatur versucht das BMG, sich selbst aus der Schusslinie zu bringen: Weil Apotheker schlecht beraten, sollen sie zur Beratung verpflichtet werden. Weil Postfilialen ihren Fußboden in Parzellen abkleben, sollen Diskretionszonen auch in Apotheken obligatorisch werden. Und weil Apotheker sich auf ihre Kernaufgabe konzentrieren sollen, soll die Freiwahl unter dem Aspekt „Entgegenwirken von Auswüchsen“ eingeschränkt werden. Was aber laut Bekanntmachung aus Röslers Haus keine weitere Einschränkung, sondern lediglich eine Klarstellung ist, dass Apotheken als Apotheken erkennbar sein müssen.

Das Durcheinander zeigt, wie zweifelhaft die Pläne sind. Apothekenmitarbeiter sollen Patienten künftig zuerst fragen, ob sie überhaupt beraten werden wollen, „erforderlichenfalls“ darf dann die Beratung angeboten werden. Das ist aber gerade keine Stärkung der Beratung, solange nur das Angebot verpflichtend ist.

Das Nebensortiment wird der eigentlichen Apothekertätigkeit untergeordnet, obwohl es längst Teile des Geschäftsbetriebs querfinanziert und bislang wohl keinen Patienten gefährdet hat. Gleichzeitig werden die Apotheker als Pick-up-Betreiber und Rezeptsammler von der Leine gelassen. Auch die Berufsfreiheit der Pick-up-Betreiber wird weiter geschützt.

So drängt sich der Verdacht auf, dass Rösler vor allem eines sein will: der kreative und furchtlose Gesundheitsminister. Statt in die Apotheke geht Rösler in den „Nahbereich“ und liefert einfache Antworten auf komplexe Fragen. Auch für die Rolle als smarter FDP-Chef sind die Apotheker eine gute Chance: Ein Foto in einer Videokabine auf dem Land verspricht mehr positive Publicity als ein Termin mit der Lobby. Eine Folgenabschätzung überlässt Rösler seinen Nachfolgern. Jetzt wird erst einmal das System der Arzneimittelversorgung aus dem Gleichgewicht gebracht.

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