Nationales Gesundheitsportal

Gericht verbietet BMG-Portal

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Berlin -

Das Nationale Gesundheitsportal (NGP) „gesund.bund.de“ des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) verstößt aus Sicht des Landgerichts Bonn gegen die Pressefreiheit. Die Richter sahen das Gebot der Staatsferne der Presse als nicht gegeben an. Geklagt hatte der Wort & Bild Verlag (WuB), der eine unzulässige Konkurrenz zu seinem Angebot apothekenumschau.de sah.

Laut vorliegendem Urteil wird der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BMG verboten, „ein Gesundheitsportal mit journalistisch-redaktionell pressemäßig aufbereiteten Artikeln zu allgemeinen medizinischen Themen ohne konkreten Anlass aufgrund einer Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung bereitzustellen“. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, der Bund kann noch in Berufung gehen.

Das Portal hatte das BMG, damals unter der Leitung von Jens Spahn (CDU), im September 2020 gestartet und war damit aus Sicht des Wort & Bild und anderer Verlage in direkte Konkurrenz zu privaten Gesundheitsportalen wie apotheken-umschau.de oder Netdoktor (Burda) getreten.

Bereits im Februar 2021 hatte der Wort & Bild Verlag daher beim Landgericht Bonn Klage gegen das BMG eingereicht. Die erste mündliche Verhandlung fand – nach mehreren Verschiebungen – erst vor rund einem Jahr am 22. Juni 2022 statt. Zunächst hieß es, dass im September ein Urteil verkündet werden soll. Doch dann wurde ein neuer Termin zur mündlichen Verhandlung angesetzt. Die fand am 10. Mai mit einer neu besetzten Kammer statt.

Umstrittener § 395 SGB V

Kern des Prozesses ist § 395 SGB V, mit dem das BMG ermächtigt wird, ein „Informationsportal, das gesundheits- und pflegebezogene Informationen barrierefrei in allgemein verständlicher Sprache zur Verfügung stellt (Nationales Gesundheitsportal)“ zu errichten.

Der Wort & Bild Verlag forderte die Untersagung dieses staatlichen Gesundheitsportals, „da es aufgrund der journalistisch-redaktionellen und pressemäßigen Berichterstattung zu allgemeinen medizinischen Themen ohne konkreten Anlass (bspw. aufgrund einer Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung) gegen das Gebot der Staatsfreiheit der Presse verstößt und damit die Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzt“.

Aus dem Aufgabenbereich des BMG und auch aus der eigens eingeführten Regelung im SGB V folge kein Recht mit einem Presseangebot in den Wettbewerb zu treten, zumal es zahlreiche wissenschaftlich fundierte und evidenzbasierte Gesundheitsinformationen aus der privatwirtschaftlichen Gesundheitspresse und anderen politisch unabhängigen Institutionen gebe. Der Medienverband der freien Presse (MVFP) und der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) unterstützen das Verfahren.

Grundgesetz schützt Pressefreiheit

Die Verlage sahen von dem Angebot die in Artikel 5 Grundgesetz geschützte Pressefreiheit bedroht. In Verbindung mit Artikel 3a des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) macht der Wort & Bild Verlag geltend, dass sich der Staat mit seinem Angebot in den Wettbewerb begibt.

In der Tat war das aufwändig produzierte Angebot des BMG den Seiten der Verlage sehr deutlich nachempfunden. In der Rubrik „Krankheiten“ wurden zahlreiche Artikel zu allgemeinen Beschwerden und Krankheiten (sortiert nach Körperteilen) wie etwa Akne, Asthma, Fußpilz, Hausstauballergie, Migräne oder Zahnfleischentzündung veröffentlicht. Im Urteil heißt es dazu: Die Inhalte des NGP führtenzu einem „Substitutionseffekt“ zu Lasten der privaten Anbieter ähnlicher Formate. „Die Artikel des NGP sind in diesen Bereichen derart ähnlich aufbereitet – sie sind nahezu identisch strukturiert und weisen auch im Hinblick auf ihre grafische Gestaltung und Illustrationen eine frappierende Ähnlichkeit auf – und verfolgen dieselbe Zielsetzung, dass der private Leser sie als funktionales Äquivalent zu den Angeboten privater Akteure begreift“, so das LG Bonn.

Das BMG hatte laut Gericht immer wieder die Verlässlichkeit des eigenen Angebots unterstrichen. Das mag bei Informationen zum Umgang mit der Corona-Pandemie auch aus Sicht der Kritiker:innen angezeigt sein. Im Prozess ging es daher stets auch um die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist. Aufklärungskampagnen des Bundes zu allgemeinen Gesundheitsgefahren sollten möglich sein – und laufen auch regelmäßig beispielsweise über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Aber muss das BMG auch über Fußpilz, Muskelzerrungen und Hühneraugen informieren?

Neben dem „Krankheiten A-Z“ gibt es zudem Tipps zur gesunden Lebensführung, was wiederum als staatliches Vordringen in den Bereich der privaten Lebensführung gesehen werden kann. Im Bereich „Gesundheit Digital“ werden wiederum die Vorteile des E-Rezepts herausgestellt. Damit verletzte das BMG laut Urteil „die Pflicht des Staates zu neutralem und sachlichen Informationshandeln“. Die Beiträge zum E-Rezept und zum elektronischen Impfpass ließen „eine differenzierte Darstellung vermissen“. Kritisch zu beurteilende Aspekte würden nicht dargestellt, sondern ausschließlich die Vorteile und Chancen der digitalen Errungenschaften.

Grenzen staatlicher Kommunikation

Das LG Bonn sah die Aktivitäten des BMG als zu weitreichend an. Zwar sei es das Recht und auch die Aufgabe des Staates, „Politik verständlich zu machen, die Bevölkerung über Politik und Recht im jeweiligen Aufgabenkreis zu informieren und staatliche Tätigkeit transparent zu gestalten“. Das sei auch „in presseähnlicher Form“ zulässig. Situationsbedingte Informationstätigkeit in besonderen Gefahrenlagen und aktuellen Krisen sei im Einzelfall sogar geboten. „Die weit überwiegende Mehrzahl der Artikel in den Rubriken ‚Krankheiten A-Z‘ und ‚Gesund leben‘ lässt sich aber keiner dieser Kategorien zulässigen staatlichen Informationshandelns zuordnen“, so die Richter.

Fazit des Gericht: „In der Gesamtschau überwiegen qualitativ die Rubriken und Artikel, mit denen die Beklagte die Grenzen des staatlichen Informationshandelns überschreitet und das Gebot der Staatsferne der Presse verletzt.“ Mit der Mehrheit der Artikel in den Hauptkategorien überschreite das Ministerium seine Kompetenz zu staatlichem Informationshandeln. Damit sei das portal insgesamt unzulässig.

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