Verunreinigte Glukosemischung

Apotheken-Prozess: Fahrlässige Tötung und versuchter Mord

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Berlin -

Vor dem Landgericht Köln wird das Verfahren gegen eine Apothekerin eröffnet. Es geht um die Abgabe einer versehentlich verunreinigten Glukoseabfüllung, an der eine junge Frau und ihr ungeborenes Kind 2019 gestorben sind. Der Apothekerin wird fahrlässige Tötung und versuchter Mord vorgeworfen. Verhandelt wird ab dem 15. Juni. Bis Ende September sind 21 Verhandlungstage angesetzt.

Die Glukosemischung war als Teil eines Routinetests auf Diabetes in der Schwangerschaft in der Heilig Geist-Apotheke in Köln-Longerich hergestellt worden. Eine 28-Jährige trank am Morgen des 19. September 2019 in der Praxis ihres Gynäkologen die Lösung. Sie wurde in der Folge bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert und musste ab 10 Uhr reanimiert werden. Gleichzeitig wurde im Wege eines Notkaiserschnitts ihr Kind zur Welt gebracht, das zu diesem Zeitpunkt bereits unter Atemstillstand und hypoxischen Gehirnschaden litt und reanimiert werden musste. Das Kind verstarb am nächsten Tag an seiner Frühgeburtlichkeit oder an einer Lidocainvergiftung, seine Mutter verstarb noch am Nachmittag des gleichen Tages an einer Lidocainvergiftung.

Zwei Tage zuvor hatte eine weitere Kundin der Apotheke den bitteren Geschmack der mit der verunreinigten Glukose hergestellten Lösung bemerkt und in der Praxis ihres Gynäkologen nur einen Schluck getrunken. Sie erholte sich nach einer stationären Aufnahme rasch von der Lidocainvergiftung und konnte das Krankenhaus am nächsten Tag verlassen.

Staatsanwaltschaft klagt zwei Taten an

Die Anklage wirft der Apothekerin zwei Taten vor: Zum einen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Pharmazeutin fahrlässig gehandelt hat. Die unbewusste Verwechselung der Standgefäße mit Glukose und Lidocainhydrochlorid sei ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht. Damit habe die Apothekerin durch Fahrlässigkeit den Tod beziehungsweise die Körperverletzung der Frauen verursacht.

Das weitere Verhalten der Apothekerin wertet die Anklage sogar als versuchten Mord durch Unterlassen in zwei Fällen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Apothekerin pflichtwidrig Mitteilungen an das behandelnde Krankenhaus unterlassen hat. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätten die später Verstorbenen möglicherweise vergiftungsspezifisch behandelt und gerettet werden können.

Durch Hinweise von Mitarbeitern der gynäkologischen Praxis und einer Ärztin aus dem behandelnden Krankenhaus auf die Vorfälle, nach Kontrolle der eigenen Bestände und nach einer Besprechung mit ihren Mitarbeitern hätte die Apothekerin demnach spätestens um die Mittagszeit wissen müssen, dass bei den später Verstorbenen eine Lidocainvergiftung als Ursache für den schlechten Gesundheitszustand in Betracht komme.

Mordmerkmal Verdeckungsabsicht

Als Mordmerkmal sieht die Staatsanwaltschaft die sogenannte „Verdeckungsabsicht“. Weil nicht sicher ist, ob die werdende Mutter und ihr Kind im Falle einer Benachrichtigung und spezifischen Behandlung hätten gerettet werden können, lautet die Anklage nur auf „versuchten Mord“ – obwohl Mutter und Kind tatsächlich verstarben.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 28. April das Hauptverfahren eröffnet und beide Tatvorwürfe zur Hauptverhandlung zugelassen. Hinsichtlich des zweiten Vorwurfs enthält der Beschluss den Hinweis der Kammer, dass wegen „des unter Fall 2 der Anklage aufgeführten Tatvorwurfs [...] ein hinreichender Tatverdacht nach der Aktenlage noch zu bejahen“ ist.

Hinreichender Tatverdacht

Ein „hinreichender Tatverdacht“ ist nach § 203 Strafprozessordnung (StPO) für die Eröffnung des Hauptverfahrens für jeden Tatvorwurf erforderlich. Er bedeutet, dass bei einer Prüfung der Verdachtslage die Kammer auf Basis des Akteninhalts, also vor der Hauptverhandlung und vorbehaltlich ihrer Beweisergebnisse, von einer überwiegenden Verurteilungswahrscheinlichkeit ausgeht. Der Hinweis des Gerichts bedeutet, dass dieser Verdachtsgrad von 50 Prozent nach Aktenlage hier gerade noch erreicht wird, gleichzeitig gilt bis zu jeder Verurteilung die Unschuldsvermutung.

Nach Anklageerhebung im Jahr 2020 hatte der Anwalt der Apothekerin, Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Westphalen, zu Protokoll gegeben, die Vorwürfe seien falsch und würden entschieden zurückgewiesen.

An den bislang angesetzten 21 Verhandlungstagen werden zahlreiche Zeugen und Sachverständige gehört werden.

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